Schwänze, die mit Hunden wackeln oder Warum die Finanzwirtschaft wichtiger ist als alles andere

Kolumnentitel: Finanz & Eleganz

Schwänze, die mit Hunden wackeln
oder Warum die Finanzwirtschaft wichtiger ist als alles andere

Haben wir eigentlich wirklich schon begriffen, wie sich Finanzwirtschaft und alle anderen Wirtschaftszweige zueinander verhalten? Ist es eigentlich gut, Blogs mit rhetorischen Fragen zu beginnen?
Es ist gut, wenn wir schon bekannte Tatsachen einmal für Nutzanwendungen und Lernprozesse zubereiten und greifbar machen. Die Finanzindustrie hat die Realwirtschaft in vielerlei Hinsicht überholt: in den USA beispielsweise fiel der Anteil der Industrie an der Gesamtwertschöpfung in den 1970er Jahren von 24% auf 15%, in den 1990ern setzte sich die Finanz-, Versicherungs- und Immobilienbranche vor sie.
Nach Angaben der Deutschen Bundesbank haben sich die weltweit erfassten Kapitalströme zwischen 1975 und 2000 verdreißigfacht, während sich das Welthandelsvolumen ungefähr vervierfacht und das addierte Bruttoinlandsprodukt (BIP) verdoppelt haben.
Hund Realwirtschaft und Schwanz Finanzwirtschaft befinden sich seit langem im Wettlauf – und der Hund hat schon länger Seitenstechen. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Finanzindustrie fast durchweg mehr gewachsen als andere Industrien. „Seit 1850 war das Wachstum im Finanzsektor insgesamt mehr als doppelt so groß wie in der Gesamtwirtschaft“, so Andrew Haldane, Chief Economist Executive Director of Monetary Analysis and Statistics bei der Bank of England. Die Herrschaften in den Kontoren mit Ärmelschoner und weißem Stehkragen waren die dynamischen Sieger im Wirtschaftsrennen.
Besonders augenfällig wurde das in der Finanzkrise, die die Abhängigkeit der verschiedenen Volkswirtschaften vom Finanzsektor herauspräparierte: vor allem Staaten, in denen dieser Anteil hoch war, wurden von der Krise gebeutelt.
Zugleich wurde in der letzten Krise deutlich, dass ein hoher Anteil des Finanzsektors am BIP nicht nur ein Garant für Wachstum, sondern eben auch für das Gegenteil sein kann: Am besten dürfte das Beispiel Island in Erinnerung sein. Dort hatte 2008, beim Beginn der Krise, die Finanzwirtschaft einen Anteil von 10 % am Bruttosozialprodukt (die Bundesrepublik lag bei ungefähr 5%). Die Auslandsverschuldung der isländischen Finanzinstitutionen betrug in dieser Zeit 60 Milliarden US-Dollar – also ca. 350% des isländischen BIP. Auch Großbritannien und Irland sind Beispiele für Ökonomien, die stark von der Finanzindustrie abhängig waren und sind.
So weit so bekannt – aber das Problem ist, dass die Finanzkrise nicht zu einer nachhaltigen Veränderung dieser Verhältnisse gesorgt hat. Viele Untersuchungen zeigen, dass eine Diversifikation der wirtschaftlichen Basis, also ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Finanz- und Realindustrie günstig für die Stabilität ist. Dennoch werden nur zaghaft Versuche unternommen, solche Ungleichgewichte zu beseitigen.

Bernd Villhauer
Dr. Bernd Villhauer ist Geschäftsführer des Weltethos Instituts Tübingen.und Autor der Kolumne “Finanz und Eleganz.

Wir müssen also für viele Jahre mit einer starken Finanzindustrie rechnen. Und die Politik der Europäischen Gemeinschaft, die den umfangreichen Ankauf von Staatsanleihen und Wertpapieren über mehrere Jahre vorsieht, wird die Bedeutung der Banken, Schattenbanken und Fonds noch erhöhen. Ob das viele Geld bei Unternehmern und Verbrauchern ankommt, das ist vollkommen unklar – dass aber die Quantitative Easing-Maßnahmen viel Geld durch die Hände der Finanzbranche laufen lassen, das ist unstrittig. Und dies wird zu einem weiteren Anwachsen der politischen Macht in diesem Bereich führen.
Also: akzeptieren wir, dass für viele Jahre der Schwanz mit dem Hund wedeln wird – und dass wir mit wirtschaftsethischen und unternehmensethischen Initiativen in den Bereichen aktiv werden müssen, in denen es noch echte Wachstumsraten gibt. It’s the financial economics, stupid!
Wenn wir Konsumenten dafür gewinnen, den richtigen Kaffee zu kaufen, dann ist das schön und richtig. Wenn wir den Hebel bei denen ansetzen, die das Produzieren des falschen Kaffees finanzieren, dann erreichen wir noch mehr. Wenn wir auf nachhaltige Baumaterialien setzen, dann freut das den Maikäfer. Wenn wir uns auf Richtlinien für nachhaltige Investitionen einigen, dann freut das Käfer wie Menschen. Im Genossenschaftsladen zu kaufen ist schön, aber der Genossenschaftsbank beizutreten womöglich schön plus wirkungsvoll.
In diesem Sinne: für elegantere Finanzen!
Geschrieben bei einer Tasse Tee am 5.Oktober 2015

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