33 Thesen für eine Reformation der Ökonomie

 33 Thesen für eine Reformation der Ökonomie

Das Jahr 2017 markierte den 500. Geburtstag der Reformation. Zahlreiche Manifeste – in Anlehnung an die 95 Thesen von Martin Luther – wurden in diesem Jahr veröffentlicht. Aber was ist von ihnen geblieben? Ist Ihnen eines in Erinnerung?
Gerne möchten wir von einem Manifest berichten, das in Erinnerung bleiben sollte. Am 12. Dezember 2017 brachte der Ökonom Steve Keen, verkleidet mit einem mittelalterlichen Mönchsgewand, die 33 Thesen für eine Reformation der Ökonomie an der Tür der London School of Economics an. Dabei handelte Steve Keen symbolisch für viele Menschen, die sich seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008 Gedanken über eine Erneuerung der ökonomischen Lehre und Forschung machen. Die 33 Thesen beginnen mit dem Hinweis: „The world faces poverty, inequality, ecological crisis and financial instability. We are concerned that economics is doing much less than it could to provide insights that would help solve these problems.“
Das Manifest ist unterteilt in neun Bereiche, die unter anderem vom Ziel und Zweck der Ökonomie, der Eingebundenheit der Wirtschaft in die Umwelt, der Ungleichheit und der ökonomischen Lehre handeln. Es ist ein Rundumschlag, der eine neue Perspektive auf die Gesellschaft und ihre ökonomischen Grundlagen ermöglicht. Würden diese Thesen beherzigt, hätte dies tatsächlich eine ganz neue Wirtschaft zur Folge. Eine Wirtschaft, die vielleicht etwas demütiger wäre und die Augen nicht länger vor der Realität verschließt – ähnlich einer Kirche, wie Luther sie sich wünschte. Wir alle wissen, dass Luther die Kirche nicht reformiert sondern gespalten hat, was die Konfessionskriege zur Folge hatte. Hoffen wir, dass es dieses Mal anders kommt.

Die Thesen in voller Länge und im ursprünglichen Wortlaut finden Sie hier.

Zusammenfassung der 33 Thesen für eine Reformation der Ökonomie

Ziel und Zweck der Ökonomie (Thesen 1-4)
Es muss anerkannt werden, dass die Ökonomie eine normative Wissenschaft ist und Erfolgsindikatoren (Profit, Wachstum, BIP etc.) immer nur Ausdruck politischer Überzeugungen sind. Ziel und Zweck der Ökonomie werden von der Gesellschaft bestimmt.

Die natürliche Umwelt (Thesen 5-8)
Die Wirtschaft findet innerhalb der natürlichen Umwelt statt. Die ökonomische Theorie muss berücksichtigen, dass beide sich gegenseitig beeinflussen, dass die natürlichen Ressourcen endlich sind und somit nicht Grundlage eines ewigen Wachstums sein können.

Institutionen und Märkte (Thesen 9-13)
Märkte und die beobachtbaren Marktprozesse sind weder gottgegeben noch ein simples Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Vielmehr sind sie ein Ergebnis der jeweils vorliegenden Gesetze, Gewohnheiten, Kulturen und Institutionen. Um die Funktionsweisen von Märkten zu verstehen, muss man diese gesellschaftlichen Faktoren und ihren Einfluss erforschen.

Arbeit und Kapital (These 14)
Löhne, Unternehmensgewinne und Investitionsrenditen richten sich nicht allein nach dem Beitrag zur Mehrwertproduktion. Auch die Machtposition der sie jeweils repräsentierenden Personen hat Einfluss auf das gesamte zu verteilende Einkommen und auf ihren jeweiligen Anteil daran. Ökonomie muss diese Machtverhältnisse verstehen und über politische Entscheidungen, die die Einkommensverteilung beeinflussen, aufklären.

Menschenbild (Thesen 15-16)
Menschen treffen keine vollständig rationalen Entscheidungen. Insofern müssen ökonomische Theorien berücksichtigen, dass eine menschliche Entscheidung maßgeblich durch Vorurteile, Kontexte, soziale Interaktionen und Vermutungen geprägt wird. Außerdem muss in der Ökonomie die Unsicherheit und das Nichtwissen berücksichtigt werden.

Ungleichheit (Thesen 17-19)
Die Annahme, dass Personen mit den gleichen Fähigkeiten, Präferenzen und Begabungen in einer Marktwirtschaft auch einen vergleichbaren Wohlstand erlangen, ist falsch. Volkswirtschaften, die marktwirtschaftlich organisiert sind, tendieren zu steigender Ungleichheit, was in der Regel eine Verschlechterung der sozialen und wohlfahrtstaatlichen Indikatoren zur Folge hat.

BIP, Wachstum, Innovationen und Schulden (Thesen 20-23)
Das Streben nach Wachstum ist eine politische Entscheidung und keine wirtschaftliche Notwendigkeit. Wenn wir uns für eine wachstumsgetriebene Wirtschaft entscheiden, müssen wir folgende Fragen beantworten: Wachstum von was, warum, für wen und für wie lange? Dies beinhaltet auch die Frage nach dem Wozu von Innovationen. Da private Verschuldung zusätzliche Nachfrage generiert, dürfen das Finanzwesen und die Finanzmärkte nicht unabhängig von der Realwirtschaft betrachtet werden.

Geld, Banken und Krisen (Thesen 24-28)
Da die Schaffung von Geld die Wohlstandsverteilung beeinflusst, sollte dieser Prozess Widerhall in der politischen Debatte finden. Banken, die Geld schaffen und Schulden steuern, müssen Teil wirtschaftlicher Modelle sein. Modelle, die Banken außerhalb der Märkte sehen, werden Bankenkrisen weder erklären noch vorhersagen können. Außerdem muss die Ausweitung der Finanzwirtschaft, ihre Auswirkung auf die Realwirtschaft und der spekulative Charakter finanzwirtschaftlicher Tätigkeiten untersucht werden.

Ökonomische Lehre (Thesen 29-33)
Eine gute ökonomische Bildung zeichnet sich dadurch aus, dass unterschiedliche Ansätze zugelassen werden. Nur wenn man Wirtschaft als Zusammenspiel von Politik, Psychologie und Umwelt begreift, wird man den Ursprung von Finanzkrisen, Armut und Klimawandel verstehen und einen adäquaten Umgang mit ihnen finden können. Anstatt die Wirtschaftswissenschaften auf Statistiken und mathematische Modelle zu reduzieren und immer die gleichen Theorien wiederzugeben, muss das kritische Denken und der Bezug zur Realität in den Vordergrund gerückt werden.



Dieser Beitrag entstammt der Rubrik LAND IN SICHT der aktuellen Ausgabe der agora42 zum Thema ORDNUNG, die Sie hier versandkostenfrei bestellen können. In dieser Ausgabe u.a.

Robert Menasse im Interview „Ordnung ist ein Gefühl“
Fritz Glunk: „Regieren ohne Regierung“
Andrea Vetter: „Leben in einer Postwachstumsgesellschaft“
Mechthild Schrooten: „Die Kennziffernökonomie“
Rafael Capurro: „Digitale Zukünfte“