Affen im Capitol | Bernd Villhauer

Ein KinoFoto: Donreál Lunkin | Unsplash

 

Affen im Capitol

oder: Was den Finanzpopulismus mit dem politischen Populismus verbindet

Text: Bernd Villhauer

Ist die Kinokette AMC Entertainment pleite oder nicht? So genau kann das niemand sagen. Sie verliert ca. 200 Millionen Dollar im Vierteljahr und hat einen Berg Schulden, aber ihr Aktienkurs ist 2021 um 1.274 Prozent (!) gestiegen. Grund dafür sind die Affen. „The Apes“ nennt sich eine Gruppe von Kleinanlegern, die Aktien von AMC kaufen und dafür werben, deren Kurs weiter hochzutreiben. Das Ganze mit coolen Bildchen aus dem „Planet der Affen“ und stadiontauglichen Brüllsprüchen („Apes! Together! Strong!“). AMC wird daher auch als „Meme-Aktie“ bezeichnet.

Wie schon im Fall von GameStop haben wir es mit einem Medien- und Börsenphänomen zu tun, das wir ruhig einmal als „Finanzpopulismus“ bezeichnen können. Wie weit der Begriff trägt, das soll im Folgenden Thema sein.

Rudelbildung und Schwarmdummheit

Was passiert da? Im Internet und in der Welt der Sozialen Medien baut sich in wiederkehrenden Wellen eine Community von begeisterten Anlegern auf, die einen oder mehrere Börsentitel feiern, meist solche, die von den professionellen Wall Street-Analysten eher abgeschrieben werden. Oft sind das Titel aus dem Technologie- oder Unterhaltungsbereich: GameStop, die Ladenkette für Computerspiele, war dafür ein gutes Beispiel, ebenso wie die Firma Blackberry, – und nun eben AMC. Es bilden sich Communities, z.B. auf Reddit „WallStreetBets“, und drumherum ein Feldlager von Überzeugten in verschiedenen Fanatisierungsgraden. Die Communities haben ihre eigene Sprache, ihre eigenen Rituale, ihre leidenschaftlich unterstützten Aktien und meist einen gemeinsamen Feind.

Vieles daran erinnert an populistische Bewegungen im politischen Raum. Sehen wir uns mal ein paar der Ähnlichkeiten einmal genauer an und ernten eventuell sogar Lerneffekte zum Populismus. Obwohl ich mich sehr auf die negativen Seiten konzentrieren werde, möchte ich vorab einmal kurz den Allesversteher markieren und darauf hinweisen, dass Populismus und Demokratie immer schon verbunden waren. Immer wieder gab es populistische Pfade in die Demokratie (auch die Aktionärsdemokratie) und aus ihr hinaus. Und Populisten sind bekanntlich immer die Anderen…

So kann auch die neue Social-Media-Aktionärskultur durchaus zur Demokratisierung des Aktienmarktes beitragen und dazu, dass im Finanzsystem ganz normale Verbraucherinnen und Verbraucher besser gehört werden. Denn die Ängste und Hoffnungen, die sich im Populismus ausdrücken, sind ja nicht per se schädlich; sie kommen nur in der Form falscher Antworten auf richtige Fragen daher und gefährden meist den Pluralismus, in dem die richtigen Fragen überhaupt formuliert werden können. Jedenfalls ändert sich mal wieder alles – und wie genau?

Authentisch beschränkt – aber mit Leidenschaft

Emotion spielt eine zentrale Rolle: In den Foren der Finanzpopulisten geht es leidenschaftlich zu; da wird nicht die sachliche Sprache der Analyse gesprochen und umständlich abgewogen bzw. das Für und Wider erklärt. Es gibt gefühlsgeladene Appelle oder empörte Ablehnung – mehr Soap als News. Damit das funktioniert, muss natürlich alles theatralisch aufbereitet und dramatisiert werden. Politische wie finanzielle Populisten lieben das Drama, die emotionale Zuspitzung, das Licht- und Schattenspiel, den kürzestmöglichen Denk- und Emotionsweg. Deswegen sind den Dramaqueens und -kings auch meist langwierige Lernprozesse verhasst, sie beherzigen vielmehr das Credo der Massendemokratie: ich habe keine Ahnung, will aber mitreden! Der Treibstoff für diese ewig laufende Aufregungsmaschine ist ein verletztes Selbstwertgefühl, aus dem immer wieder Aggression und Ressentiment entsteht. Permanent fühlen sie sich zurückgesetzt und schlecht behandelt, aus dem Gefühl des Missachtetwerdens und der Ungerechtigkeit heraus beziehen sie ihre Energie – und das ist wahrhaft erneuerbare Energie, die nie erschöpft werden kann. Wenn ein Grund für das Sich-schlecht-behandelt-Fühlen verschwindet, dann entstehen zeitgleich zwei neue… Grund für Kummer gibt es immer! In einem hörenswerten Podcast des Wall Street Journals vom 23.12.2021 wird das schön deutlich. Da sagt einer der „Ape“-Anleger: „We’re all these people that have been getting ran over for all of our lives, right? We jumped in, trying to get a chance of some life-changing money, right?“ Gleiches konnte man vom Trump-Anhängern hören, die auf die liberalen Eliten schimpfen, von den AfD-Anhängern, die sich beschweren, dass sie in den öffentlich-rechtlichen Medien nie fair behandelt werden – oder eben von den GameStop-Unterstützern, die Hedgefonds eins auswischen wollen. Das Bewusstsein der eigenen Rechte ist sehr ausgeprägt (und das der eigenen Pflichten weit weniger). Immer gibt es das Gefühl, von mächtigen Interessengruppen hinters Licht geführt zu werden – durch Machtmissbrauch, Falschinformation oder durch schlichtes Ignorieren. Es lauert immer ein Bösewicht hinter den Kulissen.

Dieses Grundmisstrauen gegen Autoritäten und ihr Hang zu Kurzschlussantworten sowie einfachen Lösungen führt die Populist*innen und ihre Anhänger*innen dann mit Gewissheit zu wilden Verschwörungstheorien, in denen sich politisch „linke“ mit „rechten“ Motiven mischen. Sie „entlarven“ und „durchblicken“ besonders gerne die konventionellen Informationswege. Immer gibt es geheime Quellen und Foren, aus denen die „eigentlichen“ Informationen geschöpft werden. Ganz große Durchblicker tauchen auf, denen leider ungerechterweise die große Bühne verwehrt blieb.

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Kämpfen für die nichteigene Sache

Verbessern sie durch ihre Aktivitäten die eigene Lage? Das ist das Erstaunliche: Wie die eigene finanzielle oder politische Situation verbessert werden kann, damit wollen sich die Populist*innen im Grunde gar nicht so genau beschäftigen. Sie möchten eine schnelle und einfache Lösung, bei der vor allem die leiden, die sie vorher als Feinde ausgemacht haben. Ob dann am Ende wirklich etwas im Sinne der der eigenen Klientel verbessert wurde, das ist eher unwichtig. Obwohl Populist*innen so ungeheuer viel Wert auf ihre Rechte legen und ihre reale oder gefühlte Benachteiligung zur Schau stellen, sieht das Ergebnis dann oft sehr schlecht für sie aus. Zahlreich sind die soziologischen und politikwissenschaftlichen Untersuchungen, die zeigen, dass sehr oft Menschen im populistischen Überschwang für eine Politik votieren, die gerade ihnen besonders schadet. Das häufig zitierte Beispiel findet sich bei den unteren und mittleren Gesellschaftsschichten, in denen eine Politik der Steuerentlastungen für Reiche gestützt wird. Kaum ein Staatsführer hat seine Anhängerschaft zynischer ausgenommen und massiver finanziell geschädigt als Donald Trump. Und auch die Gewinne für breitere Schichten aus den GameStop-Hysterien sind sehr überschaubar. Es gibt einzelne Sieger, aber das Fußvolk der Affenarmee bleibt unbelohnt. Populismus zahlt sich meist nur für die aus, die an der Spitze stehen.

Ein genauerer Blick auf die Investment-„Strategien“ im Finanzpopulismus verdeutlicht das. Zwar wird mit ihnen durch allerlei Kampagnen und Communitybuilding der Preis einer Aktie hochgetrieben, aber davon profitieren natürlich nur jene, die rechtzeitig verkaufen und nicht die, die immer wieder in eine neue Schlacht ziehen und stolz darauf sind, „diamond hands“ zu haben. (Mit diesem Ausdruck bezeichnet man diejenigen Aktienkäufer*innen, die nicht mehr loslassen, die auch bei Kursstürzen eine Aktie weiter stützen.) Das macht aber nur manchmal Sinn… Die finanzpopulistische Bewegung will alles gleichzeitig: eine coole Firma stärken, die etablierten Mächte schwächen, einen privaten Gewinn realisieren, aber dabei möglichst nie verkaufen – Spaß haben, Geld verdienen und für Gerechtigkeit sorgen… Wer jedoch den Pudding genießen und ihn trotzdem nicht essen will, der wird irgendwann enttäuscht sein – und dann bei der nächsten Welle der Enttäuschten wieder mitrennen.

Vielleicht ist das ein Kern des populistischen Problems: Wir müssen schlicht lernen, die Realität zu akzeptieren, nicht als unveränderlich, aber doch wenigstens als existent und vorerst bestimmend. Wer nicht vom Gegenwärtigen ausgeht und es als Ergebnis des Vergangenen wahrnimmt, der kann das Zukünftige nicht gestalten. Dann wird die Maschine nicht neuprogrammiert, sondern nur zerschlagen, das Feld nicht neu bestellt, sondern verlassen.

Die Lichtseite nicht vergessen!

Besonders gilt das bei Finanzmarktfragen, da die Welt der Börse von den einen romantisierend nur als Quelle von Glück und Wohlstand, von den anderen als Mordor in Manhattan gesehen wird. Speziell wir Deutschen lieben diese Zuspitzungen: keine Kneipendiskussion ohne den Endkampf zwischen Gut und Böse. Den Irrsinn der globalen Finanzialisierung und die Bizarrerien des Casino-Kapitalismus ebenso realistisch ins Auge zu fassen wie die großartigen sozialen und ökologischen Potenziale eines entwickelten Finanzmarktsystems – das wäre hingegen mal eine Aufgabe!

Die Realität umarmen, gerade wenn wir fähig zur Utopie bleiben wollen – als Ausgangspunkt aller weiteren Entwicklungen. Flucht vor der Wirklichkeit hilft da wenig. Und ein Missverstehen oder Umdeuten der Finanzwelt (bzw. der politischen Strukturen) als Flucht- und Wunscherfüllungszauberkästen führt uns nicht weiter. Das Leben ist kein Ponyhof – und Affen reiten schlecht!

Mit diesen weisen Worten wünscht „Finanz & Eleganz“ alles Gute.

Geschrieben bei einer Tasse Tee am 02.02.2022

Finanz & Eleganz
Bern Villhauer
Dr. Bernd Villhauer ist Geschäftsführer des Weltethos Instituts Tübingen.
In der Kolumne „Finanz & Eleganz“ geht Bernd Villhauer den Zusammenhängen von eleganten Lösungen, Inszenierungen, Symbolen und Behauptungen einerseits sowie dem Finanzmarkt andererseits nach. Grundsätzliche Überlegungen zu der Kolumne finden Sie in der Einführung.

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