Philosophieren ist in mehreren Hinsichten hilfreich, auch im Business-Leben

Philosophieren ist in mehreren Hinsichten hilfreich, auch im Business-Leben

Im Gespräch mit Philosophie-Coach Ronald Wellach

Herr Wellach, viele Menschen fühlen sich von ihrer Arbeit gehetzt, getrieben, genervt. Was fehlt dem Job, wenn er sinnlos scheint?

In der philosophischen Praxis-Beratung berichten die Klienten häufig, dass ihnen im Job der Bezug zu ihrem „eigentlichen“ Sein und ihrer tatsächlichen Welt-Erfahrung fehle. Viele erfahren ihre beruflichen oder geschäftlichen Tätigkeiten (zum Beispiel als Ingenieure oder Ärzte oder betriebswirtschaftliche Leitungskräfte) eher als Mitspielen in einer Wirtschafts- oder Politik-Welt des kooperativen Dauer-„Scheins“ (vor dem Hintergrund übrigens einer verbreiteten Angst vor dem Zusammenbruch dieses Scheins) und der mangelnden persönlichen „Freiheit“ in einem stark regelgeführten System mit allerlei formalen Funktionsrollen. Das wären schon einmal drei wichtige philosophische Begriffe, mit deren Hilfe man sich an so etwas wie „Sinn“ abarbeiten oder sich ihm im Beratungs-/Coaching-Prozess annähern kann. Philosophieren ist in mehreren Hinsichten hilfreich, auch im Business-Leben weiterlesen

Über Zeitwohlstand und kluge Lust

Über Zeitwohlstand und kluge Lust

von Andrea S. Klahre

Entschleunigen. Fritz Reheis hat das Thema zu einer Zeit aufgegriffen, als dieses Wort noch kaum bekannt war. Heute steht es im Duden. Sein Buch Die Kreativität der Langsamkeit. Neuer Wohlstand durch Entschleunigung, das rund 50.000 Mal verkauft wurde, hat ganz sicher dazu beigetragen. Der Soziologe und Erziehungswissenschaftler über Mut zu Utopien, einen Lebensstil mit richtig verstandener Langsamkeit und “kluge Lust”, eine neue Form des Genießens.

Nachgefragt bei Fritz Reheis

Lieber Professor Reheis, bereits 1996 haben Sie eines der ersten wissenschaftlichen Bücher über die Notwendigkeit zum Entschleunigen geschrieben. Es ist in mehreren Auflagen erschienen und gilt als Klassiker. Seinerzeit haben Sie Mut zur Utopie bewiesen. Was ist aus den Utopien geworden?

Mit Entschleunigungsangeboten lässt sich offenbar viel Geld verdienen. Entschleunigung wird heute mit allem Möglichen verbunden: mit Ratgebern für Zeitmanagement und Work Life Balance, als Lockmittel beim Verkauf von Polstermöbeln, Wellnesswochen und Urlaubsregionen. Leider dient sie dabei meist dazu, die Menschen möglichst schnell wieder fit zu machen für die nächste Runde – für noch effizienteres Beschleunigen. Über Zeitwohlstand und kluge Lust weiterlesen

Faironomics – Auf dem Weg zu einer neuen Form der Ökonomie

Faironomics – Auf dem Weg zu einer neuen Form der Ökonomie

Interview mit Ilona Koglin und Marek Rohde

Die Ökonomie als Gesetz (nomos) des Hauses (oikos) dient dem Zweck der Haushaltung. Begreifen wir den Planeten Erde als unser gemeinsames Haus und lösen wir uns von der Vorstellung des haushälterischen Menschen als egoistischen Nutzenmaximierer, so stehen wir vor der Herausforderung, eine neue Ökonomie zu ersinnen. Frau Koglin, Herr Rohde, nach welchen Gesetzen und Setzungen sollen wir unsere gemeinsame Haushaltstätigkeit ausrichten? Oder anders gefragt: Was ist für euch der Sinn der Ökonomie und auf welchen Prinzipien beruht eine sinnvolle wirtschaftliche Praxis?

Wir schauen bei dieser Frage ganz gerne vom Haus (des Einzelnen) in den Garten und in die Welt hinaus. Denn da sind wir der Natur sehr viel näher. Fragen wie „Wie sollen wir uns verhalten?“ oder „Was können wir tun?“ stellen sich hier ganzheitlich. Hier befinden wir uns gedanklich, aber auch physisch und somit emotional, in direkter Verbindung mit den großen und kleinen Kreisläufen der Natur. Im Gegensatz zur menschgemachten Ordnung des Hauses, betrachten und erfahren wir hier die Lehre vom Naturhaushalt – der Ökologie. Diese bezieht das Werden und Wollen der Tier- und Pflanzenwelt, das Klima, die Elemente, kurz das gesamte Ökosystem mit ein. Ein wichtiger Unterschied. Dabei wird schnell klar, worauf es ankommt: Jedes Lebewesen muss seinen Platz und seinen Raum finden – nicht nur der Mensch. Sonst gerät das große Ganze ins Ungleichgewicht. Faironomics – Auf dem Weg zu einer neuen Form der Ökonomie weiterlesen

Editorial der Ausgabe 3/2019 zum Thema SINN

Editorial

der Ausgabe 3/2019 zum Thema SINN

„Was die Leute nicht hören wollen, das ist, dass es in unserem Leben eine Grenze gibt, wo wir nicht mehr mitmachen dürfen (…), wo von uns verlangt wird, etwas zu tun, was unmenschlich ist und alle Würde verletzt. Und was hier (…) verlangt wird, nämlich das Nein, darauf beruht jede Ethik, darauf beruht jedes Recht.“

Wolfram Bernhardt Tanja Will Frank Augustin
Wolfram Bernhardt, Tanja Will und Frank Augustin machen das Magazin agora42 in Stuttgart.

Dies sagte der große deutsche Jurist und bekennende Atheist Fritz Bauer. Er spricht damit das an, was man Zivilcourage nennt und was mit einem klaren und deutlichen „Nein!“ beginnt. Ein „Nein!“, dessen Fehlen jeder gesellschaftlichen Ordnung, und sei sie noch so gut konzipiert, den Boden entzieht und sie der Sinnlosigkeit ausliefert. Ohne Menschen, die im Zusammenleben Grenzen ziehen, geht jegliche moralische Orientierungsmöglichkeit verloren, ist letztlich sprichwörtlich alles egal, also gleich-gültig – und damit eben sinnlos. Editorial der Ausgabe 3/2019 zum Thema SINN weiterlesen

Die faule Ameise – Versuch über ein Anti-Stereotyp | von Eduard Kaeser

Ameise auf BlattFoto: Sian Cooper | Unsplash

 

Die faule Ameise

Versuch über ein Anti-Stereotyp

Text: Eduard Kaeser

Von Aesop bis Tsipras

Seit Aesops Fabeln gelten Ameisen als vorbildlich fleißige Tiere. Und aus dem Ameisenhaufen zieht auch ein Bibelspruch eine unmissverständliche Moral für Nichtstuer: „Gehe hin zur Ameise, du Fauler; siehe ihre Weise an und lerne!“ Dieser Lob-und-Tadel-Funktion dient die Ameise bis in die Gegenwart als Musterbeispiel. Erst vor ein paar Jahren, in der europäischen Schuldendebatte, hat Alexis Tsipras vom griechischen Bündnis Syriza der aesopschen Fabel einen Schwenk ins Politische gegeben, als er in einer Rede vom „Märchen über die arbeitsamen und strebsamen Ameisen“ sprach, „die den ganzen Sommer über arbeiten, während die Grillen schlafen. So hat man uns gesagt, dass Europa im Norden von Ameisen und im Süden von Grillen bewohnt wird.“ Die faule Ameise – Versuch über ein Anti-Stereotyp | von Eduard Kaeser weiterlesen

GOLD! oder Bemerkungen über fahrbare Sümpfe – von Bernd Villhauer

GOLD!

oder

Bemerkungen über fahrbare Sümpfe

Text: Bernd Villhauer

Gerade heute lese ich, dass Gold als Anlage ein Comeback feiert, die Aussichten rosig sind. Warum das nun? Es gibt einen Korridor, in dem sich der Goldpreis seit 2013 hin- und herbewegt, zwischen rund 1.050 Dollar und 1.350 Dollar pro Feinunze (das sind ungefähr 31 Gramm). Und nun rüttelt das Gold an den Gitterstäben ‑ es sieht danach aus, als würde es nach oben ausbrechen ‑ ab dem magischen Wert von 1.355 Dollar gilt: „the sky is the limit“.

Zeit, sich auch einmal in „Finanz & Eleganz“ mit dem Edelmetall zu beschäftigen. Denn eine gewisse ästhetische Wertigkeit kann man ihm wohl kaum absprechen. Als Schmuckmaterial ist es allgegenwärtig, es hängt in Kettenform nicht nur um zahlreiche indische oder chinesische, sondern auch deutsche Hälse und die große Mehrheit der Eheringe ist aus ihm gefertigt. Zwar holen Platin, Palladium und Titan auf, sogar Edelstahl wird beliebter, aber dennoch hält sich Gold unangefochten an der Spitze des Paarschmucks. Schönheit für die Ewigkeit ‑ bitte nur mit Gold. Warum ist das so? Was steckt hinter dem Soliditätsversprechen des chemischen Elements Aurum mit der Ordnungszahl 79? Warum zeigt sich z.B. bei Eheringen nicht die ganze Materialvielfalt unserer modernen Welt ‑ von fluoreszierendem Hartplastik über parfümierte Presspappe bis zum polierten Feinbeton? GOLD! oder Bemerkungen über fahrbare Sümpfe – von Bernd Villhauer weiterlesen

„We are nature defending itself“ – Auf dem Weg zu einem neuen Naturverhältnis

„We are nature defending itself“

Auf dem Weg zu einem neuen Naturverhältnis

von Christoph Sanders und Martin Krobath

 

Die Kamera wackelt und zoomt näher an eine erschöpfte junge Frau im Wald. Eine Stimme bittet sie: „Magst du erzählen, was gerade passiert ist?“ Winter, so steht ihr Name unter dem Videoclip, ist offensichtlich gerade von Polizisten aus ihrem Baumhaus im Hambacher Forst geräumt worden. In voller Kampfmontur, die Frau an Körpergröße weit überragend, stehen zwei Polizisten neben ihr. Sehr bewegt und mit großer Bestimmtheit erklärt sie in die Kamera, warum sie sich gegen die Rodung des Waldes einsetzt:

„Und sie denken wahrscheinlich, sie hätten gewonnen, aber sie können nicht gewinnen, weil sie den Wald genauso brauchen […]. Sie werden nie verstehen, wie es ist, mit Menschen zusammenzuleben, denen es scheißegal ist […], was du für’n Schulabschluss hast, dass wir hier versuchen hierarchiefrei zu leben, uns gegenseitig zu respektieren ohne Geld […]. Dass wir jeden Morgen aufgewacht sind und wissen, dass wir am richtigen Ort sind […] und dass das die schönste Zeit meines Lebens war hier und ich so viel gelernt hab’, alles das, was ich draußen in der Gesellschaft nie hätte lernen können; dass ich die ganze Scheiße, die mir die Gesellschaft eingetrichtert hat, erst wieder vergessen muss – mich mit anderen Menschen zu vergleichen oder zu konkurrieren, was angeblich wichtig ist, wie wir aussehen […].“ (https://youtu.be/uYfW2LogrAs) „We are nature defending itself“ – Auf dem Weg zu einem neuen Naturverhältnis weiterlesen

Man muss Arbeit und Muße wieder zusammen denken

Man muss Arbeit und Muße wieder zusammen denken

Text von Andrea S. Klahre

Es gibt Worte, die aus einer fernen Zeit ins Heute sprechen. Muße ist so ein Wort, ein kurzes mit einer längeren Ausdehnung. Was erschließt sich, wenn man über seinen Klang und seine Bedeutungen nachdenkt – oder gar über sein Verschwinden? “Verschwindet Muße, stirbt mit dem Wort eine ganze Welt”, meint der Philosoph Holger Zaborowski und hat mit Gleichgesinnten die Gegenpole Absichtslosigkeit und Arbeit in der neuen Kategorie Arbeit 5.0 zusammengeführt.

Nachgefragt bei Holger Zaborowski

Lieber Professor Zaborowski, 2018 stand der Kultursommer Rheinland-Pfalz unter dem Motto “Industrie-Kultur”. Zu diesem Anlass haben Sie mit Ihrem Kollegen Martin W. Ramb den Sammelband Arbeit 5.0 oder: Warum ohne Muße alles nichts ist herausgegeben. Warum dieser Anlass?

Holger Zaborowski
Holger Zaborowski ist Professor für Geschichte der Philosophie und philosophische Ethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar und seit 2017 Rektor der Hochschule. Er schreibt unter anderem über Fragen des Mensch(lich)seins und hat anlässlich der Europawahl in dem Sammelband Heimat Europa? darüber nachgedacht, ob und wie Europa Heimat sein kann und soll. Foto: Matthias Cameran

Das Motto „Industrie-Kultur“ beinhaltet eine Spannung. Industrie kommt vom lateinischen “industria”, dem Wort für Arbeit, Betriebsamkeit oder Fleiß. Zu einer Kultur gehört wiederum nicht nur die Arbeit, das herstellende Handeln, das immer für etwas gut sein muss, sondern auch die Muße als mächtiger Gegenpol, die ihren Zweck ausschließlich in sich selbst findet. Das wird heute oft vergessen. Daher wollten wir daran erinnern, dass man Arbeit und Muße wieder zusammen denken muss.

Arbeit ist nur menschlich, wenn sie in Mußezeiten eingebunden ist. Weil man die digitale Arbeitswelt als Industrie 4.0 oder Arbeit 4.0 bezeichnet, wollten wir mit “Arbeit 5.0” darüber hinausgehen und die Vision einer neuen Integration von Arbeit und Muße entwickeln. Hierbei bedeuten Mußestunden nicht einfach Nichtstun; sie können sehr aktiv sein – und anstrengend. Denken Sie an jemanden, der musiziert, kocht, liest, seinen Garten pflegt oder wandert. Man muss Arbeit und Muße wieder zusammen denken weiterlesen

Gedankenspiel – 08.04.2051

08.04.2051

Liebes Tagebuch,

seit fast einer Woche hatte ich mir keine künstlichen Erinnerungen mehr eingespielt. Und ich musste feststellen: Mein realer Alltag war doch ziemlich eintönig. Um also mal wieder etwas zu erleben, hatte ich eine Elefanten-Tour in einem Naturschutzgebiet im Norden der thailändischen Provinz gebucht.

Heute morgen habe ich dann die frühe Hyperloop-Verbindung nach Chiang Mai genommen. Eigentlich wollte ich während der zweistündigen Fahrt ein wenig Schlaf nachholen, aber ich wurde derart mit Werbung beschallt, dass ich kein Auge zubekam. Hier ein Angebot für eine regenerative Koronarbehandlung, dort ein Angebot für ein bionisches Auge mit Zehnfach-Zoom und Makro, dazu ein Hinweis auf eine Schweinefarm, in der schon eine neue, auf mich abgestimmte Bauchspeicheldrüse wuchs. So ging das in einer Tour.

Am Zielbahnhof angekommen, ließ ich mich von einem autonomen Pod ins Naturschutzgebiet fahren. Es ging vorbei an gigantischen Indoor-Farmen von Pfizer, in denen Pharmapflanzen angebaut wurden. Vermutlich Tabakpflanzen, in denen Impfstoffe, Hormone oder Krebsantikörper heranwuchsen. Dann passierten wir ausgedehnte Grasplantagen von Rio Tinto. Dort wurden natürlich keine gewöhnlichen Gräser angebaut, sondern spezielle Hyperakkumulatoren, die Platin, Palladium oder Germanium aus dem Boden zogen. Gedankenspiel – 08.04.2051 weiterlesen

Boden

Absturz ins Bodenlose?

Die Natur und ihre Veränderung

von Lia Polotzek

Unsere gesamte Erde ist bis auf die Meere, Flüsse und Bergregionen von einer feinporigen, belebten Schicht überzogen – den Böden. Die Qualität der Böden ist jedoch alarmierend. Nur noch 60 Ernten wird die Menschheit einfahren können, bevor es zu einem weltweiten Boden-Burn-out kommt – das war 2015 die schockierende Analyse der Welternährungsorganisation. Da etwa 95 Prozent unserer Nahrungsmittel direkt oder indirekt aus dem Boden kommen, hängt das Überleben der Menschheit von den Böden ab. Und die Entstehung neuer Böden ist denkbar langsam: Es braucht etwa 2.000 Jahre bis zehn Zentimeter Boden entstehen. Boden weiterlesen