Natur, Kapitalismus und das Neue – Reinhard Loske im Interview

Natur, Kapitalismus und das Neue

 Interview mit Reinhard Loske

 

Herr Loske, welche Bedeutung hat die Natur in der Wirtschaft?

In der Ideengeschichte der Ökonomie gibt es ganz verschiedene Naturvorstellungen. Die Physiokraten waren der Meinung, dass die Natur der einzige produktive Faktor ist: Nur Grund und Boden können der Ursprung des Reichtums eines Landes sein. Demgegenüber ist die Natur im Marxismus wie auch im Kapitalismus auf die Funktion der Quelle und der Senke reduziert, wird also bloß als Ressource oder als Aufnahmemedium für Abwässer, Abgase und Abfälle begriffen. Der Gedanke, dass die Wirtschaft auf die physischen Grundlagen bezogen ist, ist also bei den Physiokraten viel stärker ausgeprägt. Der Marxismus und der Kapitalismus neigen systematisch dazu, die Rolle der Natur bei der Wertschöpfung zu reduzieren oder gar auszublenden. Man kann also von einer Naturvergessenheit der ökonomischen Theorie der Moderne sprechen.

Ist es dann zu begrüßen, wenn die ökonomische Bewertung der Natur immer mehr an Bedeutung gewinnt?

Das ist ein schmaler Grat. Auf der einen Seite ist es zu begrüßen, wenn man sich bewusst macht, dass die Natur uns zahlreiche Güter und Dienstleistungen gratis zur Verfügung stellt – stabiles Klima, gutes Wasser, saubere Luft, produktive Böden, biologische Vielfalt etc. Doch man läuft auch Gefahr, dass man sich in diese instrumentelle beziehungsweise utilitaristische Sichtweise verrennt. Dann geht das Unwägbare in der Natur verloren, all das, was eine besondere Saite in uns zum Schwingen bringt. Das ist ein echtes Defizit. Insofern braucht es eine umfassendere Ökonomie, die auch dieses Unwägbare miteinbezieht, ohne es direkt in Wert zu setzen oder ihm eine Dienstleistungsfunktion zuzuschreiben. Natur, Kapitalismus und das Neue – Reinhard Loske im Interview weiterlesen

Alles wird infrage gestellt werden – Günter Wallraff im Interview

Alles wird infrage gestellt werden

Interview mit Günter Wallraff

 

Herr Wallraff, der Begriff der Arbeit ist eng mit der Vorstellung von gesellschaftlichem Zusammenleben, von Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie verbunden. Hängt in einer Gesellschaft letztlich alles davon ab, welche Rolle der Arbeit zugesprochen wird, wie sie definiert und praktiziert wird? Was ist Ihre Definition von Arbeit?

Günter Wallraff ist durch diverse Reportagen über deutsche Großunternehmen bekannt geworden. Nach der zehnten Klasse verließ er das Gymnasium und begann eine Buchhändlerlehre, die er 1962 abschloss. Aufgrund seiner beharrlichen Weigerung eine Waffe in die Hand zu nehmen, wurde er beim Militärdienst zehn Monate lang schikaniert. Wallraff führte Tagebuch, aber die Bundeswehr verlangte von ihm, jegliche Veröffentlichung zu unterlassen. Als er das ablehnte, wurde er in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie des Bundeswehrlazaretts Koblenz eingewiesen. Nach einigen Wochen wurde er, wie er sagt, mit dem „Ehrentitel abnorme Persönlichkeit, für Frieden und Krieg untauglich, Tauglichkeitsgrad 6” wieder in die Freiheit entlassen. Die Veröffentlichung seiner Tagebücher aus der Zeit beim Militär war seine erste Enthüllungsgeschichte.

Arbeit sollte kein Selbstzweck sein – wie es in unserer Gesellschaft inzwischen leider Realität geworden ist. Das endet in Arbeitszwang, in „Arbeit um jeden Preis“ und führt dann dazu, dass diejenigen, die keine Arbeit haben, jede Arbeit verrichten, um dazuzugehören. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, die den Menschen danach beurteilt, was er leistet und nicht, was er erleidet. Zugleich hat sich die Bewertung von Leistung und Arbeit ins Gegenteil verkehrt, so dass die Menschen, die oftmals am meisten leisten, die größten Entbehrungen auf sich nehmen, die eigentlichen Dienste an der Allgemeinheit leisten, dafür auch noch verachtet und in der gesellschaftlichen Rangordnung nach unten gedrängt werden – dies betrifft zum Beispiel die Pflegeberufe. Das ist eine Schieflage, die die ganze Gesellschaft ruiniert, die die Demokratie unterhöhlt. Wir leben in einer Situation, in der sich eine schmale Gesellschaftsschicht über die anderen erhebt, sich selbst Vorbildcharakter zuspricht, sich selbst feiert und mit dem Rest der Gesellschaft nichts mehr zu tun hat. Sie definieren Arbeit nur als wertvoll, wenn sie ihnen die Taschen füllt – den Gebrauchswert, den Gehalt, den sinnstiftende Charakter von Arbeit kümmert sie nicht.

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Arbeit über alles? – Interview mit David Graeber

Arbeit über alles?

 Interview mit David Graeber

Herr Graeber, mit Ihrem aktuellen Buch „Bullshit Jobs“ scheinen Sie den Nerv der Zeit getroffen haben. Haben Sie dieses Echo der Öffentlichkeit erwartet?

David Graeber
David Graeber, geboren 1961 in den Vereinigten Staaten, war bis zu seiner umstrittenen Entlassung 2007 Professor für Anthropologie an der Yale University. Heute unterrichtet er an der London School of Economics and Political Science. Er ist bekennender Anarchist und Mitglied der „Industrial Workers of the World“. Graeber ist ein Vordenker der Occupy-Bewegung und Autor des Weltbestsellers Schulden. Die ersten 5000 Jahre. Foto: Wolfram Bernhardt

Das Buch geht auf den Essay „Über das Phänomen der Bullshit-Jobs“ zurück, den ich 2013 für die neue Zeitschrift Strike! geschrieben habe. In diesem Essay bin ich der Vermutung nachgegangen, dass es viele Jobs gibt, die vollkommen überflüssig sind. Fragt man sich nicht bei unglaublich vielen Jobs, die in den letzten Jahren neu geschaffen wurden, wozu sie eigentlich gut sind? Ich spreche von Jobs, bei denen sich selbst diejenigen, die sie ausführen, die Frage nach dem Sinn ihrer Tätigkeit stellen. Aber das öffentliche Echo auf diesen Essay hatten weder ich noch die Magazinmacher von Strike! erwartet: Innerhalb weniger Tage war der Artikel in mindestens ein Dutzend Sprachen übersetzt worden. Zeitungen von der Schweiz bis Australien druckten ihn nach. Die Website von Strike! brach unter dem Ansturm der Anfragen immer wieder zusammen und ich erhielt zahlreiche Zuschriften von mir völlig unbekannten Personen, die meine These bestätigten; die mir in aller Offenheit von der Sinnlosigkeit ihrer Arbeit berichteten. Im Januar 2015 führte dann das Meinungsforschungsinstitut YouGov eine Umfrage durch und das Ergebnis war, dass 35 Prozent der deutschen und sogar 37 Prozent der britischen Arbeitnehmer angaben, dass ihr Job keinen sinnvollen Beitrag für die Welt leistet. Arbeit über alles? – Interview mit David Graeber weiterlesen

„Im Herzen bin ich Anarchist“ – Reinhold Messner im Interview

„Im Herzen bin ich Anarchist“

Im Gespräch mit Reinhold Messner über gesellschaftlichen Wandel

Foto: Wolfram Bernhardt

 

Herr Messner, wie definieren Sie Freiheit?

Für mich persönlich ist Freiheit die Möglichkeit, mich nach meinen Vorstellungen entfalten zu können. Aber ich möchte gleich ergänzen: nur in dem Maße, wie ich dabei die Entfaltung der anderen nicht störe. Ich bin im Herzen ein Anarchist, das sage ich ganz offen, und zwar in der klassischen Definition des Anarchismus: keine Macht für niemand! Niemand soll mich von oben herab regieren, genauso wenig wie ich jemanden von oben herab dirigieren will. Wenn ich diesen Freiraum habe, heißt das natürlich auch, dass ich voll verantwortlich bin für mein Tun.

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Jede Generation muss sich ihrer Verantwortung stellen – Interview mit Margot Käßmann

„Jede Generation muss sich ihrer Verantwortung stellen.“

Interview mit Margot Käßmann

Frau Käßmann, die auf uns zurollende Katastrophe, klimatisch als auch gesellschaftlich, wird mittlerweile nicht mehr ernsthaft in Abrede gestellt – trotzdem reißen wir das Ruder nicht herum. Ist die Welt nicht mehr zu retten?

Margot Käßmann war lange Zeit als evangelisch-lutherische Theologin und Pfarrerin in verschiedenen kirchlichen Leitungsfunktionen tätig. Am 27. April 2012 wurde sie „Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017“ im Auftrag des Rates der EKD.

Ich hoffe schlicht auf die Vernunft der Menschen! Seit Mitte der 70er Jahre wissen wir um die „Grenzen des Wachstums“ und viele haben ja auch ihr individuelles Verhalten verändert. Aber die Politik muss handeln und ich finde, Fragen von Klimaschutz, Abgasemissionen, Plastikverbrauch sollten in den Mittelpunkt auch von Wahlkämpfen rücken.

Stattdessen erleben wir gerade wieder die Macht der Autolobby und mit Donald Trump einen Präsidenten, der schon Errungenes zurückdreht. Aber wir können wegen solcher Rückschläge nicht einfach die Hoffnung und das Engagement aufgeben. Das wäre verantwortungslos. Jede Generation muss sich ihrer Verantwortung stellen – Interview mit Margot Käßmann weiterlesen

Wir brauchen eine neue Kultur der Mäßigung – Interview mit Thomas Vogel

„Wir brauchen eine neue Kultur der Mäßigung“

Interview mit Thomas Vogel

Herr Vogel, in Ihrem neuen Buch mit dem Titel Mäßigung beschreiben Sie, wie Glück und Zufriedenheit mit der Fähigkeit zusammenhängen, sich zu beschränken. Ist die Mäßigung der entscheidende Schritt zur Befreiung von alltäglichen Zwängen und „alternativlosen“ Wirtschaftsweisen?

Thomas Vogel
Thomas Vogel ist Professor für Erziehungswissenschaft mit den Schwerpunkten Schul- und Berufspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Foto: Daniel George

Die über 2000 Jahre alte Philosophiegeschichte von Mäßigung verweist auf einen engen Zusammenhang zwischen der Bestimmung eines rechten Maßes und einem harmonischen, glücklichen und autonomen Leben. Die alltäglichen Zwänge, denen wir unterworfen sind, sind das Ergebnis der Ausbreitung eines neoliberalen Wirtschaftssystems. Die Menschen werden hierbei von einer „anonymen“ Macht beherrscht, die permanent ihre Bedürfnisse manipuliert, sie zum Streben nach dem „Immer-mehr“antreibt  und weite Teile ihres Lebens steuert. Wir brauchen eine neue Kultur der Mäßigung – Interview mit Thomas Vogel weiterlesen