Ausstellungsansicht „Das Dritte Geschlecht“ (2021); Foto: A.K.T;
Der Wert der Kultur
Text: Janusz Czech | online veröffentlicht am 10.08.2023
In unserer heutigen Gesellschaft, die sich schon mit leichten Veränderungen schwertut, ist tagtäglich eine Zerrissenheit im Umgang mit diversen Emanzipationsprozessen spürbar. Wir erleben einen beinahe unendlichen Glauben an die Chancen durch den technologischen Fortschritt und eine Offenheit etwa für Künstliche Intelligenz, die wir scheinbar selbstverständlich für die Lösung all unserer ökonomischen und ökologischen Probleme halten. Gleichzeitig stagnieren wir inhaltlich bei Themen, die wir als Gesellschaft bereits seit langer Zeit verhandeln, und verharren beispielsweise in idealisierten nationalen und religiösen Fragestellungen, die zum Teil in für die Menschheit sinnlosen Kriegen münden.
Die notwendigen existenziellen Transformationsprozesse unserer globalen Gesellschaften brauchen eine wertfreie WERT/WERTE-Debatte. Die Politik ist jedoch anscheinend immer weniger in der Lage, dies zu leisten, da sie zunehmend in ökonomischen Dimensionen denkt und sich nach Wirtschaftsinteressen ausrichtet. Die Folgen dieser Entwicklung sind bei Themen wie Bildung, Familie oder in der Gesundheits- und Kulturpolitik zu sehen und zu spüren.
Kulturräume können und müssen bei diesen Debatten eine wesentliche Rolle spielen, weil sie, unabhängig von sozialer Schichtzugehörigkeit, verbinden und bilden. Die Kunst bietet einen Freiraum für Themen, die in den breiten Bevölkerungsschichten oft (noch) wenig Platz einnehmen. Vor allem in ländlichen Regionen und kleineren Städten, die im Aufmerksamkeitsschatten von Metropolen stehen und zum Teil mit diversen sozialen Herausforderungen zu kämpfen haben, sind viele Menschen mit ihren alltäglichen Sorgen beschäftigt – Themen wie Geschlechterfragen oder Klimaveränderung können hier große Ängste auslösen, weil sie existenzielle Werte wie Religion, Tradition, Identität oder die ökonomische Sicherheit infrage zu stellen scheinen.
Ausstellungsansicht „Das Dritte Geschlecht“; Kunstwerk: Joel Peter Witkin; Foto: A.K.T;
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Gerade hierin liegt die Chance von Kulturräumen (sofern sie nicht ökonomischen Zwängen unterliegen): Sie können als Kommunikationsplattform zwischen verschiedenen sozialen Schichten vermitteln, insofern sie Themen zielgruppenspezifisch aufbereiten und so zu Orten für die Verhandlung von Werten werden können. So können auch jene politischen Debatten zugänglich gemacht werden, die breiten Bevölkerungsgruppen als abgehoben erscheinen. Diese Debatten sind für unsere multikulturellen Gesellschaften existenziell, damit Dauerkrisen nicht ein fester Bestandsteil unseres Lebens werden.
Performance des Instituts für kritische Verschwörungstheorie; Foto: A.K.T;
Im Kunstraum A.K.T; in Pforzheim erleben wir dies unmittelbar. Seit 2019 behandelt der A.K.T; in Form von Ausstellungen und Diskussionsrunden aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen. Dabei steht Auseinandersetzung mit teils kontroversen Inhalten im Mittelpunkt, die verschiedene Gesellschaftsschichten in unterschiedlicher Form herausfordern. Die Ausstellungen „Dämonkratie“, „Meat the Future“, „Risikogruppen“, „Prekärotopia“, „Das dritte Geschlecht“, „(S)election“, „Young Rebellion“ und „Die Hand Gottes“ lösten viele lebhafte und teils heftige Debatten aus, die aufzeigen, wie notwendig es ist, gesellschaftspolitische Inhalte in der Kulturwelt zu bearbeiten. Wir erlebten sehr viel Zuspruch und Offenheit, Interesse und Partizipation, aber auch Ablehnung und Blockadehaltung bis hin zu Ignoranz, Vandalismus oder Beleidigungen, etwa bei der Ausstellung „Das dritte Geschlecht“. Diese Reaktionen zeigen uns die Relevanz von Kulturorten für die Gesellschaft, da hier durch Kunst und Design Fragestellungen verhandelt werden können, die die Werte unserer Gesellschaft betreffen. ■
Dieser Beitrag ist zuerst in agora42 2/2023 WERT/E in der Rubrik WOZU KUNST? erschienen. WOZU KUNST? entsteht in Zusammenarbeit mit dem A.K.T; und dem EMMA – Kreativzentrum Pforzheim. Der A.K.T; ist ein Ort für gesellschaftliche Diskurse und ein interdisziplinäres Labor der Zukunft. Aktuelle Fragestellungen werden im A.K.T; aus dem Blickwinkel des Designs und der Kunst beleuchtet und die gesellschaftliche Relevanz von Kunst und Design sichtbar gemacht.
Janusz Czech hat Malerei, Grafik und konzeptuelle Kunst an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe sowie an der Akademie der Bildenden Künste in Wien studiert. Er ist Redaktionsmitglied bei agora42 und seit 2019 Künstlerischer Leiter am A.K.T;. 2021 war er Stipendiat an der Cité Internationale des Arts Paris sowie der Stiftung Kunstfonds. Seine mehrteilige Installation „Anarchie-Tektur“ wurde 2022 von der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland erworben.
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