Editorial der Ausgabe 02/2019

Natur – was ist das?

Natürlich sind das die im Wind wogenden goldgelben Weizenfelder, die Sandsteinfelsen über dem Nebelmeer, die der Wanderer entrückt betrachtet, der Schmetterling, dessen Farbenpracht im Sonnenschein aufleuchtet. Aber Natur ist auch die riesige Tsunamiwelle, die nicht mal mehr Zeit für den Gedanken lässt, dass es jetzt vorbei ist, oder der Heuschreckenschwarm, der ganze Landstriche verwüstet. Natur ist überdies Rohstoff, den es zu formen, zu veredeln gilt, und wieder andere sprechen von der Mutter Natur und sehen in natürlichen Kreisläufen und Gleichgewichten den Schlüssel zu einem Leben jenseits von Zerstörung, Ausbeutung und Ungerechtigkeit.

All das stimmt natürlich und Gründe, sich mit Natur zu beschäftigen, gibt es so viele, wie es Menschen, wie es Situationen gibt. Schließlich existiert die Natur nur durch den Menschen – als Vorstellung einer wie auch immer gearteten Ordnung der belebten und unbelebten Umgebung des Menschen. Deswegen ist es auch so schwierig, eine natürliche Ordnung als Vorbild zu nehmen, denn erstens findet sich in der Natur ein Beispiel für jede Ordnung (beziehungsweise Unordnung) und zweitens ist jede dieser Ordnungen eine Interpretation des Menschen.

Wir sind also auf uns selbst zurückgeworfen. Das heißt nicht, wir sollten uns gar nicht mehr mit dem Klima, der Biodiversität etc. beschäftigen; aber wenn wir das tun, sollten wir die Maske der Verlogenheit ablegen. Es ist nicht wirklich der Eisbär, der auf einer immer kleiner werdenden Eisscholle seinem Ende entgegentreibt, der uns beunruhigt. Es ist die Erkenntnis, die wie die Sonne durch den Nebel dringt, dass wir unsere Lebensgrundlagen zerstören, wenn wir so weiter machen wie bisher.

Problem erkannt, Problem gebannt? Nein, denn die Einsicht in das Ausmaß der ökologischen Bedrohung führt nicht automatisch zu einer entsprechenden Verhaltensänderung. Wäre das so, hätte man von dieser Revolution irgendetwas bemerken müssen. Stattdessen wird der gesellschaftliche Status quo verteidigt, am Grundgesetz des Wachstums und an sinnentleerten Konsumroutinen festgehalten, wird überall ganz viel gemacht, damit bloß alles beim Alten bleibt, werden wilde Ausflüchte erfunden (grünes Wachstum) und notwendige Entscheidungen ängstlich aufgeschoben (das kann man nicht, das darf man nicht …). Kurz: Es wird krampfhaft an Gewohnheiten festgehalten; an Gewohnheiten, die zu unserer wahren Natur geworden sind. Soll unsere Lebenspraxis endlich auf die Höhe unserer Einsichten kommen, müssen wir gegen unsere Natur handeln. Der Name für ein solches, unnatürliches Verhalten: Mut.

Wolfram Bernhardt Tanja Will Frank Augustin

 

 

Wir wünschen viel Freude bei der Lektüre:

Wolfram Bernhardt, Tanja Will und Frank Augustin

 

 

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