Editorial der Ausgabe 3/2019 zum Thema SINN

Editorial

der Ausgabe 3/2019 zum Thema SINN

„Was die Leute nicht hören wollen, das ist, dass es in unserem Leben eine Grenze gibt, wo wir nicht mehr mitmachen dürfen (…), wo von uns verlangt wird, etwas zu tun, was unmenschlich ist und alle Würde verletzt. Und was hier (…) verlangt wird, nämlich das Nein, darauf beruht jede Ethik, darauf beruht jedes Recht.“

Wolfram Bernhardt Tanja Will Frank Augustin
Wolfram Bernhardt, Tanja Will und Frank Augustin machen das Magazin agora42 in Stuttgart.

Dies sagte der große deutsche Jurist und bekennende Atheist Fritz Bauer. Er spricht damit das an, was man Zivilcourage nennt und was mit einem klaren und deutlichen „Nein!“ beginnt. Ein „Nein!“, dessen Fehlen jeder gesellschaftlichen Ordnung, und sei sie noch so gut konzipiert, den Boden entzieht und sie der Sinnlosigkeit ausliefert. Ohne Menschen, die im Zusammenleben Grenzen ziehen, geht jegliche moralische Orientierungsmöglichkeit verloren, ist letztlich sprichwörtlich alles egal, also gleich-gültig – und damit eben sinnlos.

Ist es nicht der fehlende Mut zum Nein, der unzählige Menschen in Burn-out und Depression rennen lässt, weil sie dem Befehl „Du musst funktionieren“ gehorchen? Ist es nicht das Ausbleiben dieses „Nein!“, das die Staaten Europas gegeneinander aufbringt – wie auch die Bürger dieser Staaten untereinander –, weil auch explizit als Veränderer auftretende Politiker wie Emmanuel Macron sich den Vorgaben des Königs Markt fügen und so die Spielräume für sinnvolle Veränderungen auf ein Minimum reduzieren? Resultiert nicht das fatale Weiter-so, das uns der Klima- und Umweltkatastrophe jeden Tag einen Schritt näherbringt, genau daraus, dass zu wenige sagen „Bis hierhin und nicht weiter“?

Es reicht! Der Abschied von der Diktatur der Braven, Selbstgerechten und Ängstlichen, in welcher Feigheit und Unentschlossenheit als demokratische Tugenden propagiert werden, steht an. Neue Sinnräume müssen eröffnet werden. Harte gesellschaftliche Auseinandersetzungen und entschlossenes Eintreten gegen zynischen Opportunismus sind dabei unumgänglich. Wer es allen recht machen will, handelt zutiefst undemokratisch und fahrlässig. Oder anders gesagt: Sinn erwächst nicht aus der Hoffnung auf eine heile Welt – gleich ob im privaten oder gesellschaftlichen Raum –, sondern aus dem Umgang mit den Widersprüchen und dunklen Seiten des Lebens. Und zumindest in letzterer Hinsicht gehen uns die Ressourcen sicher nicht aus.

Ihre Wolfram Bernhardt, Tanja Will und Frank Augustin

3/2019 SINN

9,80 

3/2019 SINN

Wie lässt sich sinnvoll wirtschaften? Muss die Arbeit einen Sinn haben? Hat der Fortschritt seinen Sinn verloren? Und was ist der Sinn des Ganzen? Diese Ausgabe fragt nach dem, was erst bewusst wird, wenn es fehlt: Wo ist er hin, der Sinn?

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Beschreibung

„Was geschieht, wenn uns die Arbeit ausgeht? Wird das Leben dann sinnlos?“, fragt gleich zu Beginn dieser Ausgabe der Gesellschaftswissenschaftler Jacob Schmidt im Hinblick auf Roboter, die Menschen künftig die Arbeit abnehmen.

Dem hält der Soziologe Armin Nassehi entgegen: „Die Welt hat keinen Sinn, den es bloß zu entdecken gälte. Der Sinn der Welt entsteht in der Sinnhaftigkeit des Beobachters.“

Aber warum erscheint die Welt immer sinnloser? „Wo ist er hin, der Sinn?“, fragt agora42-Mitgründer Frank Augustin und spricht von der Wirtschaft als einer „Sinndeponie“.

Andere halten es in Zeiten großer Veränderung für das sinnvollste, flexibel zu bleiben und die eigene Anpassungsfähigkeit zu schulen. Die Kommunikationstrainerin Constanze Eich hält dem entgegen: Sinn erfährt der, der sich einer großen Sache widmet – und im Dialog mit seinen Mitmenschen bleibt.

„Wie sinnvoll ist die Suche nach dem Sinn überhaupt? Oder braucht es nicht vielmehr Widersinn?“, fragt der Philosoph Christian Unverzagt.

Und die Ökonomin Janina Urban zeigt, dass Sinn nicht immer vernünftig und geplant erzeugt wird, sondern einen manchmal auch plötzlich erwischen kann: Die Radikalität der Liebe kann dem Leben unverhofft Sinn geben.

Ein mögliche Perspektive stellen die Ökonomie-Professoren Silja Graupe und Stephan Panther zur Diskussion: die Gemeinsinn-Ökonomie. Sie schreiben: „Gemeinsinn ist sowohl der Gegenpol zum bloß eigennützigen Privatsinn des homo oeconomicus, als auch zum Kaltsinn, der gesellschaftliches Zusammenleben nur als blinde Routine begreift.“

Diese und viele weitere Stimmen finden Sie in der Ausgabe zum Thema SINN versammelt.

Im Interview sprechen wir mit Aysel Osmanoglu, Vorstandsmitglied der GLS-Bank, über den Sinn des Schenkens, Gemeinschaftsbildung in digitalen Zeiten sowie den Übergang vom partikularen Eigenwohl hin zum kollektiven Gemeinwohl.