Editorial zur Ausgabe 2/2020 | Frank Augustin

Coverausschnitt
Covergestaltung: DMBO – Studio für Gestaltung

 

Editorial zur Ausgabe Frauen*, Männer*, Karrieren

Text: Frank Augustin

»Das bleibt offenbar das Problem, dass selbst die ‚gute Arbeit‘ den Verblendungszusammenhang reproduziert, aus dem sie befreien will. Denn nicht die Arbeitsbedingungen, sondern die Arbeit selbst (…) ist das Verhängnis, ist (…) die Vernichtungsmaschine von allem, was uns als Frucht der Arbeit versprochen ward und wird: Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit. (…) Freiheit wird vernichtet, weil Arbeit die Menschen zu Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt macht, in einer Weise, dass sie zu immer größerer Willfährigkeit, Unterwürfigkeit, und Bescheidenheit, zur Preisgabe ihrer Freiheit und ihrer sozialen Gefühle im Kampf um ihren Arbeitsplatz bereit sind. Sie geben für die Arbeit ihre Freiheit auf, weil ihnen Freiheit als Folge der Arbeit versprochen wird. Demokratie wird vernichtet, weil Demokratie politisches Denken voraussetzt, Arbeit aber nur betriebswirtschaftliche Logik zulässt. (…) Und Gerechtigkeit wird vernichtet, weil keiner, der sich im Kampf um freie Arbeit befindet, durch Arbeit auch nur annähernd so viel eigenes Vermögen produzieren kann wie jene, die über arbeitsfreies Einkommen verfügen. Der Kampf um die Arbeit vernichtet sogar das Bewusstsein von der Ungerechtigkeit der Verteilung des gesellschaftlich erarbeiteten Reichtums. Kurz: Was immer durch Arbeit produziert wird, sie vernichtet, was sie versprach.«

Natürlich ist es brutal, dies hart arbeitenden Menschen zu sagen, aber der hier zitierte Robert Menasse spricht die Wahrheit aus: Heutige Arbeit fordert einen zu hohen Preis. Wir haben uns allzu lange die Bequemlichkeit einer Arbeit geleistet, die zu »Willfährigkeit«, Kritiklosigkeit und Entsolidarisierung erzieht – und die überdies katastrophale ökologische Folgen hat. Es kann nicht angehen, dass der weitaus größte Teil der Bevölkerung Arbeit vorschieben darf, um sich vor der überlebensnotwendigen Umgestaltung der Gesellschaft zu drücken. Das ist faul, unreif und undemokratisch.

Jetzt ist von Frauen* und Männern* vor allem Mut gefordert, denn erst der gesellschaftliche Perspektivenwechsel – also: raus aus dem Wirtschaftswachstum! – wird sinnvollere Arbeit und ein sinnvolleres Leben ermöglichen. Und eins ist klar: Sinnerfüllte, zufriedene Menschen verhalten sich nicht diskriminierend gegenüber anderen. Wer andere aufgrund ihres Geschlechts, ihres Aussehens etc. herabsetzt, dem geht‘s beschissen und der will, dass es anderen so beschissen geht wie ihm. Wir werden solches Verhalten nicht aus der Welt schaffen. Aber wir sollten alles dafür tun, ihm nicht auch noch zuzuarbeiten.

Frank Augustin hat Philosophie und Geschichte studiert, dann für das Journal für Philosophie der blaue reiter gearbeitet und ist seit 2009 für agora42 | Das philosophische Wirtschaftsmagazin tätig.

Cover der Ausgabe 02/2020Ausgabe 02/2020

Es braucht mehr Frauen in den Chefetagen – aber wie viele Chefetagen brauchen wir? Gibt es ein gelingendes Leben jenseits von Karriere und Lohnarbeit? Ist Kapitalismus männlich? Was ist das eigentlich: das Geschlecht? Und auch, was ist das: die Karriere? In unserer neuen Ausgabe fragen wir nach den Möglichkeiten für ein gutes Leben für alle Geschlechter.

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