Atemlos im Geldmeer | Bernd Villhauer

Woher kommt das Geld?Foto: Geronimo Giqueaux | Unsplash

 

Atemlos im Geldmeer

Oder: Wer flutet hier wen mit was? Und warum?

Text: Bernd Villhauer

Stellt mir doch jemand neulich am Telefon die schlichte Frage: Woher kommt eigentlich das ganze Geld? Tatsächlich hören wir ja jetzt in der Corona-Krise von enormen Summen, die zur Stabilisierung der Wirtschaftskreisläufe und zum Abfedern von ökonomischen und sozialen Verwerfungen mobilisiert werden. In manchem Politikerinterview schwingt ein bisschen Stolz mit, dass man so riesige Gelder verteilen kann. Und gelegentlich verfällt man auch in martialische Rhetorik, bei der immer wieder gerne eine „dicke Bertha“ oder eine „Bazooka“ rausgeholt wird – wie seinerzeit von EU-Zentralbankpräsident Draghi und jetzt vom deutschen Finanzminister Scholz. Mit der Geldmengenerzeugung, die die Voraussetzung dafür ist, dass Politiker zeigen können, dass sie die größte Waffe haben, wollen wir uns im Folgenden einmal intensiver beschäftigen. Wenn die Bundesregierung ankündigt, nicht nur die Nettoneuverschuldung um 156 Milliarden zu steigern und das Gesamtpaket der Corona-Maßnahmen sogar rund 750 Milliarden Euro umfassen soll, dann ist ja klar, dass das nicht aus einem Sparschwein im Bundestag oder der berühmten „Portokasse“ stammt. Damit wir verstehen, wie Schulden gemacht werden, müssen wir erst einmal verstehen, woher das Geld eigentlich kommt. Woher also?

Zwei falsche Antworten

Erste falsche Antwort: das stellt die Bundesbank einfach her. Ungefähr so: Angela Merkel ruft bei Bundesbankpräsident Jens Weidmann an und sagt: „Sei doch so nett, beim nächsten Mal 750 Milliarden Euro mehr zu drucken. Wir brauchen das für dieses Corona-Dings.“

Not quite – zum einen ist das entscheidende Geld ja nicht das gedruckte (oder im Fall der Münzen das geprägte), also das real existierende Zahlungsmittel, das ich im Geldbeutel herumtragen kann. Sondern wichtig ist das Buch- oder Giralgeld. Das ist das auf Papier bzw. in Datenspeichern dokumentierte Geld, mit dem Zahlungsvorgänge getätigt werden können ohne dass etwas klimpert oder raschelt. Und davon gibt es viel mehr als vom Bargeld, ungefähr fünfmal so viel. Um dieses Buchgeld geht es also vor allem. Woher kommt das? Dazu gleich mehr.

Zweite falsche Antwort: Das Geld wird aus den Spareinlagen genommen. Ungefähr so: Olaf Scholz ruft beim Bankenverband an und fragt: „Wieviel haben die Leute denn gerade so auf ihren Konten?“ Ein zuständiger Sachbearbeiter tippt nervös in seinen Rechner und sagt „Mensch, mehr als 580 Milliarden!“ Darauf Scholz: „Schieb mal rüber auf ein Regierungskonto – wir brauchen das für dieses Corona-Dingsbums“.

Auch nicht. Allerdings ist dieses Denken ziemlich verbreitet. Manchmal finden wir sogar in Ökonomie-Lehrbüchern die Behauptung, das durch die Banken in Umlauf gebrachte Geld sei das Geld, das ihnen Sparerinnen und Sparer zur Verfügung gestellt hätten. Nicht wirklich – dann würden wir volkswirtschaftlich erheblich kleinere Brötchen backen.

Geld kommt aus der Bank. Woher auch sonst?

Bernd Villhauer
Dr. Bernd Villhauer ist Geschäftsführer des Weltethos Instituts Tübingen.

Das mit den Spareinlagen ist höchstens ein Fitzelchen der Wahrheit. Der allergrößte Teil des Geldes wird durch Kredite von Privatbanken oder durch Staatsdefizite geschaffen. Und das gilt europaweit. Die Geldmenge M3 in der Euro-Zone betrug im Februar 2020 ziemlich genau 13.147 Milliarden Euro (wie sich auf der tollen, zahlengesättigten Seite de.statista.com nachlesen lässt). „M3“ bedeutet übrigens die Menge der umlaufenden Banknoten und Münzen mit allen Einlagen bei Banken, die bis zu 3 Monate kündbar sind und Geldverbindlichkeiten, die eine Laufzeit bis zu zwei Jahren haben. Es ist also das Geld gemeint, das relativ schnell „mobilisierbar“ ist. Und diese Menge M3 wird mehrheitlich nicht einfach staatlich geschöpft, sondern entsteht, weil Privatbanken entschieden haben, Geld für Projekte zur Verfügung zu stellen, natürlich unter der Voraussetzung der Profitabilität.

Als solches Projekt können wir auch den Staat Deutschland verstehen. Dieser – und langsam sind wir in der Endgeraden für die Frage „Woher kommt eigentlich das Geld?“ nimmt u.a. neue Schulden auf, indem er Staatsanleihen verkauft. Personen oder institutionelle Anleger im In- wie im Ausland geben dem Staat Geld und dieser verspricht, es zurückzugeben nach 5, 10 oder 20 Jahren. Dieses Leihen ist umso günstiger für den Geldgeber, der dem Staat Liquidität zur Verfügung stellt, je besser das Ansehen des Staats ist. Darum dreht sich die Diskussion um Anleihezinsen für Staaten. Wirtschaftlich gebeutelte Staaten müssen höhere Zinsen auf die Staatsanleihen anbieten als solche, die für grundsolide gehalten werden. So hat Deutschland es teilweise geschafft, Anleihen zu platzieren, bei denen die Zinsen real unter Null fielen. Die Anleger zahlen Deutschland also etwas dafür, dass sie dem deutschen Staat Geld leihen „dürfen“. Denn anderswo wäre es womöglich noch schlechter geparkt.

Fremdes Geld und eigene Schulden

Nun ist noch spannend, dass diese Schulden über den Verkauf von Wertpapieren bzw. Anleihen ganz unterschiedlich verteilt sein können. Es macht zum Beispiel einen großen Unterschied, ob die eigenen Bürger solche Anleihen kaufen oder Menschen beziehungsweise Institutionen im Ausland. Für die Bundesrepublik gilt, dass ungefähr 40% inländisch gekauft werden und 60% im Ausland. Warum ist das von Bedeutung? Weil der Staat jeweils ganz unterschiedlich unter Druck gesetzt werden kann und weil die Refinanzierungsbedingungen ganz andere sind. Und neuerdings kommt noch eine neue fancy Theorie ins Spiel, die „Modern Money Theory (MMT)“. Die beschreibt nämlich Verschuldungsverhältnisse ganz anders als die üblichen Ökonomen und sieht viel größere Spielräume für Staaten, die sich in eigener Währung verschulden. Allerdings können wir uns fragen, wie sich der Blick von außen, also von den internationalen Geld- und Kapitalmärkten verändert, wenn ein Staat immer mehr in die Selbstfinanzierung einsteigt. Japan ist ein Beispiel dafür, dass über längere Zeiten Schuldtitel einfach von der eigenen Zentralbank gekauft werden können. Dieses Perpetuum mobile unter dem Berg Fuji, bei dem Geld von der einen in die andere Tasche wandert, erregt Verwunderung und Neid.

Und was ist eigentlich mit den USA, der größten Schuldnernation der Welt? Hier wird fleißig weiter auf Pump gelebt und die Anleihen sind dennoch höchst beliebt – sogar mit einem Präsidenten, der es als interessante Idee ansieht, sich Desinfektionsmittel zu spritzen. Dennoch gelten die Aussichten als gut und so fließt immer wieder Geld in die Vereinigten Staaten. Ihre Zukunft schlägt verlässlich ihre Gegenwart oder Vergangenheit.

Wenn alles fließt – wer sitzt dann am Fluss?

Vielleicht hilft es, die Geld- und Finanzmärkte nicht so sehr über feste Assets und Besitztümer zu definieren, sondern über die dynamische Veränderung ihrer Ströme, die von Zukunftshoffnungen oder -erwartungen geschaffen werden: als Geflecht von Flusspunkten und Fließgleichgewichten, weniger als feste Handelskammern mit definierten Beständen. Venedig könnte ein schönes Bild dafür sein, permanent von fließendem Wasser umgeben, in der Lagune, die zum Meer offen ist und aus der Schiffe mit großen Hoffnungen auf Gewinn hinaus fahren. Aber niemand weiß, was mit ihnen geschieht…

Und ist nicht das ein wesentliches Kennzeichen der Finanzmärkte? Dass nämlich nichts Reales gehandelt wird, sondern nur Vermutungen über Entwicklungen in der Zukunft. Fragen darf man aber schon, wessen Zukunft das ist – denn nicht jede Perspektive geht in die Zukunftsberechnungen ein. Wer hat den Nutzen und wer hat die Rendite – und wer trägt die Kosten? Es ist nicht unbedingt ein Traum für alle, der da geträumt wird.

Aber jedenfalls ist es ein Markt der Träume – und das gilt sogar für das Geld, das nur geschaffen wird für Zukunftsprojekte und Hoffnungen. Deswegen lesen Finanzmanager auch so gerne Shakespeare: „We are such stuff as dreams are made on, and our little life is rounded with a sleep.“ – Wir sind aus solchem Stoff wie Träume sind, und unser kleines Leben ist von Schlaf umringt. (Der Sturm)

Geschrieben bei einer Tasse Tee am 10.05.2020

Kolumnentitel: Finanz & EleganzIn der Kolumne “Finanz & Eleganz” geht Bernd Villhauer den Zusammenhängen von eleganten Lösungen, Inszenierungen, Symbolen und Behauptungen einerseits sowie dem Finanzmarkt andererseits nach. Grundsätzliche Überlegungen zu der Kolumne finden Sie in der Einführung.
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