“Das Kapital schafft sich eine Welt nach seinem Bilde”
Interview mit Ralf M. Damitz – Teil 1
Anlässlich der neuen agora42 WIRTSCHAFT IM WIDERSPRUCH haben wir Ralf M. Damitz zum Thema einige Fragen gestellt. Er spricht über Arbeit und Kapital, Unfreiheit am Arbeitsplatz, Armut als notwendiges gesellschaftliches Produkt sowie die Verstrickung von Demokratie und Kapitalismus …
Die neue agora42 hat den Titel „Wirtschaft im Widerspruch“. Welcher Widerspruch ist für Sie der bedeutsamste?
Für mich hat in der jüngsten Vergangenheit tatsächlich der klassische Widerspruch von Arbeit und Kapital zunehmend an Bedeutung gewonnen. Allerdings weniger aus theoretischen oder irgendwie gearteten ideologischen Gründen, sondern aufgrund für mich sehr interessanter persönlicher Erfahrungen:
Ich bin seit ca. 5 Jahren quasi nebenberuflich Betriebsrat in einem Leiharbeitsunternehmen. Dieses Unternehmen bietet soziale Dienstleistungen an, Betreuung und Assistenz von behinderten Menschen. Im Grunde genommen ist das nicht das klassische Einsatzgebiet von Leiharbeit. Es ist aber auch kein klassisches Arbeits- bzw. Tätigkeitsfeld. Denn Assistenzdienstleistungen sind noch nicht allzu lange als Lohnarbeitsverhältnis erschlossen (früher wurde das vor allem von Zivildienstleistenden abgedeckt). Das Tätigkeitsfeld ist in den vergangenen drei Jahrzehnten praktisch im Schatten der großen Themen und jenseits der politischen Aufmerksamkeit entstanden und ist deshalb bisweilen weder für Gewerkschaften, noch für politische Parteien oder Institutionen irgendwie interessant gewesen. Man hat es daher mit wenig regulierten Arbeitsbedingungen zu tun, die meist allein arbeitgeberseitig ausgestaltet worden sind. Das hat gravierenden Folgen für die ArbeitnehmerInnen.
Wer jetzt denkt, im sozialen Bereich kann das doch nicht so schlimm sein, der irrt. Gerade dort, wo caritative oder diakonische Einrichtungen, zivilgesellschaftliche Akteure, Vereine und Sozialunternehmen aktiv sind, ist ein riesengroßes Experimentierfeld in Sachen mieser Arbeitsbedingungen entstanden. Der Geschäftsführer eines lokalen Assistenzdienstleisters gab auf einer Podiumsdiskussion mal das Bonmot zum Besten, dass, wer sozial wertvolle Arbeit leiste, sich doch bitteschön nicht auch noch um vernünftige Arbeitsbedingungen, geschweige denn um angemessene Bezahlung kümmern müsse. Kein Einzelfall. Das Leiharbeitsunternehmen, für das ich arbeite, war bis zu dem Zeitpunkt, als sich der Betriebsrat gegründet hat, im Grunde genommen nicht viel mehr als eine Briefkastenfirma mit einem klar auf der Hand liegenden Geschäftsmodell: Einstellungen können im Vergleich zum Haustarif mit einem um circa 30% reduzierten Stundenentgelt, geringeren Zeitzuschlägen, viel geringeren Jahressonderzahlungen und natürlich ohne irgendeine Art betrieblicher Alterssicherung vorgenommen werden. Auch der Arbeits- und Gesundheitsschutz oder die dort praktizierten Arbeitszeitmodelle fallen meilenweit hinter gängige Standards zurück. Man kann anhand der Assistenzdienstleistungen sehr gut erkennen: Wenn Unternehmen machen können was sie wollen, wird die Arbeit und der Arbeitsplatz schnell zum privilegierten Ort gesellschaftlich gestützter Unfreiheit.
Wenn Unternehmen machen können was sie wollen, wird die Arbeit und der Arbeitsplatz schnell zum privilegierten Ort gesellschaftlich gestützter Unfreiheit.
Für mich war es enorm spannend dort Betriebsrat zu werden. Im betriebsrätlichen Alltagsgeschäft befasst man sich viel mit der Mikroebene von Kapital vs. Arbeit. Selbst wenn im sozialen Bereich nicht allzu viel Geld im Spiel ist, schützt das nicht vor den herrschenden wirtschaftlichen Dogmen. Bei uns war es so, dass der CEO des Mutterkonzerns bei einer renommierten Unternehmensberatung sein Handwerk gelernt hat und anschließend natürlich Erfolge einstreichen wollte. Und was passiert, wenn es gilt, ein durchschnittliches Unternehmen betriebswirtschaftlich gut dastehen zu lassen? Natürlich wird das große Sparen verordnet, denn zuerst müssen die Zahlen stimmen! Man bekommt dann auf der einen Seite von der Geschäftsführung unaushaltbare unternehmerische Floskeln, allerlei wirtschaftsideologischen Legitimationsquatsch und manchmal auch saftige Lügen serviert. Auf der anderen Seite sieht man, wie auf Seite der KollegInnen regide Wirtschaftsplanung, schlecht organisierte Arbeitsabläufe und mangelnde unternehmerische Fürsorge die individuelle Belastung in die Höhe treiben und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Stimmung ins Bodenlose sinkt. Dann hilft natürlich nur eins: Don´t mourn – organize!
Don´t mourn – organize!
Insgesamt zeigt sich dabei die nach wie vor recht grundsätzliche Widersprüchlichkeit der kapitalistischen Vergesellschaftung durch Lohnarbeit: Der Lohn, der für diejenigen, die von ihrer Arbeit leben müssen, die Lebensgrundlage darstellt, wird, selbst in seiner prekären Form, für ihre Gegenüber, die Unternehmer, in roten Zahl dargestellt; Lohn ist Kostenfaktor und damit ein Posten, der prinzipiell zu hoch ist, da er immer dem Gewinn entgegensteht. Darunter leiden natürlich ebenso die Arbeitsbedingungen, auch sie werden durch Kostendruck grundlegend umgekrempelt. Im Kommunistischen Manifest steht sinngemäß der Satz: Das Kapital schafft sich eine Welt nach seinem Bilde. Ich denke, diese Aussage ist für unsere Gegenwart wörtlicher zu nehmen denn je.
Eines hat sich für mich bei meiner Arbeit als Betriebsrat deutlich gezeigt: Angewandte Betriebswirtschaft ist noch immer eines der effektivsten Mittel im Klassenkampf von oben.
Angesichts der enormen Bedeutung und der immer stärkeren Konzentration des Kapitals: Sehen Sie die Demokratie und mit ihr den Wohlfahrtsstaat durch diese Entwicklung gefährdet?
Was den Wohlfahrtsstaat betrifft, so ist es keine allzu steile These, wenn man behauptet, dass er mithilfe der neoliberalen Agenda längst gründlich umgebaut wurde; dieser Wandel wird seit Bill Clinton mit der Floskel From Welfare to Workfare umrissen. Man kann sicherlich Grundsicherung, Transferzahlungen gemeinsam mit anderen wohlfahrtsstaatlichen Angeboten zum zivilisatorischen Standard zählen; allerdings ist der Wohlfahrtsstaat gegenwärtig ebenso Disziplinarregime, das Armut verwaltet, tendenziell auch selbst produziert, und das vor allem allerlei Zumutungen für seine Klientel bereithält – Chancen dafür wesentlich seltener. Es ist letztlich immer eine Sache der Maßstäbe, die man zur Beurteilung anlegt. Mein Maßstab ist ungefähr folgernder: Die Bundesrepublik gehört zu den reichsten Industrienationen der Erde und gerade deshalb ist der neoliberal getrimmte Wohlfahrtsstaat und die dazugehörigen Diskussionen, beispielsweise über die Höhe von Hartz IV oder über die so genannten Sozialschmarotzer, eine einzige Farce. Als Farce aber eben auch kein Zufall. Schließlich leben wir in einer Klassengesellschaft, in der die Verteilung des produzierten Reichtums relativ bekannten Gesetzen gehorcht und Armut dabei als notwendiges gesellschaftliches Produkt herauskommt. Das allerdings gehört nicht zum Sagbaren des aktuellen bürgerlichen Politikbetriebes.
Zum Stichwort Demokratie denke ich, wir haben es bei diesem großen Wort mit einer sehr vielschichtigen und ernstzunehmenden Problematik zu tun. Vieles spricht zunächst für die These, dass Macht und Einfluss des Kapitals nachhaltig die Sphäre des Politischen (national wie international) durchdrungen haben und dadurch demokratische Prozesse und Entscheidungsfindungen verändern, stören oder sogar gefährden. Ich finde hier beispielsweise die Zeitdiagnose von Wolfgang Streeck, der aktuelle Entwicklungen als Ende des herkömmlichen Kapitalismus interpretiert und ein neues Aneignungs- und Ausbeutungsregime entstehen sieht, recht interessant. Allerdings möchte ich den Akzent mal ein wenig verschieben.
Wenn man den Spieß mal umdreht und fragt, wo und wann sich denn die parlamentarische Demokratie – und das heißt natürlich: die legitimierten MandatsträgerInnen – in den letzten Dekaden als Bollwerk gegen Forderungen des Kapitals verstanden haben, dann sieht es irgendwie recht mau aus. Mehr noch: Das politische Geschäft der demokratisch legitimierten Akteure im professionellen Politikbetrieb besteht zu einem nicht geringen Teil darin, aktiv dafür zu sorgen, dass die Anpassung der gesellschaftlichen Strukturen an die als Sachzwänge interpretierten ökonomischen Notwendigkeiten so ausfällt, dass auch in der Zukunft eine prosperierende (heimische) Wirtschaft möglichst saftige Profite generieren kann. Und wir wissen aus der jüngsten Vergangenheit, dass dabei nahezu alle Bereiche der Gesellschaft zur Disposition stehen. Das zeigt aber, dass die Demokratie und demokratische Institutionen tief in die Bestands- und Zukunftssicherung der kapitalistischen Ordnung verstrickt sind.
Die Demokratie und demokratische Institutionen sind tief in die Bestands- und Zukunftssicherung der kapitalistischen Ordnung verstrickt.
Im Klartext: Die parlamentarische Demokratie bürgerlicher Prägung ist die dem modernen Kapitalismus adäquate Herrschaftsform.
Wenn man also von einer Krise der Demokratie sprechen möchte, würde ich nicht die Konzentration des Kapitals als entscheidendes Problem sehen, sondern: Dass es an einem kollektiven politischen Akteur mangelt, der – populistisch ausgedrückt – den Mächtigen und Einflussreichen in Politik und Wirtschaft eine ernsthafte Lektion in Sachen Demokratie bzw. Demokratisierung erteilen könnte.
“Das Kapital schafft sich eine Welt nach seinem Bilde” – Interview mit Ralf M. Damitz (Teil 1)
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Ralf M. Damitz studierte Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie. Er lebt und arbeitet in Kassel.