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Mit mehr Markt und mehr Respekt vor ökologischen Grenzen
Text: Philipp Krohn | Gastbeitrag | veröffentlicht am 25.07.2023
Der Ökoliberalismus ist eine eklektizistische Lehre, die den klassischen Liberalismus erweitern möchte, damit vorstellbar wird, wie sich individuelle Freiheit innerhalb der planetaren Grenzen verwirklichen lässt, so Philipp Krohn in seiner Re-Replik auf Reinhard Loske.
Das war ja eine schöne Überraschung: Eine Partei mit der Programmatik, wie ich sie in meinem Buch Ökoliberal vorgestellt habe, wäre für umweltbewusste Menschen eine echte Alternative – so hat der ökologische Ökonom Reinhard Loske in der vergangenen Woche in seiner Replik auf meine Thesen geschrieben. So ein Zuspruch aus der Feder eines der einflussreichsten Umweltpolitiker dieses Landes, der auch wissenschaftlich wertvolle Beiträge veröffentlicht hat, adelt das Vorhaben, mit mehr Markt und mehr Respekt vor ökologischen Grenzen auf die globale Ökokrise zu reagieren.
Natürlich verfolgt das Konzept des Ökoliberalismus keine parteipolitischen Absichten. Aber wünschenswert wäre es schon, dass in den führenden Parteien Positionen anschlussfähiger würden, die eine klare Priorität von Umwelt- und Klimaschutz erklären, schädliche Emissionen verbindlich auf einem vertretbaren Niveau deckeln und darunter den Markt aushandeln lassen, auf welche Weise Haushalte und Industrie diese Ziele erreichen. Leider fehlt es bislang an einem Wettstreit ökoliberaler Ideen mit ökosozialen, ökokonservativen und ökolibertären Ansätzen, da diese bislang nicht ansatzweise ausbuchstabiert sind.
Technologieoffenheit allein reicht nicht…
Loske liest aus meinem Auftaktartikel zu dieser Debatte, dass ich den Ökoliberalismus im Handeln der real existierenden liberalen Partei, der FDP, nicht verwirklicht sehe. Und tatsächlich, das ist kein Geheimnis, lässt die Regierungspartei wesentliche Elemente einer Synthese aus Umweltbewusstsein und Marktwirtschaft vermissen. Für sie ist es ausgemacht: Die Technik wird uns aus der Klimakrise herausführen. Deshalb müssten wir weder Verbrauchsmuster noch Mobilitätsverhalten hinterfragen.
Das ist ein riskantes Spiel und widerspricht dem Geist der ansonsten wie ein Mantra vor sich hergetragenen Technologieoffenheit. Wir können hoffen, dass wir mit harten Emissionsgrenzen genügend Innovationen anstoßen, damit die Transformation nicht zu schmerzhaft wird. Aber wir wissen nicht, ob das klappt. Und wer sich ein wenig mit dem Zusammenhang von Entropie, ökonomischen Prozessen und Wachstum befasst, findet plausible Gegenargumente, über die man offen nachdenken sollte.
Der FDP ist (von einzelnen Mitgliedern abgesehen) glaubhafte Empathie für den Zustand des Planeten selten anzumerken. Bevor sich ihre Mitglieder im Meinungsstreit um einen Verlust von Artenvielfalt, das Sterben der Korallenriffe oder das Austrocknen von Flüssen sorgen, biegen sie schnell auf ihren Technologie-/Innovationspfad ab und pochen auf die individuelle Freiheit. Dazu gleich mehr.
… ist aber zugleich besser als ihr Ruf
Aber nun zur Verteidigung der FDP: Das Prinzip der Technologieoffenheit ist viel besser, als es im Twitter-Spott behandelt wird. Dass ein Verbrennerverbot Porsche und Siemens davon abgehalten hätte, in Chile den gesamten Wertschöpfungsprozess der Wasserstoffproduktion und -logistik auszutesten, hätte niemandem genutzt. Wenn es diesen Industriekonzernen gelingt, den Kick eines 911er-Sportwagens künftig klimaneutral zu erzeugen, wäre es mir sehr recht. Vielleicht fällt dabei als Abfallwissen sogar noch der Prozessschritt ab, der die Wasserstoffnutzung thermodynamisch viel effizienter macht. Wir wissen es nicht, aber wir können es probieren. Mit privatem Kapital.
Hier glauben die Grünen, Umwelt-NGOs und zwei Drittel von Twitter meistens, schon vor dem Experiment seinen Ausgang zu kennen. Eine Rückbesinnung auf Friedrich August von Hayek hilft wirklich weiter. Der Ökonom hat überzeugend dargelegt, dass Fortschritt das Ergebnis vieler unkoordiniert handelnder Akteure ist, dem nicht bürokratisch vorweggegriffen werden sollte. Eine so verstandene Anmaßung des Wissens würde zu schlechteren Lösungen führen als das Vertrauen auf den Markt, der im Ökoliberalismus durch Emissionsgrenzen in Bahnen gelenkt würde.
Der Ökoliberalismus ist eine eklektizistische Lehre
Nun verweist Loske zurecht auf die libertäre Schule, aus der Hayek hervorgegangen ist. Die Staatsferne seines Lehrers Ludwig von Mises wirkt aus der Perspektive der politischen Praxis hochgradig irritierend. „Der Staatsapparat ist ein Zwangs- und Unterdrückungsapparat“, hielt von Mises fest. „Das Wesen der Staatstätigkeit ist, Menschen durch Gewaltanwendung … zu zwingen, sich anders zu verhalten, als sie sich aus freiem Antriebe verhalten würden.“ Das mag manchen Libertären, der sich sein Grillsteak, seinen Mallorcaflug und seine Porschefahrt nicht verbieten lassen will, noch zusprechen. Sein bemerkenswerter Ausspruch auf einer Tagung der superliberalen Montpèlerin-Gesellschaft, der auch Hayek und der spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard angehörten, zeigt seine Radikalität: „Ihr seid nichts als ein Haufen Sozialisten.“
Ökoliberalismus kann nur als eine eklektizistische Lehre funktionieren. Zu Zeiten Adam Smiths und John Stuart Mills waren Umweltprobleme noch nicht so gravierend wie heute. Man muss im Werk dieser bedeutenden ökonomischen Denker nach Textstellen suchen, aus denen sich herauslesen lässt, wie sie heutige Wertabwägungen treffen würden. Auch der neben Mill und Hayek dritte große Ökonom im Bund ökoliberaler Vordenker, Amartya Sen, würde sich nicht selbst einer solchen Schule zugehörig beschreiben. Aber mit dem US-amerikanischen Philosophen John Rawls hat er Konzepte entworfen, wie sich das Verhältnis von individueller Freiheit und kollektiver Verantwortung angesichts einer globalen Bedrohung wie der Ökokrise ausloten lässt.
In Reaktion auf den Spruch des Bundesverfassungsgerichts von März 2021 muss der Gesetzgeber nach Wegen suchen, wie er das Klima effektiv schützt, ohne die individuelle Freiheit zu stark einzuschränken. Der Reflex auf das Gebäudeenergiegesetz war in Teilen der Bevölkerung sehr ablehnend. Offenbar nahmen sie es als zu restriktiv wahr. Ökoliberalismus kann einen Beitrag leisten, zu besseren Wertabwägungen zu kommen.
Den Homo Oeconomicus mit dem Homo Politicus verbinden
Dennoch hat Loske in seiner Replik einen bedenkenswerten Punkt, wenn er dem Liberalismus eine zu einseitige Fokussierung nachsagt. Individuelle, bürgerliche, wirtschaftliche und wissenschaftliche Freiheitsrechte seien dominant. Immer wieder nehmen Teile der Öffentlichkeit es überrascht auf, wenn hohe FDP-Funktionäre für das Kartellrecht eintreten, um den Wettbewerb zu bewahren. Wie Loske schreibt, schreckt „ökonomische Machtballung“ allzu selten Liberale. Daher die Irritation.
Der britische Historiker Timothy Garton Ash sieht es als Zeichen einer Krise des Liberalismus, dass „Davos-Liberale“ vom Schlage Bill Clintons und Tony Blairs zu lange mit der globalen Wirtschaftselite gekungelt hätten. Und dass digitale Großkonzerne wie Google, Amazon und Facebook zu Machtkonglomeraten werden konnten, widerspreche liberalen Grundgedanken einer Wettbewerbswirtschaft. Dem habe sich aber kaum jemand entgegengestellt.
Was Amartya Sen und die Heidelberger Schule der ökologischen Ökonomik um Malte Faber und Reiner Manstetten für diese Überlegungen so wertvoll macht, ist ihr Vorschlag, wie sich individuelle Freiheit mit natürlichen Grundlagen des Planeten in Einklang denken lässt. Die ausschließliche Ausrichtung der modernen Ökonomik am menschlichen Bedürfnis greife zu kurz. Sen plädiert dafür, Freiheit um eine Präferenz für den Erhalt der Lebensgrundlagen zu erweitern. Faber und Manstetten stellen neben das Konzept des Homo Oeconomicus den Homo Politicus, dem sie ein Nachhaltigkeitsinteresse zusprechen. In Anlehnung an Aristoteles empfehlen sie, nach dem rechten Maß zu suchen. Dieses lässt sich produktiv mit der Idee des ökologischen Fußabdrucks verbinden.
Mehr als eine grüne Fassade
Angesichts der Bedrohung durch Klimawandel und Artenverlust bleibt der Ökoliberalismus nicht dabei stehen, das Haus mit „grünen Wänden“ und einem „grünen Dach“ auszustatten, wie Loske schreibt. Die Denkschule will Grundlagen dafür schaffen, dass industrielle Prozesse nachhaltig werden, dass Menschen klimaneutral mobil sind, sich ernähren, wohnen und Energie beziehen. Aber sie glaubt, dass auch die Innenräume des Hauses nachhaltig gestaltet sein müssen, indem mehr Bürger ohne Zwang ein Interesse an Nachhaltigkeit und am Erhalt des Planeten entwickeln. Diese Freiheit wäre keine Einschränkung individueller Bürgerrechte, sondern die Verwirklichung der größtmöglichen individuellen Entfaltung im Rahmen objektiv messbarer ökologischer Grenzen. ■
Philipp Krohn hat Volkswirtschaft und Germanistik studiert und ist Redakteur in der Wirtschaftsredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo er über wirtschafts- und sozialpolitische Themen schreibt und für die Reportage-Seite „Menschen und Wirtschaft“ zuständig ist. Sein Buch Ökoliberal. Warum Nachhaltigkeit die Freiheit braucht ist im März 2023 erschienen (Frankfurter Allgemeine Buch).
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