Nachhaltige Wirtschaft braucht die Finanzwende
Interview mit Gerhard Schick
Sie haben sich aus der Politik verabschiedet, weil Sie der Meinung sind, dass eine grundlegende Reform im Finanzwesen derzeit nur erzielt werden kann, wenn die Zivilgesellschaft den Druck auf die parlamentarische Politik erhöht. Ist das eine Kapitulation des Politikers Gerhard Schick?
Nein, ich war und bin begeisterter Parlamentarier und der Schritt ist mir nicht leicht gefallen. Doch die kommende Aufgabe ist wichtiger: ein zivilgesellschaftliches Gegengewicht zur Finanzbranche aufzubauen. Die Sorge, dass sich der Finanzsektor zu sehr von seiner eigentlich dienenden Funktion für die Gesellschaft verabschiedet hat, durchzieht alle Schichten und politische Richtungen. Das gehen wir jetzt an und sammeln interessierte Bürgerinnen und Bürger, Wissenschaftler und Finanzmarktexperten unter dem Dach der Finanzwende. Das erfordert meine ganze Kraft und geht nicht vom Parlament aus.
„Die Finanzkrise ist nicht überwunden, sondern verlagert sich vom Börsenparkett in die privaten Wohnzimmer“ – heißt es auf der Homepage des Vereins Bürgerbewegung Finanzwende. Was ist damit gemeint?
Was wir beobachten ist eine steigende Finanzialisierung, also die zunehmende Durchdringung des Finanzmarktes in mehr Bereiche des täglichen Lebens. Beispiel Immobilien: Diese werden immer häufiger zum Anlage- und Spekulationsobjekt. Große Investoren wissen aufgrund der Niedrigzinsphase nicht wohin mit ihrem Geld und kaufen den Markt leer. Die Frage, ob und wie die Immobilie genutzt wird spielt dabei eine untergeordnete Rolle – solange die Rendite stimmt. Es findet also eine Entkoppelung von dem Gebrauchsgut Immobilie und ihrem eigentlichen Nutzen statt. Die steigenden Preise spüren die Menschen zuhause, auch jenseits der Großstädte.
Eine Reform des Finanzsektors würde bedeuten, dass diejenigen, die gerade den größten Einfluss haben und das meiste Geld verdienen, auf diese Privilegien künftig verzichten. Wie realistisch ist das beziehungsweise warum glauben Sie, dass so ein Ziel zu erreichen ist?
Wir können den Kontrollverlust über den vielleicht wichtigsten der Wirtschaftszweige nicht zulassen, das fliegt uns sonst um die Ohren. Daran haben alle Bürgerinnen und Bürgerinnen ein Interesse und die sammeln wir in unserer Bürgerbewegung. Damit verändern wir das Kräfteverhältnis zulasten derjenigen, die heute von diesem Kontrollverlust profitieren. Etwa bei den Bankenrettungen, als in wenigen Wochen Milliarden mobilisiert wurden zugunsten von Anleihegläubigern und Bankaktionären aus Angst vor einem Zusammenbruch der gesamten Wirtschaft. Oder beim CumEx-Skandal, bei dem kriminelle Experten den Staat und damit uns alle jahrelang fast unbemerkt ausrauben konnten.
Selbst wenn es gelänge den Finanzsektor zu demokratisieren und somit die Bürgerinnen und Bürger stärker an den Profiten partizipieren zu lassen, würde das dazu führen, dass mehr konsumiert wird. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass bei unserer Art und Weise zu Wirtschaften mehr Müll, mehr Umweltverschmutzung entsteht. Brauchen wir gleichzeitig mit der Finanzwende auch eine Wirtschaftswende?
Den Zusammenhang gibt es, auch in die andere Richtung: Eine wirkliche, nachhaltige Transformation unserer Wirtschaft im Sinne der Ziele der Vereinten Nationen (SDGs) geht nur mit einer Finanzwende. Die Finanzströme müssen zugunsten nachhaltiger und langfristiger Investitionen umgelenkt werden, ökologische Risiken systematisch bei Anlageentscheidungen berücksichtigt werden. Viele Bürgerinnen und Bürger, aber auch viele Finanzdienstleister möchten dazu ihren Beitrag leisten und wollen bspw. in nachhaltige Anlagen investieren. Doch da geht es bereits los, denn es ist gar nicht so einfach, sein Geld auf wirklich saubere Art zu investieren. Die Beratung dazu ist ungenügend, es fehlt an Produkten und an den nötigen vergleichbaren Informationen. An dieser Seite setzen wir mit der Finanzwende an.
Die Bürgerbewegung Finanzwende wurde 2018 mit dem Ziel gegründet das Finanzsystem zu reformieren. Ziel ist es, das Gewinnstreben in Einklang mit den sozialen, ökonomischen und ökologischen Zielen der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals) zu bringen.