Die Wirtschaft – unendliches Wachstum? Ein Essay von Frank Augustin

Die Wirtschaft – unendliches Wachstum?

Text: Frank Augustin

Wir schreiben das Jahr 2018. Seit zehn Jahren wird das Raumschiff Erde von einer Krise heimgesucht; eine Krise, die als Banken- und Finanzkrise begonnen hatte und sich dann von der Ökonomie auf Ökologie, Soziales und Politik übertragen hat. Lebenswichtige Systeme drohen auszufallen. Doch die Crew setzt weiterhin auf Wirtschaftswachstum.
Erscheint Ihnen dies nicht auch sonderbar und sogar verantwortungslos? Sind die negativen Auswirkungen des Wirtschaftswachstums nicht unübersehbar? Nicht nur, dass dadurch die Umwelt ruiniert und für Klimachaos gesorgt wird, sondern es entzieht sich auch – dynamisch, wie es eben ist – letztlich jedem Versuch, es gesellschaftlichen Belangen unterzuordnen (also beispielsweise für eine gerechtere Verteilung zu sorgen etc.).

 

Frank Augustin
Frank Augustin ist Magazinmacher bei agora42.

Kein Wunder also, dass viele nun – vernünftigerweise – dafür plädieren, die Wirtschaft vom Kopf auf die Füße zu stellen, bevor man die Errungenschaften der letzten 200 Jahre Wachstumskultur wieder verspielt. Geld kann man nicht essen, heißt es dann beispielsweise; oder: Wirtschaft sei für den Menschen da und nicht umgekehrt. Als halbwegs kritischer Beobachter seiner Zeit kennt man das, findet es vernünftig und nickt spontan mit dem Kopf.

Doch was vernünftig erscheint, bleibt naiv, solange Unvernünftiges unvernünftigerweise unberücksichtigt bleibt. Denn Wirtschaft ist so ziemlich das Gegenteil von Vernunft. Das fängt beim Geld an, an das alle glauben müssen, damit es funktioniert. Und wir wissen ja, was mit Gott passiert, wenn man nicht mehr an ihn glaubt: wuschhhhhhhhhhhhhh … Das zeigt sich aber auch daran, dass sich Finanzspekulation – also mehr oder weniger Glücksspiel – als global wichtigste Form des Wirtschaftens etabliert hat. Und das hört beim Konsum nicht auf, der auf Emotionen, Wünschen und Fantasien basiert – also nicht unbedingt auf dem Vernunftbegriff der Aufklärung.

Wir haben keine Kultur, in welche die Wirtschaft eingelassen wäre, wir haben eine Wirtschaftskultur. Wir haben keine Demokratie, welche die Regeln der Wirtschaft bestimmt, wir haben eine Wirtschaft, die der Demokratie die Richtung vorgibt. Wir haben keinen Fortschritt, was Mut, Lebensfreude, Liebe, Großmut, Charakterstärke, Charme, Gemeinsinn, Fairness oder Selbstständigkeit betrifft, sondern wir haben technischen Fortschritt. Letzterer ist bekanntlich kein Fortschritt mehr, weil der Sinn und Zweck technischer Entwicklungen aus den Augen verloren wurde: die Befreiung des Menschen und die Weiterentwicklung seiner Möglichkeiten. Anders gesagt: Wenn Demokratie und Freiheit nichts mehr zählen, kann Technik nichts mehr nutzen.

Summa summarum: Von einem 200-jährigen Drogentrip kommt man nicht eben mal runter, indem man mit ernster Miene und erhobenem Zeigefinger an die Vernunft appelliert. Dann bekommt man höchstens einen anderen Finger gezeigt.

Die aktuelle Ausgabe der agora42 versammelt Gespräche zu den Themen Wirtschaft und Philosophie. Das Inhaltsverzeichnis finden Sie hier.

Wie schwierig es ist, unsere Wirtschaftskultur zu verändern, wird in den Interviews mit Ulrike Herrmann und Michael Heise deutlich, die anschaulich machen, wie tief wir in der Wachstums- und Fortschrittslogik stecken; oder wie weit wir uns aufs offene Meer hinausgewagt haben … Bei David Graeber zeigt sich dann, dass bereits unglaublich viele Menschen ihre Arbeit verloren haben; nicht, weil sie keinen Job mehr hätten, sondern weil diesem Job jeglicher Sinn abhanden gekommen ist. Sinnentzug gegen Entlohnung – das erinnert an Michael Endes Momo. In die Kerbe „Arbeit“ schlägt auch Günter Wallraff, wenn er einerseits von „Arbeit um jeden Preis“ spricht und andererseits davon, dass in unserer sogenannten Leistungsgesellschaft ausgerechnet jene Nachteile auf sich nehmen müssen, die oftmals am meisten leisten – man denke an die Pflegeberufe. So zeigt sich gerade bei der Arbeit, dass die verbindende und sinnstiftende Kraft der ökonomischen Weltanschauung aufgebraucht ist.

Aber lesen Sie selbst!

agora42 ist das philosophische Wirtschaftsmagazin.

Seit 2009 nehmen wir die Auswirkungen und Konsequenzen der Finanz- und Wirtschaftskrise in den Blick. Wachstum? Fortschritt? Sinn? Geld? In der aktuellen Ausgabe fassen wir das Wichtigste zusammen: Gesellschaftlicher Wandel? Sprechen wir drüber!