Jede Generation muss sich ihrer Verantwortung stellen – Interview mit Margot Käßmann

„Jede Generation muss sich ihrer Verantwortung stellen.“

Interview mit Margot Käßmann

Frau Käßmann, die auf uns zurollende Katastrophe, klimatisch als auch gesellschaftlich, wird mittlerweile nicht mehr ernsthaft in Abrede gestellt – trotzdem reißen wir das Ruder nicht herum. Ist die Welt nicht mehr zu retten?

Margot Käßmann war lange Zeit als evangelisch-lutherische Theologin und Pfarrerin in verschiedenen kirchlichen Leitungsfunktionen tätig. Am 27. April 2012 wurde sie „Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017“ im Auftrag des Rates der EKD.

Ich hoffe schlicht auf die Vernunft der Menschen! Seit Mitte der 70er Jahre wissen wir um die „Grenzen des Wachstums“ und viele haben ja auch ihr individuelles Verhalten verändert. Aber die Politik muss handeln und ich finde, Fragen von Klimaschutz, Abgasemissionen, Plastikverbrauch sollten in den Mittelpunkt auch von Wahlkämpfen rücken.

Stattdessen erleben wir gerade wieder die Macht der Autolobby und mit Donald Trump einen Präsidenten, der schon Errungenes zurückdreht. Aber wir können wegen solcher Rückschläge nicht einfach die Hoffnung und das Engagement aufgeben. Das wäre verantwortungslos.

In Ihrem Buch Schöne Aussichten schreiben Sie, dass man mit dem Alter auch von einigen liebgewonnenen Gewohnheiten Abschied nehmen muss. Ist es auch die Aufgabe unserer Gesellschaft, von liebgewonnenen Gewohnheiten (Wachstum, Wohlstandsmehrung etc.) Abschied zu nehmen? Und wie kann Abschied nicht nur als Verlust empfunden werden?

Es gibt auch eine Ethik des Genug. Und die muss nicht mit moralisch erhobenem Zeigefinger daherkommen. Wer für sich selbst sagen kann, es ist genug, lebt ja auch zufriedener und muss nicht ständig einem vermeintlichen Mehr nachjagen. Wer einmal nachdenkt weiß genau, dass die entscheidenden Dinge im Leben nicht käuflich sind: Liebe, Vertrauen, Familie, Glück, Freundschaft.

Peggy Hetmank-Breitenstein, eine junge Philosophin aus Jena schrieb uns: „Wer möchte heute eigentlich in einer der nächsten Generationen leben? Ich nicht.“ Wie kann den jungen Menschen wieder Mut für die Zukunft gemacht werden?

Meine Mutter hat als junge Krankenschwester die Bomben auf Berlin erlebt, musste ihre Heimat verlassen, lebte zwei Jahre in einem Internierungslager. Ihr wurde gesagt: In diese Welt kann man keine Kinder setzen – sie hat vier bekommen. Meiner Generation wurde gesagt: Angesichts von Bedrohung durch Atomwaffen und Bevölkerungswachstum sollte man keine Kinder in die Welt setzen – ich habe vier bekommen. Inzwischen habe ich sechs Enkelkinder. Ich bin überzeugt: Jede Generation muss sich ihrer Verantwortung stellen. Wir übergeben die Staffel des Engagements für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung.

Derzeit durchforsten technikbegeisterte Wissenschaftler äußerst kapital- und technikintensiv das Weltall, um einen Planeten zu finden, auf den die Menschheit im Katastrophenfall auswandern kann. Würden Sie – im Falle des Falles – gerne auf einem anderen Planeten neu anfangen?

Ich bin in einem Alter, in dem ich mich auf die letzten Dinge im Leben vorbereite. Auf einem anderen Planeten neu anfangen würde ich nicht. Aber am Ende ist das doch ein absurder Gedanke, oder? Wir zerstören diesen wunderbaren Planeten, auf dem wir leben. Aber statt uns für seine Gesundung, den Erhalt einzusetzen, suchen wir einen neuen? Das entspricht letzten Endes der Logik der Wegwerfgesellschaft, finde ich.