Philosophieren ist in mehreren Hinsichten hilfreich, auch im Business-Leben

Philosophieren ist in mehreren Hinsichten hilfreich, auch im Business-Leben

Im Gespräch mit Philosophie-Coach Ronald Wellach

Herr Wellach, viele Menschen fühlen sich von ihrer Arbeit gehetzt, getrieben, genervt. Was fehlt dem Job, wenn er sinnlos scheint?

In der philosophischen Praxis-Beratung berichten die Klienten häufig, dass ihnen im Job der Bezug zu ihrem „eigentlichen“ Sein und ihrer tatsächlichen Welt-Erfahrung fehle. Viele erfahren ihre beruflichen oder geschäftlichen Tätigkeiten (zum Beispiel als Ingenieure oder Ärzte oder betriebswirtschaftliche Leitungskräfte) eher als Mitspielen in einer Wirtschafts- oder Politik-Welt des kooperativen Dauer-„Scheins“ (vor dem Hintergrund übrigens einer verbreiteten Angst vor dem Zusammenbruch dieses Scheins) und der mangelnden persönlichen „Freiheit“ in einem stark regelgeführten System mit allerlei formalen Funktionsrollen. Das wären schon einmal drei wichtige philosophische Begriffe, mit deren Hilfe man sich an so etwas wie „Sinn“ abarbeiten oder sich ihm im Beratungs-/Coaching-Prozess annähern kann.

Können Jobs überhaupt so sinnvoll sein, dass man allein durch ihre Ausführung automatisch Sinn erfährt?

Nils Bergmann
Ronald Wellach ist Berater, Coach und seit 2013 Inhaber der Philosophischen Praxis Lübeck. www.philosophische-praxis-luebeck.de Foto: Nils Bergmann

Grundsätzlich haben Jobs in der arbeitsteiligen und auch kulturell hochdifferenzierten modernen Welt eher nicht die Aufgabe, individuellen oder gruppenbezogenen „Sinn“ bereitzustellen, was immer der Einzelne mit diesem Wort verbinden mag. Jobs sind vielmehr systemisch eingerichtete Funktionsstellen mit der Aufgabe (ihrem Sinn!), den Betrieb (als autopoietisches System) am Laufen zu halten.
Dennoch ist der jeweils einzelne Mensch, jedenfalls der in der philosophischen Beratung begegnende, auf so etwas wie „Sinn“ gestellt. Einen solchen kann er prinzipiell auf allen möglichen Ebenen seiner Existenz erleben oder konstruieren. (Ich verwende hierfür gern ein ausdifferenziertes Diagnose-Modell meiner Existenzebenen-Analyse „TEEA“.) Dies geschieht vor allen Dingen durch bestimmte Wahlen im beruflichen wie im privaten Bereich, mit denen der Einzelne versucht, seinen vielen Lebens-Optionen, die er in Leib und Geist vorfindet, einen Raum in der gelebten eigenen Wirklichkeit zu verschaffen. Dabei ist er stets mehr als seine Element-Funktion im System, auch wenn das heute im verbreitet durchgesetzten (aber auf einem missverstandenen Konstruktivismus beruhenden) „systemischen“ Prozess-Coaching gern verdrängt und in willkürliche „Wertschätzungs“-Zwänge zugunsten der Systemerhaltung übertragen wird. Beim Philosophieren bleiben wir eher bei der wahrheitsorientierten Perspektive der Einzelnen in ihren Welten…

Was ist Philosophieren? Und kann man es lernen?

Als philosophischer Praktiker und Kommunikationsberater gehe ich davon aus, dass Menschen auch und gerade im Business immer mal wieder ins eigene Denken (also ins In-Frage-Stellen) geraten. Sie beginnen spätestens dann zu philosophieren, wenn sie sich auf ihre eigenen „Gehirn-Einstellungen“ hin befragen. Viele machen sich auf den Weg, ihre Denkordnung zu erkennen oder zu verstehen und ihre Handlungen in einen Begründungszusammenhang zu bringen. Man kann auch sagen: Sie suchen ihre „Wahrheit“, gern im Plural, weil es geschlossene Glaubenssysteme nach dem Modell der Religionen heute nur noch am Rande gibt. Man kann also ganz klassisch das altgriechische Wort so stehen lassen: Philosophieren heißt, die Wahrheit, gern auch als Weisheit, zu lieben und zu suchen. Oder moderner, leicht psychologisierend ausgedrückt: sich in eigenem Nachdenken und in Gesprächen mit Gleichgesinnten seiner Stellung in der Welt und zu sich selbst in seinen vielen Existenzebenen zu versichern. (In der Beratungspraxis gibt es hierfür neben Einzelgesprächen dann auch philosophierende Gruppen.)
Wie jede menschliche Fähigkeit kann man natürlich auch das Philosophieren lernen, sich eigene Bilder von der eigenen Person und ihren Welten zu machen, dabei über Techniken der Sach- und Selbstreflexion sogar sein eigener Persönlichkeits-Coach werden. Das Lernen findet seine Stütze in fachlich-geführten Gesprächen aus Alltagsbegriffen heraus, aber natürlich auch in der Beschäftigung mit den möglichen Weisen des (Nach-) Denkens, wie sie in den Begriffs- und Begründungsmodellen der Philosophie überliefert sind. Jeder Klient, jede Klientin bemerkt bei diesem Tun sehr bald, was für ihn in seiner Selbst- und Weltinterpretation „wesentlich“, also „wahr“ und „sinnhaft“ ist.

Inwieweit kann das Philosophieren für das eigene Business-Leben von Nutzen sein?

Die philosophische Gegenfrage lautet natürlich: Was ist „Nutzen“ und muss denn alles im Leben „nützlich“ sein? Ich würde vielleicht lieber sagen: Philosophieren ist in mehreren Hinsichten hilfreich, auch im Business-Leben. Ich nenne hier nur sechs Aspekte, die in der Beratung tatsächlich erlebbar und besprechbar vorkommen:

a) Zu philosophieren heißt unter anderem auch, unvoreingenommen an die Gedanken-Modelle (und Handlungen) von anderen heranzutreten und ihren Gehalt nach benennbaren Kriterien zu prüfen. Das ist gut für neue Projekte in allen Abteilungen.
b) Philosophieren zu lernen bedeutet (erkenntnistheoretisch) immer auch, die Relativität von Perspektiven zu erkennen und anzuerkennen. Das macht es zum Beispiel möglich, sein eigenes Kommunikationsverhalten in allen Business-Situationen zu überprüfen. Und in der Unternehmenskommunikation ist die Adressaten-Perspektive ohnehin das sine qua non (allerdings nur in der Theorie).
c) An Denkmodellen zu philosophieren heißt auch, eine grundlegende Flexibilität einzuüben, die heute in jedem Business gebraucht wird, etwa wenn auf immer neue Anforderungen der Kundenseite oder anderer Abteilungen im Unternehmen konstruktiv reagiert und „agil“ weiterentwickelt werden muss.
d) Die Philosophie bietet auch eine Schule der Argumentation, sammelt und reflektiert insbesondere Figuren und Techniken der Rhetorik und ethische Anwendungsregeln. So etwas bereitet zum Beispiel auf Verhandlungen oder Fachvorträge/-diskussionen recht gut vor.
e) Wer philosophiert, nimmt an einem Zusammenhangstraining teil. Er blickt gewissermaßen „von oben“ auf die Strukturen und Entwicklungen, die ihn als Zusammenhangs-Welten umgeben und einbinden. Klarheit über wirtschaftliche wie kulturelle Zusammenhänge zu gewinnen, kann für Unternehmen in globalen Zeiten existenz-rettend sein – und für den Einzelnen ein motivierender „Sinn“-Effekt.
f) Philosophische Gespräche, Lektüren und Übungen befördern letztlich eine Haltung relativer intellektueller (aber oft auch leiblicher) Angst-Freiheit. Die den seltsam gestressten modernen Menschen nicht nur im Business hintergründig umtreibende Angst kann wahrscheinlich nicht durch das nächste „Like“ auf ein um Anerkennung bettelndes Social-Media-Posting bekämpft werden, wohl aber durch die philosophisch inspirierte Konzentration auf „Wesentliches“ in der immer schon (zu) kurzen Lebens-Zeit des Einzelnen. Ars longa. Vita brevis. (Die Kunst ist lang, das Leben kurz.) Das Bewusstseinstier Mensch weiß halt, dass es sterben wird. Wenn es philosophiert, lernt es, mit dieser Lage konstruktiv zurechtzukommen und seinen eigenen Weg zu gehen, im Business und anderswo. Auf dem hilft das philosophisch erlernte Selber-Denken regelmäßig weiter als zufällige diskursive Trends oder „wissenschaftlich“ aussehende Statistiken…


 

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