(Wir) Zombies | Georg Seeßlen

Zombie mit MaskeIllustration: DMBO – Studio für Gestaltung

 

(Wir) Zombies

Text: Georg Seeßlen

Zombie: Mythos und Magie

Der Begriff Zombie entstammt der zentralafrikanischen Bantu-Sprache Kimbundu und leitet sich aus dem Wort „nzùmbe“ ab, das allgemein einen „Totengeist“ bezeichnet, so wie es ihn in jeder Mythologie der Welt gibt: Die klare Grenze zwischen lebend und tot, eine der „primären Unterscheidungen“ bei der Entwicklung von Sprache und Zivilisation, wird durch Wesen infrage gestellt, die nicht wirklich leben und nicht wirklich sterben können. Es gibt eine Schuld für diesen tragischen und gefährlichen Umstand, die bei den Untoten selbst, aber auch bei den Anverwandten (die ihn nicht in der vorgeschriebenen Weise bestatteten und betrauerten) oder schließlich bei finsteren Mächten oder Kulten liegen kann, die sich in die Ur-Ordnung von Leben und Tod einmischen. Wie alle Gespenster, Geister, Wiedergänger, Halbwesen, Untoten und Dämonen ist auch ein „nzùmbe“ teils bedrohlich und teils mitleiderregend.

Zu einem sehr speziellen Mythos wurde der Zombie bei der Wanderung nach Haiti und in den Kulten der als Sklaven verschleppten afrikanischen Menschen. Dieser Mythos setzte sich zusammen aus Erinnerungen an die ursprünglichen Vorstellungen, aus Erfahrungen mit dem Leid von Ausbeutung, Fremdheit und Gewalt, aus Übernahmen christlicher Elemente und aus Elementen von Kritik, Subversion und „Untergrund“. Kurzum: Der Mythos differenziert sich, und er „politisiert“ sich – übrigens nicht nur für sich selbst: Der Voodoo-Kult, der sich den Zombie einverleibt, gehört zu den Projektionsflächen einer weißen Angst vor der schwarzen Revolte. Seiner magischen Subversion entspricht eine rassistische Unterstellung. Zombies gehören, neben den ägyptischen Mumien, den indischen Assassinen-Sekten, den amazonischen Pfeilgiften und aztekischen Menschenopfern zu den kolonialen und postkolonialen „Unheimlichkeiten“, die, mit einer gehörigen Portion Angstlust versehen, zu Bestandteilen des kollektiven Träumens, zu Motiven der Kolportage, der populären Mythologie, der Unterhaltungsindustrie wurden.

In der haitianischen Voodoo-Mythologie wird eine Unterscheidung zwischen Zombie cadavre und Zombie astrale vorgenommen. Die Ur-Form des Zombie astrale ähnelt dem Gespenst: Es handelt sich um eine verlorene Seele, die im Tod von ihrem Körper getrennt wurde. Voodoo-Zauberer oder -Priesterinnen können diese verlorenen Seelen einfangen und in besondere Gefäße einsperren, die zum Beispiel bei Angehörigen aufbewahrt werden können, um die Einsamkeit dieser verlorenen Seele zu mildern – oder wenigstens den Angehörigen das Gefühl vermitteln, alles für den Ruhelosen getan zu haben, der nicht in Frieden ruhen konnte (das „Ruhe in Frieden“ auf den christlichen Grabstätten konnte man immer schon auch so interpretieren: Gib Ruhe und lass’ die Lebenden in Frieden!).

Unter Zombie cadavre dagegen versteht man einen Menschen, der von einem Voodoo-Priester oder einer -Zauberin durch einen Fluch getötet und anschließend in einem Ritus wieder belebt wird, aber in einer besonderen Form: Der Wiedergänger hat keinen eigenen Willen mehr, muss in aller Regel seinen Herren und Herrinnen zu Diensten sein und kann als Arbeitssklave verwendet werden. (Man könnte also auch von einem magischen Reenactement der Versklavung sprechen, oder von einer subversiven Aneignung von Herr/Sklave-Verhältnissen.) In einer Ableitung dieses Mythos ist der „zombifizierte“ Mensch nicht wirklich tot, sondern nur in einem andauernden Trance-Zustand, der seinen Willen lähmt. Man nimmt an, dass die reale Zombifizierung durch ein giftiges Gebräu hervorgerufen wird, bei dem neben den üblich verdächtigen Pflanzenzutaten auch Knochen und Kröten eine Rolle spielen. Durch dieses Gift werden Kreislauf und Atemtätigkeit so weit herabgesetzt, dass der Eindruck eines Toten entsteht.

Der Zombie cadavre ist die, für westliche Verhältnisse, grauenerregendere Variante. Der Unterschied zu einem „Gespenst“ liegt eben darin, dass es sich um eine vollständig körperliche Art des Untoten handelt. Man könnte es sogar als „Negativ“ des Geistes ansehen, da der Zombie als willenloses Wesen, oft ohne Erinnerung, ohne Emotion, ohne Sprache, von den Toten zurückkehrt. Entscheidend für die Tiefenwirkung des Mythos aber ist wohl neben der Metapher der Versklavung und Entseelung die fundamentale Scheidung von Körper und Bewusstsein des Menschen. Diese Unterscheidung – auch eine von Gestalt und Wesen, nebenbei – ist es schließlich auch, die den Zombie von der Mythologie über die Pop-Kultur in den akademischen Bereich trägt, wo er als „philosophischer Zombie“ zum Gedankenexperiment für den Menschen ohne Bewusstsein wird (oder für den Beweis seiner Unmöglichkeit, je nachdem).

Wie alle Mythen im Allgemeinen, die postkolonialen Mythen aber im Besonderen, so entfaltet sich auch der Zombie-Mythos um Fragmente realer Ereignisse und um kultische Handlungen, die es wirklich gab oder gibt. Die Ethnobotaniker haben das Gift rekonstruiert (auch der selbst leicht mythische „Kugelfisch“ soll dabei eine Rolle spielen), die Ethnologen die mythische Genesis, und die Soziologen die Funktion des Mythos für den Zusammenhalt der post-sklavischen communities. Ist der Zombie-Mythos damit „aufgeklärt“? Falsche Frage. Der Mythos lebt jenseits der Aufklärung, und er lebt, eingeschlossen ins Reich der Tatsachen, reduziert auf einen harten Kern, toxisch und verführerisch, in ihr fort.

Dass die ersten „großen“ Zombie-Filme wie Jacques Tourniers I WALKED WITH A ZOMBIE (1943) – nach dem „Pionierfilm“ des Genres, Victor Halperins WHITE ZOMBIE (1932), und einigen billigen Nachahmern, darunter die bizarre Travestie KING OF THE ZOMBIES (1941) – gerade in den 40er-Jahren entstanden, mag einer Stimmung in der amerikanischen Traumfabrik entsprechen, in der Fremdheit, Grauen und Wiederkehr des Verdrängten eine wesentliche Rolle spielten und sich mit einem Geschmack am Exotischen paarten. Zombie-Filme sind von ihrem Ursprung her „noir“, sie spielen selbst in ihrem Genre, dem Horror, eine Rolle des Außenseiterischen und Subversiven. (Diese Position hatten sie im übrigen auch in der Serie der farbigen Remakes der klassischen Horrorfilme durch die britische Firma Hammer in den frühen 60er-Jahren.)

Möglicherweise spielt bei der etwas marginalen Position des „traditionellen“ Zombie-Films gerade der mythisch-politische Untergrund eine gewisse Rolle. Das Subgenre drängt förmlich danach, zur Metapher über Freiheit und Unterdrückung, Rasse, Klasse und Geschlecht, Magie und Vernunft zu werden. Anders als bei Dracula, Frankenstein und seinem Ungeheuer, Dr. Jeckyll und Mr. Hyde oder dem Werwolf entzieht sich das Zombie-Motiv einer endgültigen Ikonografie und einer schlüssigen Verbindung des Schrecklichen mit dem Schönen. So musste lange Zeit der arme Zombie eine Rolle in der zweiten und dritten Liga des Horrorfilms spielen. Bis zu jenem Tag im Jahr 1968, an dem George A. Romeros NIGHT OF THE LIVING DEAD in finsteren kleinen Kinos auf ein Publikum traf, das definitiv auf Bilder für sein grundsätzlich verstörtes Verhältnis zur politischen und sozialen Wirklichkeit wartete.

Der moderne Zombie

NIGHT OF THE LIVING DEAD hielt sich mit einer mythischen Erklärung der Untoten nicht lange auf; sie steigen aus ihren Gräbern nicht um neue Sklaven und „Werkzeuge“ finsterer Despoten zu werden, sondern um wahllos Menschen anzufallen, in kannibalischer Gier. Die erste Eigenschaft dieses Films – wie die anderer Arbeiten der „jungen Wilden“ im Horror-Genre wie Wes Craven, Tobe Hooper oder, mit Einschränkungen, John Carpenter – war: Drastik. Es ging, und dafür war der Zombie cadavre in der Tat das beste Material, um Körper-Horror. Nichts Unheimliches und Vages fand hier statt, sondern der direkte Angriff auf die Ganzheit des Körpers. Romeros Nachfolgefilm, DAWN OF THE DEAD, genau zehn Jahre nach der cineastischen Geburt des modernen Zombie, war denn auch zugleich der Schlüsselfilm für die Brutalisierung des amerikanischen Films (die Susan Sontag übrigens sehr zu Recht als „Vietnamisierung“ bezeichnete, also als Reflex auf eine ebenso schreckliche wie „sinnlose“ Erfahrung von Gewalt) und für den metaphorisch-subversiven Gehalt des neuen Subgenres, das in den Jahren darauf eine ungeheure Produktivität, nicht nur in den USA, sondern auch in Italien, in Spanien oder in Hongkong erlebte. Kaum eine Gestalt hat es so vermocht, Drastik und Diskurs miteinander kurz zu schließen, denn George A. Romero ging es augenscheinlich darum, das Publikum zugleich zum Kotzen und zum Nachdenken zu bringen. Die Metzeleien im Konsumparadies eines Einkaufszentrums waren durchaus als Gesellschaftskritik zu lesen, und in seinen folgenden Zombie-Filmen (was die Drastik anbelangt, hatten ihn andere schon überflügelt) wie DAY OF THE DEAD machte Romero diese Kritik explizit und untermauerte sie durch Aussagen in Interviews und Statements zu seiner Arbeit.

Ein Kino der Provokation von Ekel und Gewalt (und fast ganz ohne den erotischen Unterton der traditionellen, „gothischen“ Horror-Motive) und eine politische Metapher waren gleichzeitig entstanden. Diese Zombies kamen nur einerseits aus den Gräbern und aus den Alpträumen des Unterbewussten, sie kamen andererseits aus der Gesellschaft des beginnenden Neoliberalismus, aus historischer Traumatologie, und aus den Depravations-Erfahrungen der Macher wie der Zuschauer. Die Zombies waren die unterdrückte Wahrheit des Systems, sie waren die Rache für das Schweigen, die Korruption, die strukturelle Gewalt, die Ausbeutung des Mainstream. Sie kamen als Masse, und ihre Gewalt richtete sich gegen die Masse. Das Subjekt spielte nur noch insofern eine Rolle, als es sich im Überlebenskampf gegen die Zombifizierung seiner Welt zu erkennen geben musste, wie in allen Katastrophen: Das Beste und das Schlechteste musste zum Vorschein kommen. (Übrigens war die „Infektion“ der Menschheit und die Transformation in mordgierige, besinnungslose Bestien keine vollkommen neue Erfindung: Der willenlose und fundamental versklavte Mensch war schon durch Aliens etwa in INVASION OF THE BODY SNATCHERS, die nahezu vollkommene Bestialisierung der Massen durch eine Pandemie wie in THE LAST MAN ON EARTH geläufig; der moderne Zombie aber ist die direkteste Abbildung des Desasters: Es gibt keine andere Ursache für die Zombifizierung als den Zustand der Gesellschaft selbst.)

Natürlich entstanden bald zahlreiche Filme, die auf die ursprünglichen sozialkritischen Aspekte pfiffen und sich hingebungsvoll der Produktion von Ekelbildern widmeten: Einerseits der halb verweste, „offene“ und zerfallende Körper des Zombies, der auf weiteres Zerfetzen nicht reagiert, es sei denn, man zerstört sein „Instinktzentrum“, nämlich das Gehirn, andererseits der zerfetzte, blutende, offene Körper der Angefallenen, die sich daraufhin selbst in Untote verwandeln und Jagd auf die Lebenden machen (exponenzielles Wachstum der Zombifizierungen). Und das Subgenre nahm wiederum in den 80er- und 90er-Jahren eine Differenzierung in diverse Linien vor, in denen sich gleichsam ein Kanon der Zombie-Darstellungen entfaltete, zu dem wir heute wenig mehr hinzufügen können, der aber, wie beispielsweise in der TV-Serie The Walking Dead in wahrhaft epische Breite gebracht werden kann.

Diesen Kanon könnte man wie folgt auflösen:
– Der überflüssige Mensch. Der Mensch, der weder arbeitet noch Ordnung und System vertritt.
– Der Mensch, der weder leben noch sterben kann. Der „Unterlebende“, der den „Überlebenden“ ein grausames Zerrbild liefert.
– Der nicht zu Ende gestorbene, nicht betrauerte, nicht verabschiedete Mensch.
– Der Sklave, dem man zuerst den Körper und dann die Seele geraubt hat.
– Der Mensch ohne Bewusstsein (der „philosophische Zombie“).
– Der Mensch ohne Zukunft und ohne Transzendenz.
– Der Zombie ist der Mensch ohne Sprache.
– Der Zombie ist die verbrauchte Arbeitskraft, die nur menschlichen Giftmüll hinterlassen hat – das noch einmal Körper gewordene Entsorgungsproblem der Konsumgesellschaft.
– In einer Seitenlinie des Genres ist er ein Nachfahr der Kolonialisierungsopfer, der „kaputte Eingeborene“, die „nackte“ Gestalt des Sklavenaufstandes.
– Der entleerte Mensch; der „Mensch ohne Inhalt“, der durch Arbeit und Konsum vollständig absorbierte Mensch.

Dabei geht es nicht darum, dass Zombies reine Metaphern und Statements solcher gesellschaftlicher Zuschreibungen sind, es gibt immer auch Elemente des „Katastrophenfilms“, der eine Art moralische Bewährungs- und Auslesedramaturgie befolgt: Wer ist es wert, gerettet zu werden? Wem geschieht die Katastrophe ganz recht? Wer kann seinem Opfer einen Sinn geben? Wie fällt die Entscheidung zwischen Moral und Vernunft aus? Etc.

In aller Regel muss der Zombie es sich gefallen lassen, in größter Drastik gezeichnet zu werden. Dass er Menschen zerfleischen muss, dass er eine zerfallene, verweste, eklige Physiognomie aufweist, dass er „toxisch“ ist und jeden, den er gebissen hat, wiederum in einen Zombie verwandelt, das muss sein, damit er in die Muster des Horrorfilms hineinpasst. Möglicherweise ist diese Drastik, die den Zombie eben auch zum Objekt von Aggression und Jagdlust macht, nur eine Maske, hinter der sein wahrer Schrecken lauert. Was, wenn die Zombies einfach nichts tun würden, nur da stehen, mit leeren, traurigen Gesichtern, ohne Plan, ohne Heimat, ohne Sinn und ohne Nutzen? (Schließlich ist der Schaden, den sie anrichten, immer auch ein Negativ-Nutzen; wie jede Krise und jede Katastrophe ist auch der Zombie ein extremer Test für Mensch und Gesellschaft, und insbesondere in den Zombie-Apokalypse-Filmen, in denen Zombies den Untergang der Welt, wie wir sie kannten, und das heißt vor allem: den Untergang des westlichen Bündnisses von Kapitalismus, Demokratie, progressistischer Technologie und Medienkultur, bewirkten, muss sich zeigen, was die „Überlebenden“ an Charakter und Ideen aufzuweisen haben.) Die wahre Katastrophe, darin sind sich die Filme der Romero-Linie einig, sind nicht die Zombies selbst, sondern die Reaktionen der Menschen auf sie.

Je älter die Untoten, desto aristokratischer – und „schöner“ – sind sie. Der Vampir-Graf von einst freilich verwandelte sich in den mittelständischen Vorstadt-Teenager-Vampir in der „Twilight Saga“, der Werwolf wurde vom schrecklich tragischen, sexuellen und animalischen Doppelwesen zum Untergrund-Bewohner. (Der Vampir ist, wenn auch zugleich Strafe, so doch immerhin Verheißung erotischer Ekstase.)

Zombie-Filme sind denn auch Straf- und Rachefantasien. Sie machen kaputt, schmutzig und blutig, was einen selbst kaputt macht. Während die Vampire verzweifelt um Form und Disziplin kämpfen, ist den Zombies wirklich alles egal. Sie haben kein Gewissen, aber auch die orgastische Lust des Vampirs scheint ihnen verwehrt. Ihr Schrecken kommt nicht zuletzt daher, dass sie in denselben Klamotten des Alltags herumlaufen, die sie im Leben trugen. Was der Vampir zu viel hat an „Nekromantik“, das haben die Zombies zu wenig.

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Die Zombifizierung der Ökonomie

Wenn man sich vorstellt, dass es eine offizielle und eine „Schattenwirtschaft“ gibt, also eine Wirtschaft, die im Verborgenen agiert, an Kontrollen, Verboten und Steuern vorbei, dann ist der Zombie-Ökonomie eine dritte Funktionsweise zugewiesen, nämlich die einer untoten Aktivität; eine „Zombie-Firma“ etwa ist eine, die wirtschaftlich tot ist, aber sozial am Leben erhalten wird, die sozusagen über ihren Tod hinaus am Leben erhalten wird – Niedrigzinspolitik wird deshalb auch als ein Instrument der Zombifizierung betrachtet, weil sie einer Firma, die nach den traditionellen „Marktgesetzen“ verschwinden müsste, durch gleichsam toxische Darlehen ein Nachleben gestattet.

Zombie-Firmen sind aber nicht einfach nur untot; indem sie den Markt verstopfen, ziehen sie auch andere Firmen mit. Wie der drastische Zombie des Kinos, so frisst auch eine Zombie-Firma (zum Beispiel Rohstoffe, Arbeitskraft, Lieferverträge, Räume etc.) ohne „Stoffwechsel“, sie macht wirtschaftliche Räume unbewohnbar, unbelebt. Dort, wo Zombiefirmen existieren, kann nicht gleichzeitig eine „lebende Firma“ sein. Zombie-Unternehmen vermindern das Wachstumspotenzial der Wirtschaft, ohne zugleich eine Erneuerung zu ermöglichen (sie sind, wie man sich denken kann, nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch untot).

Ein Zombie-Job wiederum ist eine Arbeit, die weder der Produktion noch der Reproduktion dient. Beispielsweise arbeiten Menschen in kleinen Unternehmen, als prekäre Selbständige etc. weiter, obwohl ihre Arbeit kein Einkommen mehr generiert; sie haben ihren eigenen ökonomischen Tod nicht erkannt und machen auf traumwandlerische, oft auch durchaus militante Weise weiter. Subjektiv gesehen sind Zombie-Jobs solche, die nichts anderes bieten, als gerade den Lebensunterhalt zu bekommen, die also weder Glück noch Karriere generieren und die Möglichkeiten eines Menschen nicht nutzen. Umgekehrt ist eine Zombie-Arbeit jene, die gar nichts mehr mit einer Produktion zu tun hat, sondern ebenfalls nur dem „Weitermachen“ dient. So wie die Zombie-Wirtschaft weiterarbeitet, weil sie nicht sterben kann (ganz so, wie Gespenster weiterleben, weil man ihnen einen angemessenen Tod, ein angemessenes Begräbnis, ein angemessenes Gedenken verweigert), so arbeitet der Zombie-Arbeiter weiter, obwohl ihn sein Unternehmen, seine Mitarbeiter, die Gesellschaft nicht mehr brauchen.

Daraus entsteht zweifellos eine toxische Wirkung: Aus Zombie-Unternehmen und Zombie-Arbeit werden Zombie-Verwaltungen, Zombie-Marketing (in der Zeit des Corona-Virus lief über zahlreiche Sender und Netze und Publikationen Reklame für Reisen, Events und Unterhaltungen, die längst abgesetzt waren). Zombie-Unternehmen und Zombie-Arbeit werden zu dauerhaften Instanzen (too big to fail), geprägt von einer labyrinthischen Konstruktion der Interdependenzen, die eine Auflösung – den berühmten Vorgang eines Zombie-Tötens – gar nicht mehr möglich macht (davon erzählen regelmäßig die „Dilbert“-Comics).

Während es durchaus „Leben“ in der Schattenwirtschaft gibt (ganze Landstriche, ganze Segmente, ganze Kulturen könnten ohne Schattenwirtschaft nicht existieren), ist die Zombie-Wirtschaft aggressiv: Wird sie als solche erkannt, muss sie mit Vernichtung rechnen. Daher ist es tatsächlich folgerichtig, wenn Zombie-Ökonomie destruktiv wirksam wird. Die Firma, die längst pleite ist, „frisst“ noch eine andere und verwandelt diese in ein weiteres Zombie-Unternehmen; der Zombie-Arbeiter, der nicht mehr produktiv sein kann, hält einen Stab von Mitarbeitern und Untergebenen, die vielleicht seinen Wert erhalten sollen, sich in Wahrheit aber selbst in Zombie-Arbeiter verwandeln. (Sklaven, die verbergen wollen, dass sie ihren Herrn verloren haben und die, ganz im Sinn der alten Zombies, zu jeder Tat bereit sind.)

Die größte Gefahr indes besteht in der Entwicklung des Zombie-Kapitals: Unternehmen, die unrentabel sind, aber von Banken unterhalten werden (unter anderem, um die eigene Reputation nicht zu gefährden, aber durchaus auch aus einer gierigen Blindheit heraus – eine klassische Definition des Zombie-Wesens: blinde Gier), verwandeln auch das Kapital in Zombie-Kapital. Das Kapital wächst also nominell, aber nicht real. Wenn auch die Bank selbst zombifiziert wird, geht die toxische Wirkung auf jene Instanzen über, die sie ihrerseits am Sterben hindern. Eine Zombiebank ist ein Finanz-Unternehmen, das einen negativen Substanzwert, aber einen positiven Buchwert aufweist (da dieser etwa Kredite listet, auf die keine reale Hoffnung besteht). „Das Management einer Zombiebank versucht“, so steht es in der Wikipedia, „diese Abschreibungen hinauszuzögern und bestehende Probleme zu verschweigen, da es sonst sofort zu einem Bankenrun kommen würde. In diesem Fall wäre die Bank nicht nur überschuldet, sondern auch illiquide – also zahlungsunfähig. Das Management hofft in dieser Phase typischerweise auf einen rettenden Investor oder staatliche Unterstützung, kann sich dabei strafrechtlich allerdings bereits des/der fahrlässigen oder betrügerischen Bankrotts/Krida bzw. der Insolvenzverschleppung schuldig machen.“ (de.wikipedia.org/wiki/Zombiebank).

Der Zombie-Kapitalismus findet keine Welt mehr, die er erobern, unterwerfen und kapitalisieren kann, deswegen muss er selbst eine Gespensterwelt erschaffen, mit der er diesen Prozess der Landnahme simulieren kann, um einen fiktiven Wert zu erzeugen. Der Wert kann in der (digitalen) Welt, in der Arbeit am wenigsten zur Produktion benötigt wird, nur noch durch seine zwei Negationen erzeugt werden: Durch eine willkürliche „untote“ Setzung und durch die Entwertung. Alles außer dem Kapital (einschließlich des Menschenlebens selbst) muss entwertet werden, damit sich das Kapital selbst künstlich aufwerten kann: Es drückt gleichsam nur noch sich selbst aus, und in diesem Selbstausdruck spielen gerade jene, die es nicht haben, eine entscheidende Rolle. Dass die „Schere zwischen den Reichen und den Armen immer weiter aufgeht“, wie selbst die wohlwollendsten Kritiker bemängeln müssen, ist demnach kein lästiger Nebeneffekt, es ist vielmehr eines der zentralen Elemente der Transformation des lebenden in den untoten Kapitalismus. Wenn es wirklich „Wohlstand für alle“ geben könnte, dann wäre das Kapital ja kaum noch etwas wert. Das Kapital ist so viel wert, wie es Elend produzieren kann. Und zu diesem produzierten Elend gehört, wie es Sybille Berg ausdrückt, dass am Ende der Zombifizierung eben der Mensch selbst steht: Wir Untote. Es sind Wesen, die nicht nur kein Bewusstsein, sondern auch keine Empathie, überhaupt keine Emotion mehr kennen: Zombie-Kapitalismus ist in dieser Blickweise einer, der „macht, dass es keine Anteilnahme mehr gibt, der immer mehr Menschen zu Bittstellern und Abhängigen macht, der sich kichernd ausbreitet, während wir einander hassen“. (spiegel.de/kultur/gesellschaft/mitgefuehl-und-gier-wir-zombies-des-kapitalismus-kolumne-a-1128768.html)

Der untote Kapitalismus produziert nicht mehr krisenhaft, er produziert Krisen; die Krise ist sein eigentliches Produkt. Nach jeder dieser Krisen ist die Arbeit weiter entwertet und das Kapital zugleich weiter (fiktiv, aber unwiderruflich) aufgewertet. Dem „kleinen Sparer“ droht die Bank schon seit geraumer Zeit mit einer Negation seines, nun ja, „Kapitals“. Das ist nicht nur ein weiterer Schritt in der Umverteilung des Vermögens von unten über die Mitte nach oben. Es besagt auch, dass ein untotes Kapital unter keinen Umständen und an keinem Ort „zur Ruhe kommen“ darf. Zombies schlafen nicht …

Ein wesentlicher Bestandteil der Zombie-Ökonomie sind der Konsument und die Konsumentin. Sie fallen über Ware her, nur um sie ihren Mitmenschen zu entreißen, sie müssen etwas „konsumieren“, was sie weder verdauen noch verarbeiten, sie schaffen es nicht mehr, die erworbene Ware mit „Leben“ zu erfüllen, sondern infizieren sich vielmehr (wie etwa in einem Smart Home, das im Internet der Dinge kommerziell vernetzt ist, wo der Konsum schon ohne Bewusstsein und ohne Willensentscheidungen stattfindet) am Untoten der Dingwelt. Die Zombie-Ware dürfte jene sein, die gleichsam im Augenblick des Erwerbs jegliche Funktion verloren hat. Die nur das Haben-Wollen, das Anfallen und Zerfetzen ausdrückt.

Es ist nicht so sehr die Frage, ob die Zombie-Metapher für alle Aspekte unseres Wirtschafts- und Politik-Lebens zutreffend ist; es ist vielmehr ihr Wuchern selbst, das man durchaus als Alarmzeichen sehen könnte. Wir haben keine Angst vor Zombies, wir haben Angst vor der Zombifizierung unserer Welt. Wir haben Angst vor der Erkenntnis: Die Zombies, das sind wir selbst.

Man könnte sich schließlich so etwas wie einen „Endkampf“ zwischen Zombies cadavres und Zombies astrales vorstellen: Einen Kampf von Körpern ohne Seelen gegen Seelen ohne Körper. Oder, um das Modell in die Ökonomie zurückzuspiegeln: Produktivität ohne Sinn gegen Sinn ohne Produktivität. Die radikalste Aussage des Zombie ist dann: Du kannst die Menschen retten, wenn du den Kapitalismus opferst, oder: Du kannst den Kapitalismus retten, wenn du die Menschen opferst. Beides geht nicht (mehr). ■

Dieses Porträt ist zuerst in agora42 3/2020 CORONA & DIE ZOMBIEWIRTSCHAFT erschienen.
Georg Seeßlen
Georg Seeßlen ist freier Journalist und Autor und widmet sich insbesondere dem Film und der Medienkultur. Zuletzt von ihm erschienen: Kapitalistischer (Sur)realismus. Neoliberalismus als Ästhetik (Bertz + Fischer, 2018); in Kürze erscheint: Coronakontrolle. Nach der Krise, vor der Katastrophe (bahoe books).
Vom Autor empfohlen:
SACH-/FACHBUCH
Karl Marx: Das Kapital
Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur
Hans Blumenberg: Arbeit am Mythos
Peter Dendle: The Zombie Movie Encyclopedia
Müge Adalet McGowan, Dan Andrews und Valentine Millot: The Walking Dead? Zombie Firms and Productivity Performance in OECD Countries
ROMAN
E. T. A. Hoffmann: Der Sandmann
Stephen King: Puls
Cormac McCarthy: The Road
The Walking Dead (Comicserie; 2003 bis 2019)
FILM
Alle Filme von George A. Romero
The Return of the Living Dead von Dan O’Bannon (1985)
Zombieland von Ruben Fleischer (2009)
Juan of the Dead von Alejandro Brugués (2011)
Train to Busan von Yeon Sang-ho (2016)
Shaun of the Dead von Edgar Wright (2004)
The Walking Dead (Fernsehserie; seit 2010)

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