Illustration: DMBO – Studio für Gestaltung
ZEIT
Editorial zu Ausgabe 4/2022
Sie ist vorbei, die eine, die allgemeine Zeit; die Zeit, die nur eine Richtung kannte und an der alles ausgerichtet wurde; die unter der Last des Versprechens, es würde künftig besser werden, zusammengebrochen ist. Nun stehen wir vor ihren Trümmern. Zukunft ist von der Verheißung für einige zur Bedrohung für alle geworden.
So ist der Impuls verständlich, die Moderne – wie jene Zeit gemeinhin genannt wird – ad acta legen zu wollen. Sind sie nicht eindeutig gescheitert, sie und ihr Wegbereiter, die Aufklärung?
Doch es ist nicht die Moderne, die da liegt! Denn wer ist schon wirklich modern geworden? Nach dem Zerfall der gottgegebenen Ordnung von so viel Freiheit geängstigt, wurde adäquater Ersatz gesucht: „Wie trösten wir uns (…)? Welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen?“ (F. Nietzsche). Das heilige Spiel hieß bekanntlich Kapitalismus.
Entsprechend war diese Nicht-Moderne eine Zeit der Widersprüche, ein Hin und Her zwischen religiösem Eifer (Produktion! Wachstum! Reichtum! Technik! Höher! Schneller! Weiter!) und der Befreiung von Vorurteil, Ideologie und Ressentiment. Was da liegt, ist unser Selbstzweifel, unsere Unentschlossenheit, unsere Zerrissenheit.
Doch auch Zerrissenheit kann Heimat werden – weshalb manche lieber zerrissen bleiben wollen. Statt das heilige Spiel mutig zu beenden, sich von den Fesseln des Zeitregimes zu befreien, flüchten sie sich in blinden Aktivismus. Ihre Selbstaufgabe nennen sie Vernunft, ihre Weigerung, Entscheidungen zu treffen, Komplexität. Sie halten das Scheitern (der Moderne) für Modernität.
Es ist also Zeit, Ängste und Selbstzweifel zu überwinden und ins Neue zu starten. Wir brauchen keine Vorgaben, um unsere Angelegenheiten zu regeln, schon gar keine „des Marktes“. Es ist Zeit, die volle Verantwortung für unser Dasein zu übernehmen, gerade was die Folgen unserer wirtschaftlichen Aktivitäten angeht. Es ist Zeit, modern zu werden.
Ihr Frank Augustin
Chefredakteur
