Es gilt, zwischen Problem- und Handlungswissen zu unterscheiden | Interview mit Johanna Jaurich

Johanna Jaurich beim FilmdrehFoto: Yana Biliaieva fechnerMEDIA GmbH

 

„Es gilt, zwischen Problem- und Handlungswissen zu unterscheiden“

Die Regisseurin Johanna Jaurich arbeitet zusammen mit Carl-A. Fechner an The Story of a New World – der Film will motivierende Geschichten erzählen und damit aufzeigen, dass und wie der ökologische Wandel möglich ist. Wir haben uns mit Johanna Jaurich über Geschichten des Gelingens und über nachhaltige Filmproduktion ausgetauscht.

„Unser derzeitiger Normalzustand namens Turbo-Kapitalismus, Klimakrise und rapider Umweltzerstörung gleicht einem kollektiven Selbstmord“, lesen wir in der Crowdfunding-Kampagne zu Ihrem Film. Dem Kulturwissenschaftler Frederic Jameson wird der Satz zugeschrieben, es sei einfacher sich das Ende der Welt als das Ende das Kapitalismus vorzustellen. Was kann das Medium Film gegen diese imaginative Schwäche ausrichten? Was kann Ihr Film dagegen bewirken?

Der Kapitalismus ist nicht das Nonplusultra zivilisatorischen Fortschritts, stattdessen stoßen uns gerade seine Grenzen auf immer schmerzhaftere Weise darauf, das System weiterzuentwickeln. Doch wo fangen wir damit an, im termingeplagten Alltag mit Job, Familie, Freunden und der täglichen Dosis News?

Die gute Nachricht ist: Wir müssen nicht bei Null anfangen, wenn wir unsere derzeitigen destruktiven Systeme transformieren wollen. Denn Geschichten über gelungene Alternativen und nachhaltige Vorbilder gibt es zuhauf.

Wir wollen diese konstruktiven Geschichten, die es jetzt so dringend braucht, mit unserem neuen weltweiten Impact-Filmprojekt THE STORY OF A NEW WORLD erzählen: Geschichten von Menschen, die wertebasiert und gemeinwohlorientiert wirtschaften, ihre Communities durch Urban Gardening, Bürgerenergieprojekte, Repair Cafés oder Unverpackt-Läden mitgestalten, politische Teilhabe leben, lokale Lösungen für Probleme wie Trinkwassermangel, Artensterben, degradierte Böden oder Armut finden und dabei ein Exempel statuieren, was auch in vielen anderen Regionen dieser Welt anwendbar sein kann.

Es wird sicherlich keine einfache Geschichte, denn sie legt den Finger in die Wunde unserer kollektiven Visionslosigkeit und beleuchtet in einer fiktionalen Rahmenhandlung die Herausforderungen, mit denen wir hierbei konfrontiert werden. Wie können wir arbeiten, wirtschaften, uns ernähren, wohnen, sodass es nicht nur uns selbst besser geht, sondern dies im Einklang mit unseren Mitmenschen und den planetaren Grenzen geschieht? THE STORY OF A NEW WORLD gibt hierfür konstruktive, hoffnungsvolle, visionäre, belebende Impulse.

Sicherlich haben auch Ihre Leser*innen, schon einmal an sich selbst erlebt, was eine gute Geschichte, ein guter Film in Ihnen bewirken kann. Plötzlich sehen sie die Welt buchstäblich aus anderen Augen und fangen an sich mit neuen Themen zu beschäftigen. Menschen lernen durch Geschichten und Bilder (man denke zum Beispiel an die Höhlenmalereien unserer Vorfahren) und entwickeln auf diese Weise eigene Positionen. THE STORY OF A NEW WORLD ist eine Einladung dafür unsere Welt neu zu denken und zu erkennen, dass wir die Gestalter*innen unserer eigenen und der gemeinsamen Zukunft sind!

 

Das Crowdfunding soll es Ihnen ermöglichen, den Film klimaneutral und unabhängig zu produzieren – machen Sie aus der Not eine Tugend? Warum haben Sie sich für Crowdfunding entschieden? Und wie sieht „green shooting“, also nachhaltige Filmproduktion, aus, wenn der Film auf vier Kontinenten stattfinden soll?

Unsere Kinoprojekte finanzieren wir seit jeher unabhängig mittels Crowdfunding und mithilfe von Sponsoring durch nachhaltige Unternehmen und NGOs. Bei THE STORY OF A NEW WORLD bieten wir zum ersten Mal die Möglichkeit des Impact Investments an – derzeit sind noch Anteile verfügbar. Für diesen freien, wenn auch beschwerlichen Weg der Finanzierung haben wir uns aus unserem richtungsweisenden Selbstverständnis heraus entschieden: Wir möchten allzeit inhaltliche und gestalterische Unabhängigkeit in unseren Werken wahren!

Seit unserer Firmengründung 1989 lassen wir uns zudem von unseren nachhaltigen Werten leiten. Inzwischen gibt es hierfür in der Filmbranche auch eine Bezeichnung: „Green Shooting“. Wir setzen dies zum Beispiel durch den Einsatz von 100 Prozent Ökostrom in der Postproduktion um, durch konsequenten Verzicht auf innerdeutsche und innereuropäische Flüge, vegetarische / vegane Ernährung der Crew und Drehreisen mittels E-Fahrzeugen sofern möglich.

Ein internationales Filmprojekt in der Größe von THE STORY OF A NEW WORLD stellt uns natürlich vor neue Herausforderungen, das stimmt. Wir werden bei Dreharbeiten auf vier Kontinenten aus Zeit- und Budgetgründen nicht auf Flüge verzichten können, haben uns aber dazu verpflichtet, die Umwelt- und Ressourcenbelastungen bei unserer Produktion so gering wie möglich zu halten und alle unvermeidbaren Emissionen mit geprüften Klimakompensationsprojekten auszugleichen. Das heißt im Falle von unseren internationalen Drehreisen zum Beispiel, dass nur ein sehr kleiner Teil der Crew fliegen wird (Regie und Kamera) und wir mit lokalen Teams vor Ort zusammenarbeiten. Dies hat auch kulturelle Gründe: Der Film THE STORY OF A NEW WORLD richtet sich an ein Weltpublikum, daher spielt für uns Diversität auch hinter der Kamera eine große Rolle.

 

In unserer Ausgabe 3/2021 DAS GUTE LEBEN weist der Soziologe Sighard Neckel darauf hin, dass das Wissen um Umweltgefahren enorm gestiegen sei, ohne dass dies am CO2-Ausstoß oder am Verlust der Biodiversität etwas geändert hätte. Reicht Wissen nicht aus, um zum Handeln zu bewegen? Wie können Filme das erreichen, was Wissen nicht vermag?

Es gilt hier zuerst einmal zwischen Problem- und Handlungswissen zu unterscheiden. In der Tat war unser Problemwissen noch nie so groß wie heute, wir haben weitestgehend freien Zugang zu Informationen und die Klimakrise bestimmt immer mehr auch die mediale Agenda unserer Zeit. Woran es uns derzeit noch mangelt, ist das Handlungswissen: Was können wir konkret gegen die Klimakrise tun? Welche Alternativen gibt es und wie können wir sie umsetzen? Welche systemischen Zusammenhänge bestehen und wie können wir diese Systeme nachhaltiger umgestalten? Hier möchten wir mit THE STORY OF A NEW WORLD ansetzen, ganz im Sinne des konstruktiven Journalismus. Der Film wird jedoch nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch auf unterhaltsame Weise komplexe Zusammenhänge begreifbar machen, durch seine emotionale Ebene die uns innewohnende Kraft zur Veränderung aktivieren und mithilfe von tausenden lokalen Aktionsveranstaltungen rund um die Screenings dazu einladen, dass wir uns mit Gleichgesinnten in unseren Communities zusammenschließen.

Und noch etwas ist entscheidend, was die Umweltpsychologin Renée Lertzman gut auf den Punkt bringt: Wir alle haben ein bestimmtes Toleranzfenster, wieviel Stress wir aushalten können, während wir im Einklang mit uns selbst und unseren inneren Werten bleiben. Die Klimakrise bringt uns Menschen an diese Grenzen und kann dafür sorgen, dass wir einerseits in Verleugnung, Wut und Starrheit oder andererseits in Depression, Verzweiflung und Angst verfallen. In beiden Fällen können wir nicht mehr auf unsere Fähigkeiten zugreifen, kreativ, belastbar, fähig, geschickt und mutig zu sein – all die Dinge, die die Welt jetzt von uns braucht. Das führt zu einer inneren Zerrissenheit, dem Gefühl, dass das eigene Handeln unbedeutend wäre und schürt die Angst vor Veränderung. Wir haben den Eindruck wir stecken fest – und um dieses Gefühl nicht mehr spüren zu müssen, verdrängen wir es. Von außen sieht das dann aus wie Apathie. Der entscheidende Schlüssel zur Lösung dieser Diskrepanz liegt in unserer Fähigkeit zum Mitgefühl: zuerst als Mitgefühl mit uns selbst, indem wir unsere eigenen Gefühle anerkennen und dann auch als Mitgefühl mit unseren Mitmenschen, indem wir versuchen uns in sie hineinzuversetzen. In dem Moment, in dem wir uns verstanden fühlen und ein Gespür für uns selbst haben, werden uns auf einmal auch all diese Fähigkeiten wieder zugänglich, die uns kreative Lösungen finden lassen!

Kurzum: Wir brauchen nicht nur Problemwissen, sondern auch Handlungswissen sowie Mitgefühl mit uns selbst und unserer Um- und Mitwelt! Ich bin überzeugt, dass es kein besseres Medium gibt um diese Erkenntnis Millionen Menschen auf dieser Welt zugänglich zu machen als einen bewegenden, doku-fiktionalen und hoffnungsvollen Impact-Film wie THE STORY OF A NEW WORLD!

Frau Jaurich, vielen Dank für das Gespräch!

Weitere Informationen zum Film-Projekt: storyofanewworld.de

Johanna Jaurich
Johanna Jaurich studierte Filmwissenschaften und Medienpsychologie und ist Autorin und Regisseurin für TV- und Kinodokumentarfilme.

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