Kommentierung der Thesen von Friedemann Vogel in seinem Vortrag „Sprache und Strategische Kommunikation – Praktiken der “Neuen Rechten“
Sowohl Kommunikation allgemein als auch strategische Kommunikation sind allgegenwärtig. Sie werden gezielt in Politik, Wirtschaft oder den sozialen Medien genutzt, um Einfluss auf das Denken, Handeln und Entscheiden anderer zu nehmen – oft, ohne dass wir es bewusst wahrnehmen.
Der Begriff „strategische Kommunikation“ bezeichnet ein Bündel zeichenbasierter und zielgerichteter kommunikativer Aktivitäten zur Durchsetzung von Interessen. Diese ermöglicht es gesellschaftlichen Akteuren, Deutungshoheit zu erlangen. Das entfaltet eine besondere Wirkmächtigkeit, wenn diese Akteure als Underdog gegenüber etablierten Machtstrukturen agieren. Die Underdog-Position als Abgrenzung vom Establishment ist ein wichtiges Kriterium für die Erzählung einer Fundamentalopposition und die Konstruktion von Feindbildern. Gleichzeitig werden sprachliche Aktionen häufig verharmlost – durch Relativierung und Zurückrudern nach gezielten Provokationen und Tabubrüchen. Dies stellt eine Maskierung dar, die die Anschlussfähigkeit steigern soll. Doch genau diese Strategie kann zu einem schmalen Grat werden, wenn die Anschlussfähigkeit dazu führt, dass der Underdog zum Mainstream wird und ein Kernelement der Identifikation wegfällt.
Der Erfolg solcher Positionen hängt maßgeblich davon ab, wie es gelingt, mit begrenzten Ressourcen etablierte Diskurse zu irritieren, Gegennarrative zu etablieren und emotionale Anknüpfungspunkte zu schaffen. Dies zeigt sich exemplarisch an der 68er-Bewegung und ihrer Wirkmacht, aber auch an der strategischen Kommunikation der sog. Neuen Rechten in Deutschland, die trotz inhaltlicher Gegensätze ähnliche Mechanismen nutzt, wie Friedemann Vogel in seinem Vortrag im Frühjahr 2025 ab der Universität Siegen aufzeigte. Aufgrund ähnlicher Funktionsweisen zweier politischer Strömungen, die sich inhaltlich entgegenstehen, wird dieser Vergleich hier angeführt und kritisch reflektiert.
Die 68er-Bewegung, die im Streben nach gesellschaftlicher Veränderung für mehr Demokratie, individuelle Freiheit und die Aufarbeitung autoritärer Strukturen sowie der NS-Vergangenheit eintrat, nutzte unter anderem Guerillakommunikation – genau wie heute die sog. Neue Rechte.
Die gezielte Nutzung “guerillakommunikativer Techniken”, um als Underdog die bestehende Ordnung herauszufordern, umfasste provokative Aktionen wie Sit-ins, Teach-ins und subversive Flugblätter, um eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Dabei hatte sie keinen Zugang zu massenmedialen Kanälen. Indem sie universitäre Hierarchien unter dem Slogan „Unter den Talaren – der Muff von 1000 Jahren“ infrage stellte oder autoritäre Strukturen im „Spiegel“-Protest thematisierte, destabilisierte sie etablierte Deutungsmuster. Die Bewegung instrumentalisierte die Kritik an asymmetrischen Kommunikationsstrukturen, um Machtverhältnisse sichtbar zu machen – etwa durch die Störung von Vorlesungen als Akt der Entrüstung über fehlende Diskursivität. Ihr Erfolg lag weniger in konkreten Utopien als in der Fähigkeit, durch symbolische Akte wie die „Revolte der Sprache“ gesellschaftliche Tabus zu brechen und Themen wie Sexualität oder Autoritätskritik auf die Agenda zu setzen. Der Kern der Strategie war das Brechen von Konventionen sowie die Neudefinition von Begriffen wie „Emanzipation“.
Lust auf ein
Probe-Abo?
agora42 schließt die Lücke zwischen Ökonomie und Philosophie, macht Zusammenhänge deutlich und gibt Raum für die drängenden Fragen in diesen turbulenten Zeiten.
Lust auf ein
Probe-Abo?
agora42 schließt die Lücke zwischen Ökonomie und Philosophie, macht Zusammenhänge deutlich und gibt Raum für die drängenden Fragen in diesen turbulenten Zeiten.
Die sog. Neue Rechte nutzt strategische Kommunikation ebenfalls als Underdog-Strategie, allerdings mit entgegengesetzter Zielrichtung. Ihr Kerninstrument ist die Freund-Feind-Rhetorik im Sinne Carl Schmitts, die eine bipolare Weltordnung konstruiert: „Volk“ vs. „Eliten“, „Identität“ vs. „Globalismus“, „Heimat“ vs. „Überfremdung“. Durch die Besetzung von Kampfbegriffen wie „Remigration“ oder „Genderwahn“ schafft sie diskursive Grenzziehungen und inszeniert sich als Verteidigerin einer „bedrohten Mitte“ gegen ein vermeintlich korrumpiertes Establishment. Diese Strategie ähnelt der Guerillakommunikation, da sie gezielt etablierte Narrative unterläuft – etwa durch die Umdeutung von „Political Correctness“ als „Meinungsdiktatur“ oder durch Provokationen durch Tabubrüche, beispielsweise durch die Relativierung des Nationalsozialismus. Indem sie sich als Opfer einer „Cancel Culture“ stilisiert, nutzt sie das Underdog-Narrativ, um Legitimität zu beanspruchen, obwohl sie selbst exkludierende Machtansprüche vertritt.
Die Sprache steht hier im Mittelpunkt, insbesondere im Hinblick auf Framing und diskursive Hegemonie. Beide Bewegungen verdeutlichen, wie Sprache zum Schlüssel strategischer Kommunikation wird. Die 68er destabilisierten durch Ironie und Neologismen („Kaputtmachen“) bürgerliche Sprachcodes; die Neue Rechte setzt auf emotional aufgeladene Schlagwörter („Volkstod“, „Umvolkung“) und das Freund-Feind-Schema, um Feindbilder zu naturalisieren. Während die 68er einen „Rausch der Verallgemeinerung“ suchten, um systemische Kritik zu formulieren, bedient die Neue Rechte gezielt autoritäre Sehnsüchte nach klaren Feindbildern. Beide nutzen die Politisierung von Alltagspraktiken, doch mit entgegengesetzten Zielen: Emanzipation vs. Ausgrenzung.
Zusammenfassend liegt die Macht der strategischen Kommunikation also in ihrer Fähigkeit, als vermeindlicher Underdog Deutungshoheit zu erlangen – ob durch Guerillataktiken oder polarisierende Rhetorik. Während die 68er damit eine pluralistischere Öffentlichkeit erkämpften, instrumentalisiert die Neue Rechte dieselben Mechanismen, um demokratische Diskurse zu unterminieren. Die Ambivalenz zeigt: Strategische Kommunikation ist ein Werkzeug, dessen ethischer Gehalt sich erst anhand der verfolgten Ziele entscheidet. In einer Zeit, in der symbolische Bürgerkriege und Kulturkämpfe die gesellschaftliche Mitte zu sprengen drohen, bleibt die kritische Analyse sprachlicher Machttechniken unverzichtbar.