US-Konzerne diktieren Standards, Trump hebelt europäische Regeln aus – und selbst internationale Gerichte werden technisch entmachtet. Höchste Zeit für eine echte europäische Digital-Strategie.
Immer wieder fordert Trump in seiner zweiten Amtszeit den Status Quo heraus, den die Europäer*innen für selbstverständlich erachteten. Trump hinterfragt regelmäßig die europäische Abhängigkeit von den USA und verlangt mehr Selbstständigkeit. Das Silicon Valley und seine Tech-Milliardäre begleiteten seinen Amtsantritt auf Ehrenplätzen – offensichtlich haben sie großen Einfluss und mit Trump eine mächtige Interessenvertretung gefunden. Die Diskussionen über diese Nähe und die ausgeprägte europäische Abhängigkeit von den USA im Tech-Bereich kommen in Deutschland und Brüssel viel zu kurz. Und das, obwohl auch unsere Demokratien von Trump und Co. angegriffen werden.
Trump und der Einfluss der Tech-Milliardäre
Jüngst setzte sich der US-Präsident im Handelsstreit mit der EU dafür ein, dass der europäische Digital Services Act für US-Techkonzerne ausgesetzt werden solle. Mit Erfolg, wie das Wall Street Journal berichtet. Jene Regulierung soll laut EU die Grundrechte der EU-Bürger*innen schützen und durch gleiche Wettbewerbsbedingungen die Macht von digitalen Plattformen begrenzen. Auch Kanada sieht nach Interventionen von Trump von einer Digitalsteuer ab.
Die Konzerne werden auch selbst aktiv gegen ihre Regulierung. Max Bank von der NGO Lobbycontrol zufolge streben die Techkonzerne nach langfristiger Einflussnahme in Europa. Über die letzten 10 Jahre seien die Lobbyismus-Ausgaben von Techkonzernen (vorwiegend mit Sitz in den USA) in Brüssel auf über 113 Millionen Euro angestiegen.
Europäische Angreifbarkeit
Die europäische Angreifbarkeit aufgrund der Abhängigkeit von amerikanischer Technik wird auch anderweitig ersichtlich. Microsoft entzieht dem Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes per Vertragskündigung den Zugang zu dessen E-Mail-Servern, wie die Associated Press berichtet. Der Strafgerichtshof ist damit nur noch eingeschränkt handlungsfähig.
Der Hintergrund diesen Vorgehens von Microsoft: Trump hatte den Internationalen Strafgerichtshof als Reaktion auf den internationalen Haftbefehl gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu wegen seines Vorgehens im Gaza-Streifen sanktioniert.
Können sich Deutschland und Europa noch Abhängigkeit leisten?
Dies wirft für Deutschland und Europa die Frage auf: Können wir uns die Abhängigkeit von den großen amerikanischen Tech-Unternehmen noch leisten, wenn selbst supranationale Institutionen der Stecker gezogen werden kann? Wie sehr kann man auf vertragliche Zusicherungen der Anbieter vertrauen, wenn sich deren zentrale Wissensträger sowie die wichtigsten Teile der Infrastruktur in den USA befinden?
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Dies wird insbesondere relevant, da die Bundeswehr im Juni angekündigt hat, ihre Workloads in die Google Cloud verlagern zu wollen. Dazu zählen auch Informationen mit Einstufung als geheime Verschlusssache. Andere Teile der Bundesverwaltung setzen ebenfalls zu großen Teilen auf verschiedene amerikanische Anbieter, hier meist begründet mit der Verfügbarkeit und Skalierfähigkeit von Rechenressourcen, wie Esther Menhard bei netzpolitik.org bereits berichtete.
Europäische Souveränität
Ein Weg zur europäischen Souveränität kann ein breiterer Einsatz von Open Source sein. Dies hat auch die Bundesverwaltung erkannt, wie aus deren Antwort auf eine Kleine Anfrage von Die Linke hervorgeht.
Doch auch Open Source wird zu großen Teilen auf der amerikanischen Microsoft Plattform GitHub gehostet. Was, wenn künftig die Plattform nicht mehr verfügbar sein sollte oder der Code nicht mehr von Ehrenamtlichen weiterentwickelt wird? Erst Mitte Oktober 2025 hat eine Störung bei Amazons Cloudanbieter AWS für weltweite Ausfälle bei verschiedensten Onlinediensten geführt.
Die Bundescloud als Chance
Aus der Zivilgesellschaft gibt es mit Eurostack erste ganzheitliche Ansätze, wie resiliente, sichere und unabhängige Technologie für Europa umsetzbar ist. Vorschläge reichen von harter Infrastruktur wie Hardware, über softe Infrastruktur wie Cloud und Browser bis hin zu eigener Technologie bei Zahlungsdienstleistungen, App Stores und Messengern.
Die eigens vom bund entwickelte Bundescloud geht in eine ähnliche Richtung. Sie soll als zentrale Plattform für die IT-Anwendungen der öffentlichen Verwaltung die digitale Souveränität fördern. Sie basiert stark auf Software aus offenen Quellen. Auch wenn für eine föderale Nutzung noch rechtliche Hürden bestehen, wäre eine Öffnung der Plattform für weitere Anwendungszwecke vorstellbar.
Die Öffentlichkeit sollte folglich nicht nur mehr auf Open Source setzen, sondern bereit sein selbst Open Source zu hosten auf europäischer Hardware, Programme weiterzuentwickeln und als Öffentliche Güter zur Zusammenarbeit frei zur Verfügung zu stellen. Wenn öffentliche Gelder genutzt werden, sollte der damit entwickelte Code auch öffentlich sein – open Money, open Code. Die Bundescloud könnte sich dafür wunderbar als Hostingort anbieten. Gleichzeitig könnte die Gesellschaft den Entwickler*innen der verwendeten Open-Source Software etwas zurückgeben und digitale Souveränität langfristig fördern.
Dieser Artikel ist von
Samuel Böckner studiert im Master Plurale Ökonomik an der Uni Siegen.