Es war noch nie so einfach, frei zu werden, wie heute. Denn wir haben keine Wahl.
Machen wir weiter wie bisher, werden unsere Freiräume gänzlich verschwinden. Es ist, als ob das Vorzeichen von plus auf minus gewechselt hätte. Wirtschaftswachstum ist vom Leitbild zum Verhängnis geworden; technischer Fortschritt hat sich in gesellschaftlichen Rückschritt verwandelt; vernünftige Ansätze enden regelmäßig in Katastrophen – weil es nichts Vernünftiges im Unvernünftigen gibt.
Unser Leben ist total verrückt geworden, weil wir die kapitalistische Logik haben total werden lassen. Ja, alles hängt mit allem zusammen. Weil wir das so wollten. Nun produziert, was zunehmende Freiheiten versprochen hatte, immer mehr Abhängigkeiten. Folglich gibt es keine andere Möglichkeit, als ganz neu zu beginnen. Die „Zeitenwende“ ist in ihrer vollen Tragweite noch nicht begriffen worden.
Wir werden also den Ballast ökonomischer Ideologien abwerfen und endlich das ganze Potenzial der Demokratie entfalten. Weder Märkten noch anderen Göttern Rechenschaft schuldig, werden wir soziale Kompetenzen entwickeln statt Wachstumsstrategien, sinnvolle Produkte statt profitable. Wir werden – durch Bildung, die diesen Namen verdient – lernen, die Sinnlosigkeit und Widersprüchlichkeit des Lebens zu akzeptieren, statt in Wunschvorstellungen zu fliehen. Wir werden glücklicher statt arm oder reich. Wir werden unserem Zusammenleben eine neue Qualität geben.
Frank Augustin
Chefredakteur, faugustin@agora42.de
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Hat Philosophie und Geschichte studiert und war Redakteur beim Journal für Philosophie der blaue reiter. Kapitalismus ist für ihn ein kulturelles, nicht in erster Linie ein wirtschaftliches Phänomen – und längst zur gesellschaftlichen Normalität geworden. Was aber normal war, steht in Frage: Ohne den festen Glauben an die segensreiche Wirkung von Wachstum und technischem Fortschritt wird dem Kapitalismus die Lebensgrundlage entzogen. Es bleibt ein sinnloses Weiter-so, ein leeres Mehr des Geldes und die Gleichschaltung aller Lebensbereiche unter quantitativen Gesichtspunkten.
Was tun? Wie kann man verändern, was als normal betrachtet wird? Wie befreit man die Wirtschaft von der Wachstumsideologie? Wie kommt man wieder ins Handeln und kann beginnen, den unvermeidlichen ökonomischen und gesellschaftlichen Zusammenbrüchen entgegenzuwirken?

