08.04.2051
Liebes Tagebuch,
seit fast einer Woche hatte ich mir keine künstlichen Erinnerungen mehr eingespielt. Und ich musste feststellen: Mein realer Alltag war doch ziemlich eintönig. Um also mal wieder etwas zu erleben, hatte ich eine Elefanten-Tour in einem Naturschutzgebiet im Norden der thailändischen Provinz gebucht.
Heute morgen habe ich dann die frühe Hyperloop-Verbindung nach Chiang Mai genommen. Eigentlich wollte ich während der zweistündigen Fahrt ein wenig Schlaf nachholen, aber ich wurde derart mit Werbung beschallt, dass ich kein Auge zubekam. Hier ein Angebot für eine regenerative Koronarbehandlung, dort ein Angebot für ein bionisches Auge mit Zehnfach-Zoom und Makro, dazu ein Hinweis auf eine Schweinefarm, in der schon eine neue, auf mich abgestimmte Bauchspeicheldrüse wuchs. So ging das in einer Tour.
Am Zielbahnhof angekommen, ließ ich mich von einem autonomen Pod ins Naturschutzgebiet fahren. Es ging vorbei an gigantischen Indoor-Farmen von Pfizer, in denen Pharmapflanzen angebaut wurden. Vermutlich Tabakpflanzen, in denen Impfstoffe, Hormone oder Krebsantikörper heranwuchsen. Dann passierten wir ausgedehnte Grasplantagen von Rio Tinto. Dort wurden natürlich keine gewöhnlichen Gräser angebaut, sondern spezielle Hyperakkumulatoren, die Platin, Palladium oder Germanium aus dem Boden zogen.
Schließlich erreichten wir das Elefanten-Camp, wo mich ein Guide empfing. Sein Name war Mahoud, was wohl nichts anderes als „Elefantenführer“ bedeutet. Mahoud wies mir eine stattliche Elefanten-Kuh zu. Das Tier hatte eine Schulterhöhe von bestimmt zweieinhalb Metern. Es wirkte aber überaus friedlich und ließ sich gleich mit Bananen füttern. Währenddessen erläuterte Mahoud mir den Controller, der wie eine Fernbedienung aus dem letzten Jahrhundert aussah. Damit konnte ich den Elefanten vorwärts und rückwärts, nach rechts und nach links gehen lassen. Je nachdem, auf welchen Knopf ich drückte, wurde an verschiedenen Stellen im Gehirn des Elefanten ein kleiner elektrischer Impuls ausgelöst. Dieser bewirkte dann den gewünschten Effekt. Keine ganz neue Technologie. Ich kannte sie bislang aber nur von Ratten und Hunden.
Unter Mahouds Aufsicht steuerte ich den Elefanten zu einem nahe gelegenen Tümpel. Dort badeten bereits zwei weitere Touristen mit ihren Dickhäutern. Es war ein unglaublich intensives Gefühl, neben diesem mächtigen Tier im Wasser zu schwimmen. Nachdem wir den Tieren mit riesigen Bürsten den Rücken geschrubbt hatten, führten wir sie wieder ans Ufer. Mahoud zeigte uns, wie wir auf den Schultern zu sitzen hatten. Dann machten wir einen Ausritt in den Urwald. Die Urwaldpflege war die eigentliche Aufgabe von Mahoud und seinen Elefanten. Während des Ausritts studierte Mahoud eine holografische 3D-Karte des Waldes, die ihm die Vitaldaten der einzelnen Bäume zeigte. „Wir lesen die elektrischen Signale aus, die die Bäume über ihre Wurzeln versenden“, erläuterte Mahoud, nachdem ich mein Tier neben seines gelenkt hatte. „Die Bäume reden permanent miteinander“, ergänzte Mahoud. „Sie reden vor allem über das Wetter.“ Mahoud deutete auf eine Baumgruppe. „Diese da leiden besonders unter der Trockenheit.“ Dann machte er mich auf eine Drohne aufmerksam, die man durch das dichte Blattwerk gerade so am Himmel erspähen konnte. „Sie reagiert auf die elektrischen Signale im Boden. Die Bäume haben sie quasi selbst gerufen.“ Es handelte sich um eine Cloud-Seeding-Drohne, die kleinste Partikel versprühte und so die Bildung einer Wolke anregte, die schließlich abregnete. „Das bisschen Regen genügt aber leider nicht“, erläuterte Mahoud. Er wies mich auf eine zweite Drohne hin, die gerade zwischen den Bäumen ein kleines Päckchen abwarf. Meine Kontaktlinsen haben ja nur einen Fünffach-Zoom, deshalb konnte ich die Blattläuse nicht erkennen, die aus dem Päckchen krabbelten. Sie enthielten einen hochinfektiösen Virus, wie Mahoud mir erläuterte, der die Bäume befiel und ihnen mit einer sehr präzisen Genschere noch in derselben Saison die Widerstandskraft von Kakteen verlieh. Das nenne ich mal eine sorgsame Urwaldpflege!
Der Ausritt dauerte noch den ganzen Nachmittag. Mit den Kontaktlinsen spotteten wir verschiedenste Urwaldtiere. Und mit einer App, die Mahoud uns auf die Hörgeräte spielte, wurden uns die diversen Tierlaute übersetzt – sogar die Infraschall-Laute unserer Elefanten. Wenn ich die Übersetzung richtig verstand, beschwerten sie sich in einer Tour über die lästigen Affen. Ob sie uns damit meinten? Keine Ahnung. Ich melde mich die Tage wieder. Versprochen!