Wir stehen als Gesellschaft an einem Scheidepunkt | Interview mit Lino Zeddies

Ladenschild: UtopiaFoto: Alexandre Brondino | Unsplash

 

Wir stehen als Gesellschaft an einem Scheidepunkt

Interview mit Lino Zeddies

Im Januar haben wir mit Lino Zeddies, dem Initiator der Tagung „Der nächste Crash als Chance – Szenarien und Reformpotentiale“, über die Möglichkeiten gesprochen, sich auf einen Crash der Weltwirtschaft und des Finanzsystems vorzubereiten. Mit der Verbreitung des Corona-Virus‘ ist eine ganz andere Krise eingetreten, die jedoch ebenfalls grundsätzliche Fragen zur vorherrschenden Wirtschafts- und Produktionsweise aufwirft. Wir haben daher mit Lino Zeddies darüber gesprochen, welche Reformnotwendigkeiten, aber auch Möglichkeiten sich abzeichnen.

Herr Zeddies, mit der Tagung im Februar dieses Jahres wollten Sie und das Netzwerk Plurale Ökonomik Ansätze zur Reform des Wirtschafts- und vor allem des Finanzsystems anstoßen. Wenig später führte die Zunahme von COVID-19-Fällen zu Kontaktsperre und Lockdown weiter Teile der Wirtschaft. Sehen Sie Chancen und Perspektiven, die sich durch diese Krise ergeben oder müssen unsere Anstrengungen zunächst darauf abzielen, „Normalität“ – also den Status quo ante – wiederherzustellen?

Ich glaube, wir stehen als Gesellschaft gegenwärtig an einem kollektiven Scheidepunkt. Das Spektrum an möglichen Zukünften reicht vom Verharren in der Dauerkrise bis zur Wende in eine nachhaltige, resiliente und solidarische Gesellschaft. Die Corona-Krise kann für viele Länder in der dauerhaften Aufhebung von Bürgerrechten, einer flächendeckenden Überwachung und verstärkter Getrenntheit und Angst enden oder im Aufbau einer Kreislaufwirtschaft, dem Erwachen von Solidarität und dem Wiederentdecken des Wertes von Gemeinschaft und Nähe.

Ohne einen grundlegenden Umbau unseres Wirtschaftssystems halte ich weitere Krisen jedenfalls für sehr wahrscheinlich, ganz zu schweigen von den desaströsen Folgen eines ungebremsten Klimawandels, die die Corona-Krise in den Schatten stellen dürften. Der Wandel wird kommen – „by design“ oder „by disaster“.

Die Corona-Krise hat die Fragilität unseres Wirtschaftssystems aufgezeigt und gleichzeitig verdeutlicht, was für enorme gesellschaftliche Veränderungen in kürzester Zeit möglich sind, wenn der politische Wille da ist. Insofern sehe ich die Chance, dass die Krise einen Anstoß zum überfälligen Umbau hin zu einer resilienten und nachhaltigen Wirtschaft gibt. Immer mehr Globalisierung um jeden Preis ist infrage gestellt, wenn plötzlich klar wird, dass die Produktion fast aller Medikamente in China problematisch ist. Auch die unwürdige Massentierhaltung und der dortige Missbrauch von Antibiotika als potenzieller Auslöser weiterer Pandemien wird hoffentlich infrage gestellt.

Letzten Monat war ich zu Besuch bei einem nachhaltigen Landwirtschaftsprojekt („Syntropic Farming“) in einem kleinen Ort in Portugal. Vor ein paar Tagen habe ich gehört, dass das Projekt gegenwärtig einen riesigen Aufschwung erlebt, weil die Grenzen zu Spanien dicht sind, von wo der Großteil der Obst- und Gemüselieferungen kommt und nun liegen große Hoffnungen auf dem Ausbau der eigenen Gemüseproduktion und es bewegt sich viel. In ähnlicher Weise scheint gerade die Bewährungsprobe für viele progressive Ideen und Projekte anzustehen.

Natürlich muss der Fokus gegenwärtig auch darauf liegen, schlimmere Verwerfungen zu verhindern, aber einige Reformen lassen sich gerade jetzt gut umsetzen, wie eine Knüpfung der Staatshilfen von Unternehmen an ökologische Kriterien oder die Herstellung anständiger Arbeitsbedingungen für Pfleger*innen im Gesundheitssystem.

 

Wie beurteilen Sie die Gefahr einer von der Corona-Pandemie ausgelösten Finanzkrise? Ist der Crash, um den es auf Ihrer Tagung ging, näher gerückt?

Da das Finanzsystem extrem instabil ist, halte ich das Risiko, dass die Corona-Krise in eine nächsten großen Finanzkrise mündet, auf jeden Fall für sehr hoch. Nimmt man beispielsweise den aufgerechneten Wert aller Aktien der Deutschen Bank als Schätzung für das reale Eigenkapital, kommt man auf eine Eigenkapitalquote von ca. 1%. Das gegenwärtige Finanzsystem ist ein ganz wackliges Kartenhaus.

Im Organisationsteam haben wir noch vor ein paar Monaten gewitzelt, dass ein nächster Crash unserer Tagung hoffentlich nicht zuvorkommt. Nun scheint es, dass wir mit der Tagung gerade noch rechtzeitig dran waren. Dort haben wir aber vor allem Szenarien diskutiert, in denen das Finanzsystem der direkte Krisenauslöser ist und dann als Folge eine Gesellschaftskrise erzeugt – so wie der Crash 2007. Jetzt hingegen haben wir eine Gesundheitskrise, die zu einer Wirtschaftskrise führt und dann wahrscheinlich in einer Finanzkrise mündet. Wenn das passiert, ist zu befürchten, dass die Konzernbanken mit Verweis auf die Corona-Krise alle Schuld von sich weisen und vom Staat mit Milliarden gerettet werden.

Trotz der enormen Instabilität des Finanzsystems möchte ich aber auch zu bedenken geben, dass es möglicherweise nicht zu einer großen Eruption einer Finanzkrise kommen wird, solange die EZB ungehemmt Geld in die Märkte pumpt, Schrottanleihen aufkauft und der Staat alles rettet. Das heißt aber nicht, dass alles gut ist und die Krise verhindert wird.

Öffentliche Gelder werden in diesem Fall in den Finanzsektor umgeleitet, korrupte Konzernbanken damit für ihre Exzesse belohnt und viel wichtigere staatliche Ausgaben in Bildung und Infrastruktur gekürzt. Das führt zu massiven gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen und höhlt das Fundament unserer Demokratie und marktwirtschaftliche Prinzipien aus – nur eben langsamer statt mit einem großen Knall.

Es braucht daher mehr denn je eine nachhaltige, stabile und resiliente Geld- und Finanzwende. Ideen dafür gibt es zu Hauf: Digitales Zentralbankgeld, die Vollgeldreform, ethisches und Gemeinwohlbanking, die Finanztransaktionssteuer, Derivateverbot und vieles mehr.

  

Die Regierung konzentriert sich auf das Krisenmanagement. Die Opposition will sich nicht mit Vorschlägen für ein anderes Wirtschaften den Vorwurf einhandeln, dieses Management zu stören. Woher können denn überhaupt noch neue Ideen kommen?

Ich habe den Eindruck, dass von den etablierten politischen Institutionen und Parteien leider wenig visionäres Denken zu erwarten ist. Progressive Ideen finden sich eher bei VordenkerInnen wie Maja Göpel, Niko Paech oder Christian Felber und in den zahllosen gemeinnützigen Organisationen wie beispielsweise bei Mehr Demokratie e.V. (z.B. geloste Bürgerräte), bei Monetative e.V. (Geldreform) oder bei der Purpose Foundation (Verantwortungseigentum als neue Unternehmensrechtsform). Wenn man an den richtigen Orten sucht, finden sich unzählige gute Vorschläge, wie sich unsere Gesellschaft sehr viel resilienter, lebenswerter und nachhaltiger gestalten lässt.

Auf der zurückliegenden Tagung zur nächsten Finanzkrise wurde auch die Idee eines Zukunftsrats vorgeschlagen, in dem sich verschiedene Institutionen und DenkerInnen systematisch über die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft und Wirtschaftsordnung abseits von politischen Grabenkämpfen austauschen. An der Umsetzung dieses Vorschlags wird gegenwärtig bereits gearbeitet. Ein solcher Zukunftsrat könnte zukünftig progressive Ideen in die Öffentlichkeit bringen.

 

Bereits früh gab es in Deutschland Aufrufe, die Not der Menschen – gerade der kleinen Selbstständigen – durch die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens zu entschärfen. In Spanien ist die Koalition aus der sozialdemokratischen PSOE und der linksalternativen Unidas Podemos dabei, ein Grundeinkommen einzuführen. Sehen Sie – selbst ein Selbstständiger – darin eine geeignete Maßnahme zur Linderung der akuten Notlagen sowie überhaupt im Bedingungslosen Grundeinkommen einen zukunftsweisenden Ansatz?

Ich sehe große Potentiale in einem bedingungslosen Grundeinkommen als Schritt hin zu mehr Freiheit, Solidarität und Potentialentfaltung.

Meine Hoffnung ist, dass hierdurch die Demokratie aufblüht und die Menschen wieder die Macht über ihre Zeit zurückgewinnen und sich ihren wahren Berufungen und Gaben zuwenden können, statt in unsinnigen „Bullshit-Jobs“ ihre Lebenszeit abzusitzen. Gerade jetzt braucht es schnelle, unbürokratische staatliche Finanzhilfen für viele Menschen. Wann also ein Grundeinkommen ausprobieren, wenn nicht jetzt? Ich hoffe daher sehr, dass irgendein Land diesen Schritt wagt und ein Grundeinkommen ausprobiert.

Soweit ich weiß, ist der in Spanien aktuell diskutierte Vorschlag leider weder bedingungslos noch universell, insofern sollte man diese Ankündigung nicht überbewerten.

 

Sie haben am 10. April Ihr Buch Utopia 2048 veröffentlicht – einen Blick auf eine denkbare Postwachstumsgesellschaft. Inwiefern helfen uns solche Utopien? Brauchen wir sie gerade jetzt?

Auf jeden Fall! Die Medien sind voll von Dystopien und Schreckensszenarien, doch es herrscht ein furchtbarer Mangel an positiven Zukunftsvisionen. Aber ohne Kompass und Karte, wo wir als Gesellschaft hinwollen, irren wir der Zukunft entgegen. Meine Vision einer schöneren und sehr viel lebenswerteren Gesellschaft gibt mir sehr viel Kraft und Inspiration. Ich habe jedoch den Eindruck, dass den meisten Menschen eine ähnlich klare Zukunftsvision fehlt und stattdessen sehr viel Hoffnungslosigkeit und Pessimismus vorherrscht.

Da es kaum utopische Bücher gibt, kam mir die Idee, ein Buch über die sehr viel schönere und lebenswertere Welt zu schreiben.

Mit Utopia 2048 möchte ich auch dazu beitragen, die vielen Lösungen und Bausteine für eine schönere Welt zu verbreiten, die bereits existieren, jedoch kaum bekannt und verbreitet sind. Meine Überzeugung ist auf jeden Fall: Die meisten Lösungen und Technologien für unsere gesellschaftlichen Probleme sind schon da. Sie müssen nur noch umgesetzt werden. ■

Lino ZeddiesLino Zeddies hat an der FU Berlin im Bachelor und Master VWL studiert und betätigt sich als Vollzeitaktivist für gesellschaftlichen Wandel als Pluraler Ökonom, Geldreformer, Organisationsberater und Heilpraktiker für Psychotherapie.

Auszug aus Utopia 2048 (Books on Demand, 2020)

Cover-Artwork: Utopia 2048Setting: Lena und Jannis sind nach einem fast 30-jährigen Komaschlaf im Jahr 2048 aufgewacht und bekommen von Damian eine Führung durch die Welt dieser Zukunft. Gerade besichtigen sie einen landwirtschaftlichen Betrieb in Brandenburg.

(…)

Sie bogen um die Ecke des Hauptgebäudes. Dort sprossen üppige Brombeerbüsche, aus denen der Ansatz einer kleinen Trittleiter hervorguckte.

»Verdammichte Brombeeren!«, fluchte es aus dem dichten Gestrüpp. »Hallo Helge!«, rief Damian.
Es raschelte einen Moment und dann sprang ein stämmiger, vielleicht fünfzigjähriger Mann aus der Hecke. Halblanges braunes Haar wehte um sein sonnengegerbtes Gesicht. Er trat breit grinsend auf Damian zu, klopfte sich die vom Brombeersaft gesprenkelten Hände an der Hose ab, und erdrückte Damian mit einer herzlichen Umarmung. »Damian, mein Guter! Schön dich zu sehen! Wen

hast du denn da mitgebracht?«

»Das sind Lena und Jannis.«

»Ach, die beiden Komaschläfer, von denen du erzählt hast.« Helges durchdringender Blick schweifte neugierig über die beiden.

(…)

»Ich dachte, ich zeige den beiden mal deinen Hof und gebe ihnen einen Einblick, wo das Essen heutzutage herkommt«, sagte Damian. Helge schaute sie ernst an. »Aha. Ihr wollt also ein paar Mehlmottenburger aus meiner Insektenzucht kosten.«
Lena entglitten die Gesichtszüge. Daraufhin lachte Helge schallend. »Helge!«, tadelte Damian und drohte ihm spielerisch mit dem Zeigefinger. »Hör auf mit dem Unsinn!«

Helge grinste und zwinkerte ihnen zu. »Keine Sorge. Es gibt hier zwar ziemlich viele Insekten. Aber ich beschränke mich auf den Anbau von Obst und Gemüse. Habt ihr Lust auf eine Tour durch die wunderbare Welt der Permakultur?« Er machte eine theatralische Geste und schaute sie erwartungsvoll an. Jannis und Lena nickten.

»Dann kommt mal mit.«

Er führte sie zwischen zwei Geräteschuppen hindurch auf sein Feld. Dort erstrahlte ein grünes Paradies. Dichte Reihen aus Apfel- und Kirschbäumen, Bohnen, Himbeeren, üppigen Salatköpfen und verschiedenen anderen Pflanzen erstreckten sich vor ihnen. Bienen summten, Schmetterlinge segelten durch die Luft und auch ein paar Hühner und Laufgänse huschten zwischen den farbenfrohen Pflanzenreihen umher. Lena blieb staunend stehen: »Wow, ich bin beeindruckt! Diese Vielfalt ist überwältigend.«

Helge lächelte nicht ohne Stolz. »Schöner als Monokulturen oder?«

Jannis beäugte einige Raupen, die von einem Apfelbaum hingen. »Mit Insektenzucht hattest du wirklich nicht ganz Unrecht.«

»Das stimmt. Da ich auf Chemie und Kunstdünger verzichte, fühlt sich das ganze Getier sehr wohl bei mir. Solange das Ökosystem im Gleichgewicht ist und keine Art überhandnimmt und zur Plage wird, ist das gar kein Problem. Nur ab und an muss ich etwas nachhelfen. Vorletztes Jahr krochen hier zum Beispiel sehr viele Nacktschnecken herum und haben uns die Salate zerfressen. Da Schnecken ein verlässlicher Hinweis darauf sind, dass der Boden zu verdichtet ist, habe ich also gewusst, dass ich dem Aufbau von organischem Material im Boden noch mehr Sorge schenken muss. Und siehe da, mit der Verbesserung des Bodens verschwanden auch die Schnecken.« Er lehnte sich nach vorne und hob den Zeigefinger. »Der Trick ist es, mit Mulch immer den Boden abzudecken. Nackter Boden ist für mich wie eine offene Wunde.«

»Und dieses Vorgehen nennt man Permakultur?«, fragte Jannis.

»Richtig.« Helge nickte. »Permakultur orientiert sich an natürlichen Ökosystemen und versucht, diese so gut es geht nachzuahmen. Man arbeitet mit der Natur, nicht gegen sie.« Er zeigte mit den Armen auf das Feld. »Das hier sieht auf den ersten Blick vielleicht aus wie ein wilder Garten, aber es ist ein höchst durchdachtes und präzise designtes Ökosystem. Die Hühner fressen Insekten, düngen den Boden und verteilen Nährstoffe. Bäume, Büsche, mehrjähriges und einjähriges Gemüse kooperieren miteinander.«

»Aber konkurrieren die Pflanzen auf so dichtem Raum denn nicht um Wasser und Nährstoffe?«, fragte Jannis verwundert.

»Nicht unbedingt. Das Entscheidende ist die Vielfalt und eine intelligente Integration der Pflanzen und Tiere. Viele der Beete hier sind so gestaltet, dass sich Symbiosen zwischen den Pflanzen ergeben. Alle Pflanzen sind über Mikroorganismen im Boden dicht miteinander verbunden, unterstützen sich über die Wurzeln beim Aufnehmen von Wasser und Nährstoffen, spenden sich Schatten oder schützen sich gegenseitig bei Frost. Knoblauch neben Erdbeeren hilft etwa gegen Krankheiten und Pilzbefall. Bohnen mögen Bohnenkraut. Der Trick ist es, als Landwirt auch Teil dieses Systems zu werden.«

»Und das repräsentiert die moderne Landwirtschaft?«, fragte Jannis skeptisch.

»Ganz genau«, sagte Helge und trat an eine Buschreihe heran, pflückte ein paar Himbeeren und reichte sie ihnen. Lena ließ eine Beere auf der Zunge zergehen und schloss die Augen. »Mmmh sind die lecker! Viel besser als das Zeug früher aus dem Supermarkt.«

(…)

Lenas Blick schweifte umher und blieb auf einem kleinen Baum hängen, an dem kleine orangene Früchte hingen. »Sind das Orangen?«

»Ja«, sagte Helge. »Einige robustere Sorten wachsen aufgrund der Erderwärmung inzwischen auch hier in Brandenburg. Aber so ganz heimisch fühlen sie sich nicht. Daher habe ich nur diese zwei Bäume.«

»Orangen in Brandenburg. Ich fasse es nicht.« Lena schüttelte den Kopf. »Dann wachsen in Bayern jetzt wahrscheinlich Avocados.«

»Nein, ganz so schlimm ist es nicht geworden«, sagte Helge. »Hätte es aber werden können«, fügte er ernst hinzu.

»Musst du viel wässern?«, fragte Jannis.

»Nein. Nur bei extremer Trockenheit. Guter Boden ist wie ein Schwamm und kann sehr viel Wasser speichern. Und die mehrjährigen Büsche und Bäume machen das Grundwasser auch für die einjährigen Pflanzen verfügbar. Aber für den Notfall haben wir vorgesorgt.« Er zeigte auf einen kleinen Teich am Fuß einer Hügelkette, auf dem zwei Enten sich gerade das Gefieder putzten. »Dort zum Beispiel haben wir ein sogenanntes Wasserretentionsbecken ausgehoben. Ich besuchte mal ein Landwirtschaftsprojekt in Portugal und habe mir das bei denen abgeschaut.«

(…)

Jannis erhob die Stimme: »Solche Gärten im Einklang mit der Natur sind ja schön und gut. Aber mit diesen Spielereien lässt sich nicht die ganze Welt ernähren. Bewirtschaftest du auch noch richtige Felder?«

»Wenn du mit richtigen Feldern die Monokulturen aus früheren Zeiten meinst, dann solltest du vielleicht erstmal ein Buch über Grundlagen der Ökologie lesen«, fuhr ihn Helge an.

Damian griff beschwichtigend ein: »Felder mit Monokulturen gibt es in der Tat kaum noch. Die sind einfach zu empfindlich gegenüber Schädlingen und Wetterschwankungen. In den letzten Jahrzehnten sind so einige Plagen über unsere Erde hinweggefegt. Das hat die alte Agrarindustrie in die Knie gezwungen und neuen Ansätzen zum Erblühen verholfen. Im wahrsten Sinne des Wortes.«

Jannis verschränkte die Arme. »Ich muss zugeben, dass dieser Garten beeindruckend aussieht. Aber am Ende des Tages muss das Essen auf dem Tisch stehen und die globale Nahrungsmittelversorgung bereitgestellt werden. Wie passt das bitte zusammen?«

Helge schaute ihn ernst an. »Ob du es glaubst oder nicht. Solche Gärten sind extrem produktiv. Permakulturhöfe wie dieser sind das Rückgrat der Nahrungsmittelproduktion. Im Vergleich zu den Monokulturen aus eurer Zeit produzieren sie in der Regel ein Vielfaches an Ertrag pro Fläche. Ganz ohne Dünger oder Pestizide.«

Damian nickte. »Helge hat Recht. Die Produktivität ist natürlich von Region zu Region sehr unterschiedlich, aber ihr seht ja selber, was hier alles wächst.« Er deutete auf die Felder. »Das ganze Jahr über wird hier geerntet. Viele Äcker sind jedoch noch ausgelaugt von den Jahrzehnten der Monokultur-Bewirtschaftung. Es dauert, bis der Boden sich erholt. Auch dieser Hof ist noch im Aufbau.«

Helge hob einen Finger. »Es ist nicht zu unterschätzen, wie viel Hirnschmalz im Design solcher Felder steckt. Dieser Garten ist das Ergebnis jahrelanger Planung und Pflege. Aber die Früchte und Erträge, die wir heute ernten, sind gewaltig.

(…)