Illustration: DMBO – Studio für Gestaltung

 

Was ist das Kapital?

Editorial zur Ausgabe 4/2021

Das Kapital war unser Wundermittel. Mit ihm haben wir das Leben auf einen Nenner gebracht, mittels Zahlen verbunden und bewertet – damit alles seine Ordnung hat, kontrollierbar wird, vergleichbar wird, systematisch verbessert werden kann.

Jetzt löst sich alles auf. Die Zeit der Wunder ist vorbei. Es zeigt sich: Im Windschatten des Kapitals sind wir vor der Realität geflohen. Wir nannten das „Fortschritt“. Oder „modern werden“. Tatsächlich sind wir nicht erwachsen geworden.

Der Traum vom Immer-Besser wurde zum Albtraum des Immer-Schlechter. Dass alles in der Kapitallogik verbunden worden ist, bedeutet jetzt, dass alles zusammen den Bach runtergeht. Wie der Schriftsteller Max Scharnigg kürzlich in der Süddeutschen Zeitung geschrieben hat: „Katastrophe ist das New Normal und ein Ende nicht in Sicht.“

Eine Lösung gibt es nicht. Nicht im Rahmen dessen, was wir kennen.

Aber was kennen wir noch nicht? Haben wir nicht schon alles probiert? Eben nicht. Das Wichtigste haben wir versäumt: metaphysisch mündig zu werden. Also: zu begreifen und zu akzeptieren, dass unser Dasein keine durchgängige Logik, keine vernünftige Grundlage, keinen übergeordneten Sinn hat – keine Form, keinen Rahmen, keine Ordnung, kein Prinzip. Nur wir stiften hier den Sinn, jede*r für sich, wir alle gemeinsam. Und weil jeder Sinn ein Ablaufdatum hat, muss die „Sinnmache“ immer wieder neu begonnen werden. Und zwar ohne die Berufung auf etwas „Größeres“ als uns. Ja, das hört sich nach Aufklärung an, aber nach einer, die nicht in die Überhöhung naturwissenschaftlich-funktionalen Denkens, die Fixierung auf Materielles und technischen Machbarkeitswahn führt, sondern weg von der kindlichen Hoffnung, der Widersprüchlichkeit und – im Ganzen! – Sinnlosigkeit unseres Daseins sei irgendwie beizukommen.

Damit aber wären wir nicht nur in der nächsten Epoche, sondern auch schon beim Thema der nächsten Ausgabe …

Ihr Frank Augustin
Chefredakteur

Frank Augustin hat Philosophie und Geschichte studiert, dann für das Journal für Philosophie der blaue reiter gearbeitet und ist seit 2009 für agora42 | Das philosophische Wirtschaftsmagazin tätig.