Wie weiter mit dem Menschen? | Interview mit Janina Loh

Spielzeug-RoboterFoto: Rock’n Roll Monkey | Unsplash

 

Wie weiter mit dem Menschen?

Interview mit Janina Loh

Mit den technischen Innovationen der letzten Jahre und der zunehmenden monopolistischen Tendenzen von Großkonzernen wie Google und Amazon scheint auf der Hand zu liegen, dass die Automatisierung voranschreiten und die Digitalisierung das Leben der Menschen verändern wird. Damit erlebt nicht nur die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zur Technik eine Renaissance – auch diejenige nach dem Menschlichen überhaupt stellt sich unter neuen Gesichtspunkten: Wie kann und wird sich der Mensch durch die Technik verändern? Wird er sich (technisch) „verbessern“? Müssen wir unsere Vorstellung des Menschlichen über- oder weiterdenken?

Unterschiedliche Autor*innen – aus der Philosophie oder aus den Tech-Unternehmen des Silicon Valley – prognostizieren die Verschmelzung des Menschen mit der Technik und befürworten diese Entwicklung, die von ihnen vertretenen Ansätze des Trans- und Posthumanismus vereinen Diskussionsstränge aus der Philosophie, den Sozial- und Kulturwissenschaften, den Neurowissenschaften, der Informatik, der Robotik und der KI-Forschung. Sie lassen sich an der Grenze von philosophischer Anthropologie und Technikphilosophie verorten. Janina Loh hat diese Diskussionen im Rahmen einer Einführung systematisch geordnet. Celine Klotz hat darüber mit Janina Loh gesprochen.

 

Janina Loh, im vergangenen Jahr ist Ihr Buch Trans- und Posthumanismus zur Einführung (Junius, 2018) erschienen. Sie stellen darin den Transhumanismus, den technologischen Posthumanismus und den kritischen Posthumanismus vor. Gemeinsam ist den drei Ansätzen, dass sie unsere Vorstellung des Menschlichen weiterdenken und auf die eine oder andere Art überwinden möchten. Wie unterscheiden sie sich voneinander?

Der Transhumanismus will den Menschen mit technologischen Mitteln verbessern und radikal verändern – einfach ausgedrückt: einen Supermenschen herstellen. Transhumanismus heißt dieser Ansatz, weil es nicht darum geht, den Menschen zu überwinden, sondern durch den gegenwärtigen Menschen hindurch zu einem anderen Wesen zu gelangen. Dieser Ort hinter dem Menschen durch den Menschen sei das Posthumane (was begrifflich schon verrückt ist, weil es sich beim Posthumanen dann doch wieder um etwas Nachgelagertes handelt). Der Philosoph Nick Bostrom sagt, dass wir, die jetzt lebenden Menschen, uns das Posthumane in etwa so gut vorstellen können, wie ein Affe sich vorstellen kann, ein Mensch zu sein – also gar nicht. Gleichzeitig ist das Posthumane im Transhumanismus immer noch etwas Menschliches: Wir verlieren mit ihm also nicht unsere Menschlichkeit, sondern modifizieren sie radikal mithilfe von Technologien. Und Technologie ist dabei im weitesten Sinne zu verstehen: genetische Veränderung etwa, durch die neue Fähigkeiten eröffnet werden, wie das Hören im Ultraschallbereich zum Beispiel. Die Veränderung kann aber auch die radikale Steigerung bereits vorhandener Kompetenzen bedeuten, von Intelligenz und Wahrnehmungsfähigkeit etwa – und vor allen Dingen die radikale Steigerung der Lebensdauer bis hin zur Unsterblichkeit. Das ist das Vorhaben des Transhumanismus in aller Kürze.

Der technologische Posthumanismus hat hingegen tatsächlich die Überwindung des Menschen und die Entwicklung einer neuen Spezies zum Ziel. Natürlich nicht durch die Tötung bereits existierender Menschen, sondern durch die Erschaffung einer künstlichen Superintelligenz, die als nächster Schritt der Evolution verstanden wird. In diesem Denken ist der Mensch nicht mehr „die Krone der Schöpfung“. Auch hier gibt es eine Idee vom Posthumanen, aber eben nicht in Form eines radikal veränderten Menschen, sondern in Form einer künstlichen Intelligenz, die die im Posthumanismus vielgepriesene Singularität, die absolute Einheit, einleitet. Auch von Mind Uploading ist oft die Rede, vom Hochladen menschlicher Bewusstseine in eine Art Cloud, durch die sie konserviert und unsterblich gemacht werden. Ray Kurzweil, Autor, Futurist und Director of Engineering bei Google, spricht etwa davon, dass Nanobots in unsere Körper eingepflanzt werden, um uns fitter zu machen. Eine solche Verschmelzung mit der Technik klingt wiederum sehr transhumanistisch. Verwirrenderweise wird der Mensch auch im technologischen Posthumanismus nicht ganz vergessen, dafür gibt es aber sehr pragmatische Gründe: Google beispielsweise hat das erklärte Ziel, eine künstliche Superintelligenz zu entwickeln. Wer würde solche Projekte aber finanzieren oder akzeptieren, wenn auf dem Weg zu diesem Ziel nicht auch etwas für den Menschen abfällt? Viele Menschen haben gerechtfertigte Bedenken, also muss der technologische Posthumanismus seine Technikeuphorie verschleiern und sie in das Interesse des menschlichen Wohlbefindens stellen.

Meines Erachtens darf man den Beteuerungen nicht glauben, dass es tatsächlich um den Menschen ginge – eigentlich geht es primär um die Idee einer künstlichen Superintelligenz. Deswegen sieht der Philosoph Stefan Lorenz Sorgner, der bekannteste Transhumanist im deutschsprachigen Raum, auch keinen Unterschied zwischen Transhumanismus und technologischem Posthumanismus. Für ihn ist der technologische Posthumanismus höchstens eine Extremform des Transhumanismus. Ich halte hingegen an der Unterscheidung fest, weil die Ziele der beiden Ansätze sich voneinander unterscheiden: der Posthumanismus will letztlich eine völlig neue Spezies erschaffen – das will der Transhumanismus (unter Umständen zwar auch; je nachdem, wie der Begriff definiert und verwendet wird, aber) nicht primär.

Der kritische Posthumanismus wiederum ist völlig anders. Er will zwar auch den Menschen überwinden, aber auf eine ganz andere Art: nicht auf technologischem Wege, sondern durch die kritische Auseinandersetzung mit dem gängigen Menschen- und Weltbild, das vorrangig ein humanistisches ist. Sehr treffend hat der Literaturwissenschaftler Neil Badmington gesagt: „The post is forever tied up to what it is posting.“ – das „post-“ ist immer an das gebunden, was es „posten“, also überwinden möchte. Der kritische Posthumanismus bleibt also immer an den Humanismus gebunden, weil letzterer dasjenige ist, was überwunden werden soll. Bei dieser Überwindung geht es aber nicht um eine Modifizierung oder Verbesserung des Menschen, sondern um eine kritische Infragestellung der Normen, Werte und Kategorien, die unser humanistisches Menschen- und Weltbild ausmachen: Die Dichotomien von Natur und Kultur, Mensch und Tier, natürlich und künstlich, Mann und Frau usw. Und durch das Hinterfragen der Grundlagen unseres Denkens stellt der kritische Posthumanismus automatisch infrage, was wir unter dem Begriff „Mensch“ verstehen.

 

Ist der Posthumanismus immer entweder technologisch oder kritisch?

Ja. Es stellt sich aber ohnehin die Frage, wie ernst man diese Labels nehmen will: Diejenigen, die sich diesen Strömungen zuordnen, benutzen die Begriffe selbst oft sehr ungenau. Im kritischen Posthumanismus ist es wahrscheinlich noch am verbreitetsten, dass das Label trennscharf verwendet wird – als Abgrenzung vom Transhumanismus und vom technologischen Posthumanismus oder überhaupt von anderen posthumanistischen Strömungen. Die Feministin und Philosophin Rosi Bridotti oder der Englischprofessor und Autor Cary Wolfe, die ich beide dem kritischen Posthumanismus zuordne, erklären sehr deutlich, was sie unter Posthumanismus verstehen. Und dass die kritischen Posthumanist*innen eher Begriffsarbeit betreiben, liegt sicher auch daran, dass sie der intellektuellsten dieser Strömungen angehören.

Intellektuell ist dabei nicht unbedingt im positiven Sinne zu verstehen: Der Vorwurf, dass diejenigen, die sich kritische Posthumanist*innen nennen, da etwas tun, was nichts mit konkreten Lebensrealitäten zu tun hat, ist durchaus gerechtfertigt: Schon die Erklärung der Idee ist schwierig, da der Humanismus für die meisten Menschen aus nachvollziehbaren Gründen positiv konnotiert ist – da ist der Transhumanismus sehr viel anschlussfähiger.

 

Wie viel Fortschrittsoptimismus steckt in trans- und technologisch-posthumanistischen Ansätzen? Und daran anschließend: Inwiefern stehen diese Ansätze im Dienste des Neoliberalismus?

Ich denke, der Transhumanismus ist in seinem Kern fortschrittsoptimistisch, ja. Ich habe mich viel mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Transhumanismus eine technologische Utopie darstellt. Und ich denke, das ist nicht der Fall, weil er keine Kritik der Gegenwart beinhaltet, die ein wichtiger Bestandteil klassischer politischer und sozialer Utopien ist. Statt einer kritischen Auseinandersetzung mit der Gegenwart gibt es im Transhumanismus oder im technologischen Posthumanismus fatalistische und technologisch-deterministische Zukunftsprognosen, die die Singularität (s.o.) voraussagen. Und ein paar Anti-Google-Barbar*innen im letzten Winkel der Moderne haben darauf ohnehin keinen Einfluss – so das Denken der Transhumanist*innen überspitzt paraphrasiert. Die fortschrittsoptimistische Tendenz zeigt sich beispielsweise im Bestreben, die schon begonnen Prozesse zu beschleunigen, weil die jetzt Lebenden ja auch schon an der Unsterblichkeit teilhaben wollen. Gerade der Transhumanismus ist ein Kind seiner Zeit: eine Ausgeburt des Kapitalismus. Dagegen ist der kritische Posthumanismus eigentlich nicht vor dem Hintergrund eines kapitalistischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems umsetzbar.

 

Transhumane Praktiken finden wir mit Smart Watches, Schrittzählern und Apps zur Schlafoptimierung bereits in unserem Alltag, dort vollziehen sie sich meistens implizit und im Zusammenhang mit Big Data-Anwendungen oder individualistischer Selbstoptimierung. Besteht darin Ihrer Einschätzung nach eine Gefahr?

Ja, die Gefahr ist sehr real und ich habe gerade in Bezug auf die Verflechtung mit dem Kapitalismus große Bedenken. Es gibt zum Beispiel die Bewegung des Quantified Self, die überzeugt davon ist, durch Analyse und Auswertung körperbezogener Daten Erkenntnisse gewinnen zu können, und deren Leitspruch lautet: „self knowledge through numbers“. Dahinter steht die Idee, dass wir mithilfe von smart watches oder Schrittzählern oder anderer Messgeräte, die die Übersetzung von Körperdaten in Zahlen erlauben, Erkenntnisse gewinnen können, die relevant für unser Selbst sind. Und diese These, dass sich alles am Menschen Wichtige in Daten und Zahlen übersetzen lässt, findet sich im Transhumanismus ebenso wie außerhalb der Quantified Self-Bewegung an vielen anderen Stellen – beispielsweise im Gesundheitswesen im Falle der digitalen Patientenakte. Hinter diesen Phänomenen muss kein transhumanistisches Weltbild stehen und ich möchte auch nicht alle angreifen, die solche Technologien aus unterschiedlichen Beweggründen nutzen. Aber die Idee, dass sich alles Relevante an uns und der uns umgebenden Welt in Zahlen, Daten und Informationen ausdrücken lässt, hat die Tendenz zur Reduktion. Und sie gibt einem algorithmischen Denken Vorschub, weil Zahlen, Fakten und Daten von Algorithmen ausgewertet und dann auch prognostiziert werden können: Bereits jetzt gibt es Algorithmen, die anhand der Analyse unserer Social Media-Profile ausrechnen (können wollen), mit welcher Wahrscheinlichkeit wir innerhalb der nächsten fünf Jahre an Depressionen erkranken werden. Die Daten, die wir hinterlassen, werden wiederum durch Dritte nach selbst gesetzten Zwecken ausgewertet, verkauft oder genutzt. Und wenn wir anfangen, den Algorithmen Glauben zu schenken, machen wir uns zu dem, was sie prognostizieren – eine self fulfilling prophecy.

Und noch etwas: Wenn wir den Transhumanisten*innen Glauben schenken, müssen wir annehmen, dass der gegenwärtige Mensch defizitär, von Mutter Natur quasi schlecht gemacht worden ist. Und das glaube ich nicht, das halte ich sogar für Quatsch. Auch andere philosophische Positionen mit dieser Überzeugung halte ich für Quatsch. Ich bin weder unzufrieden, noch fühle ich mich defizitär, weil ich sterblich bin.

 

Wenn die Automatisierung oder die Verschmelzung mit Technologie die Lösung ist, worin besteht dann das Defizit, die Krise des Menschlichen? In seiner Unvollkommenheit?

Für den Transhumanismus ist das der Fall, ja. Hier wird der Mensch als unvollkommenes, unfertiges Wesen betrachtet, das viel Potenzial hat, aber ungünstige Barrieren mit sich herumschleppt. Im Posthumanismus ist es anders, weil es da ja eigentlich sowieso nicht um den Menschen geht – aber wenn, dann wird der Mensch als reiner Geist verstanden. Für den Transhumanismus besteht der Mensch aus Körper und Geist und weil der Körper baufällig und der Geist auch nicht ganz perfekt ist, wird der Mensch insgesamt als defizitär gesehen. Im technologischen Posthumanismus wird der Körper eigentlich nicht als Teil des Menschen erachtet, sondern eher als kontingentes Gerüst, in das der Geist verbannt worden ist. Und wenn wir es schaffen, uns beispielsweise durch Mind Uploading von diesem gebrechlichen Körper zu befreien, sind wir einen Schritt näher an der Befreiung des eigentlichen Menschen, der nur aus einem klaren, starken, freien Geist besteht. Deswegen besteht die Krise des Menschen für den Transhumanismus in seiner Unvollkommenheit, im technologischen Posthumanismus dagegen in der Gebundenheit des Geistes an die Körperlichkeit.

 

Sie positionieren sich selbst als kritische Posthumanist*in und betonen, dass sich die Gefahren neuer Technologien weniger aus den Technologien selbst als vielmehr aus ihrer Nutzung durch den Menschen im kapitalistischen Interesse ergeben. Sind wir über den point of no return schon hinaus oder sehen Sie noch die Möglichkeit einer positiven Wendung unseres Umgangs mit der Technik?

Natürlich sehe ich diese Möglichkeit. Wenn es keine Hoffnung mehr gäbe, könnten wir uns zum einen Interviews wie dieses, Podiumsdiskussionen, Konferenzen und Forschungsprojekte und den ganzen Kram sparen. Und zum anderen gibt es ja Alternativen: Alternativen zum Kapitalismus – nicht nur eine übrigens – und um die müssen wir kämpfen. Wir dürfen uns nicht einbilden, wir könnten den Kapitalismus abschaffen und morgen etwas Neues errichten. Bei großen Veränderungen handelt es sich immer um historische Prozesse. Aber ich glaube an eine bessere Zukunft, ansonsten würde es sich nicht lohnen, Öffentlichkeiten zu suchen.

Und die Frage, ob wir die Technik auch zu einem guten Zweck einsetzen können, ist zu allgemein formuliert, als dass eine adäquate Antwort darauf möglich wäre. Fast jede Technik lässt sich zu allen möglichen Zwecken einsetzen. Aber ich denke, wir sollten uns konkret damit befassen, über welche Technologien wir sprechen, wofür sie ursprünglich geschaffen worden sind und wozu wir sie einsetzen wollen. Ein Maschinengewehr beispielsweise ist an erster Stelle dafür da, einem Gegenüber zu schaden. Es lässt sich zwar auch als Hammer oder als Krücke benutzen, aber wenn sich dafür andere Sachen eher anbieten, kann man sich vom Maschinengewehr vielleicht auch verabschieden.

Ich denke, wir brauchen einen kritischen Diskurs, der möglichst viele Stimmen einbezieht, möglichst vielen unterschiedlichen Stimmen Gehör verschafft und in einer Sprache spricht, die möglichst viele Menschen verstehen – einen solchen Diskurs brauchen wir über Technologien, die wir haben und noch entwickeln, und natürlich auch über eine Gesellschaft, in der wir leben wollen. Möglich ist eine positive Wendung also ohne Frage.

Janina Loh, vielen Dank für das Gespräch!

Janina Loh hat an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert und in Philosophie promoviert. Zu ihren Forschungsinteressen zählen neben dem Trans- und Posthumanismus und der Roboterethik auch feministische Technikphilosophie, Hannah Arendt, Theorien der Urteilskraft und Verantwortung. Derzeit hat Janina Loh die Stabsstelle Ethik der Stiftung Liebenau inne und arbeitet an ihrem vierten Buch.

Diese Ausgaben von agora42 könnten Sie interessieren: