AUSLAUFMODELL DEMOKRATIE? Editorial zu Ausgabe 3/2024 | Frank Augustin

Coverillustration agora42 3/2024 AUSLAUFMODELL DEMOKRATIECover: DMBO – Studio für Gestaltung

 

AUSLAUFMODELL DEMOKRATIE?

Editorial zu agora42 3/2024

Für immer mehr Menschen wird es immer mühsamer, die gewohnten Routinen aufrechtzuerhalten, (nicht nur) für die Jungen mangelt es an Perspektiven, alles wird immer widersprüchlicher. Längst ist klar: Es stimmt etwas insgesamt nicht mit unserer Gesellschaft.

Geht man nun davon aus, dass sich diese mit „Demokratie“ im Prinzip ganz gut beschreiben lässt und startet die große Fehleranalyse, ist man schon auf dem Holzweg. Mit Demokratie haben wir kein Problem – wohl aber damit, dass wir zu wenig von ihr haben. Denn nach dem Scheitern von Religionen, Konservativismus, Faschismus und Staatssozialismus hat keineswegs die weltanschauungsfreie Zeit begonnen. Vielmehr sprang schon bald das Ökonomische in die Bresche und füllte sie immer selbstbewusster aus. Im Grunde leben wir in einer Mischform aus Demokratie und Ökonokratie, in der die Wirtschaft wie ein unsichtbarer Souverän fungiert; ein Souverän, der sich hinter Wachstums- und Profitzwängen versteckt, hinter Märkten mit ihren Vorgaben, Milliarden von Kennzahlen, die Rationalität vorgaukeln, und Millionen von Konsumprodukten, die unseren Alltag zunehmend vereinnahmen. Dieser Souverän verlangte viel von uns, viel Zeit und Kraft, und verhinderte so die weitere Ausbildung demokratischer Tugenden.

Warum sind Weltanschauungen so gefährlich? Weil sie auf einer bestimmten Vorstellung der Welt und der Gesellschaft gründen. Letztlich muss alles in diese rigiden Welt- bzw. Gesellschaftsbilder eingepasst werden. Und das schränkt unsere Leben über Gebühr ein. Das macht uns auf Dauer fertig und bringt uns gegeneinander auf. Demokratie hingegen bleibt in letzter Hinsicht ziemlich unbestimmt. Sie ist weltanschaulich obdachlos. Weil sie das „große Ganze“ nicht endgültig definiert, sind die Bürger*innen frei, die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche sinnvoll zu definieren und können so ihren Bedürfnissen optimal Rechnung tragen.

Die jetzige „Demokratie“ darf und muss man also kritisieren – allerdings nur im Namen einer wirklichen, „obdachlosen“ Demokratie. Sonst landet man unwillkürlich im nächsten Weltanschauungsgefängnis.

Ihr Frank Augustin
Chefredakteur, faugustin@agora42.de

Frank Augustin
Frank Augustin hat Philosophie und Geschichte studiert, dann für das Journal für Philosophie der blaue reiter gearbeitet und ist seit 2009 für agora42 tätig.