Märkte, Macht und Mikrokämpfe | Interview mit Joseph Vogl

Graffiti: Demokratie in Gefahr?Foto: unsplash

 

Märkte, Macht und Mikrokämpfe

Interview mit Joseph Vogl (gekürzt) | online veröffentlicht am 13.01.2024

Herr Vogl, Sie haben 2010 ein Buch mit dem Titel Das Gespenst des Kapitals veröffentlicht – was ist am Kapital gespenstisch?

Der Titel hat verschiedene Konnotationen. Er spielt auf der einen Seite auf das „Gespenst des Kommunismus“ an, jene berühmte Formulierung des Kommunistischen Manifests. Auf der anderen Seite meine ich mit „Gespenst“ das spezifische Wiedergängertum des Kapitals, seine Zukunftssüchtigkeit. Kapital ist aus dieser Perspektive etwas, das die Zukunft beleiht und durch diese Beleihung der Zukunft unmittelbar in die Gegenwart hereinreicht. Es macht sich also nicht wie in älteren Schauergeschichten eine vergangene Schuld durch ein blutiges Gespenst in der Gegenwart bemerkbar und pocht auf eine rückwirkende Behebung, sondern es sind künftige Schulden, die aus der Zukunft in die Gegenwart zurückkommen – das ist das Gespenst des Kapitals. Diese Zukunft richtet in der Gegenwart tatsächlich etliches an Schlamassel an. Märkte, Macht und Mikrokämpfe | Interview mit Joseph Vogl weiterlesen

„Revolution ist, wenn vorher Undenkbares selbstverständlich geworden ist.“ | Interview mit Eva von Redecker

Sticker: "Kapitalismus ist kein Naturgesetz"Foto: Markus Spiske | unsplash

 

„Revolution ist, wenn vorher Undenkbares selbstverständlich geworden ist.“

Interview mit Eva von Redecker | online veröffentlicht am 29.08.2023

„Der Kapitalismus zerstört das Leben“ – dieser Satz findet sich gleich auf der ersten Seite Ihres Buches Revolution für das Leben. Was ist Kapitalismus und was macht ihn so zerstörerisch?

Ich finde die gängigen Definitionen von Kapitalismus nicht falsch – Privatbesitz an Produktionsmitteln zum Beispiel –, definiere ihn aber selbst anders: als sachliche Sachherrschaft. Im Kapitalismus sind nach meinem Verständnis zwei Herrschaftsformen auf Dauer gestellt: Zum einen die Herrschaft, die durch das moderne Eigentum strukturiert wird: Sachherrschaft; und zum anderen die durch die kapitalistische Verwertung strukturierte Herrschaft, die ich in Anlehnung an Karl Marx „sachliche“ Herrschaft nenne. Dabei geht es um die profitorientierte Warenproduktion für den Markt. „Revolution ist, wenn vorher Undenkbares selbstverständlich geworden ist.“ | Interview mit Eva von Redecker weiterlesen

Auf den Umwegen entsteht das Leben | Interview mit Hartmut Rosa

BeschleunigungFoto: Chris Dickens | unsplash

 

Auf den Umwegen entsteht das Leben

Interview mit Hartmut Rosa (Auszug)

„Jede*r ist seines Glückes Schmied“, bekommt man einerseits zu hören, wenn es um die Frage nach dem guten Leben geht. Andererseits quellen die Buchladenregale über von Ratgebern für ein erfolgreiches und gelingendes Leben. Warum befasst sich eine kritische Theorie der Gesellschaft mit dem guten Leben?

Ob Kritische Theorie generell über das gute Leben nachdenken muss, da kann man unterschiedlicher Meinung sein. Es gibt Vertreter*innen der Kritischen Theorie, die sagen: „Nein, das soll sie gerade nicht. Kritische Theorie sollte auf das Falsche hinweisen und mehr nicht“ – in Anlehnung an den Adorno-Satz „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“. Mir wurde vorgeworfen, ich würde die Kritische Theorie um ihr Wichtigstes bringen, nämlich die reine Negativität. Von einer solchen Position versuche ich mich abzusetzen, denn sonst wird Kritik letzten Endes zum wirkungslosen Nörgeln – „Alles ist schlecht und müsste ganz anders sein und der Kapitalismus ist sowieso ganz böse“. Solche Kritik erzeugt überhaupt keine transformativen Energien. Auf den Umwegen entsteht das Leben | Interview mit Hartmut Rosa weiterlesen

Das Leben – unausweichlich gemeinsam | Interview mit Rahel Jaeggi

Schriftzug: FreedomFoto: Gayatri Malhotra | unsplash

 

Das Leben – unausweichlich gemeinsam

Interview mit Rahel Jaeggi

Zur Beschreibung des Sozialen verwenden Sie den Begriff der Lebensformen. Was zeichnet Lebensformen aus?

Mit „Lebensformen“ beschreibe ich, ganz ähnlich wie im alltäglichen Sprachgebrauch, eine Reihe sehr unterschiedlicher Formen menschlichen Zusammenlebens. So ist beispielsweise die bürgerliche Kleinfamilie eine Lebensform. Oder es gibt die Lebensform des Städtischen im Gegensatz zu jener der Provinz. Der Lebensformbegriff bezieht sich also – im Gegensatz beispielsweise zum Begriff der Lebensführung – weniger auf individuelle denn auf kollektive Phänomene, also auf sozial geteilte Praktiken. Das Leben – unausweichlich gemeinsam | Interview mit Rahel Jaeggi weiterlesen

Der Markt auf Steroiden | Interview mit Katharina Pistor

Hochhäuser im NebelFoto: Matthew Henry | Unsplash

 

Der Markt auf Steroiden

Interview mit Katharina Pistor

In ihrem Buch Der Code des Kapitals. Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft (Suhrkamp, 2020) zeigt die Juristin Katharina Pistor, wie Gesetze, Gerichte und Anwälte den Kapitalismus in seiner heutigen Form begründet haben, wie über mehrere Jahrhunderte rechtliche Regelungen und Entscheidungen dazu geführt haben, dass man fast alles – Natur, Gensequenzen, Ideen – als privates Kapital codieren und der Allgemeinheit entziehen kann. Pistor beklagt, dass das Recht, das in einer demokratischen Gesellschaft für alle gleich ausfallen und zugänglich sein sollte, die Ungleichheit verschärft und Reichen sowie Kapitalgesellschaften Privilegien verschafft. Es seien zunehmend nicht die demokratisch gewählten Regierungen, die über die Gestaltung der Gesellschaft bestimmen würden, sondern die „Herren des Codes“, die Rechtsanwält*innen. Die rechtlichen Möglichkeiten der Codierung von Gütern zu Kapital haben sich über Jahrhunderte stetig weiterentwickelt und an Attraktivität für Vermögende und große Unternehmen gewonnen, so Pistor. Das Wissen über diese Möglichkeiten und der Zugang zu diesen rechtlichen Instrumenten seien entscheidend für die Sicherung und Bildung von Vermögen sowie für die wachsende Vermögensungleichheit. Die Abschirmung von Vermögen vor Besteuerung gehöre zu den gefragtesten Dienstleistungen der großen Anwaltskanzleien. Der Markt auf Steroiden | Interview mit Katharina Pistor weiterlesen

Gleichberechtigung, Arbeit und das gute Leben | Interview mit Teresa Bücker

Foto aus dem Interview Fotos: Schore Mehrdju

 

Gleichberechtigung, Arbeit und das gute Leben

Interview mit Teresa Bücker

Frau Bücker, Ihre Kolumne im Magazin der Süddeutschen Zeitung heißt „Freie Radikale“. Brauchen wir heute radikale Ideen und wenn ja, warum?

Auf jeden Fall brauchen wir radikale Ideen! In meiner Kolumne versuche ich, den Begriff „radikal“ ein bisschen zu rehabilitieren, weil er meiner Wahrnehmung nach dazu genutzt wurde, um bestimmte Ideen gleich wieder aus dem Diskurs zu verdrängen – im Sinne von: „Das ist zu groß gedacht, das ist sowieso nicht umsetzbar.“ Das beobachte ich vor allem in der Politik. Dabei wäre es gerade die Aufgabe einer progressiven Politik, genau solche Ideen nach vorne zu stellen und Szenarien zu entwerfen, die 20 oder auch 30 Jahre in die Zukunft gehen und sich nicht nur innerhalb eines Fünf-Jahres-Horizonts bewegen. Man sollte mehr darüber sprechen, was wir uns überhaupt vorstellen möchten und was prinzipiell möglich sein könnte – ohne gleich einzuwenden „das scheitert am Geld“ oder „dann geht die Wirtschaft den Bach runter“. Man muss erst einmal Denkräume aufmachen, die es wieder ermöglichen, über das eigene Leben nachzudenken. (…) Gleichberechtigung, Arbeit und das gute Leben | Interview mit Teresa Bücker weiterlesen

Es fehlt der Raum für Experimente | Hanna Noller

Blick von oben auf StuttgartFoto: Max Böttinger | Unsplash

 

Es fehlt der Raum, in dem experimentiert werden kann

Interview mit Hanna Noller

Frau Noller, Sie sind Gründungsmitglied von Stadtlücken e. V. Mit Ihren Mitstreiter*innen haben Sie in Stuttgart eine urbane Brache – den Österreichischen Platz – ausfindig gemacht und wiederbelebt. Was war dabei das größte Problem? Was sagt das über den Zustand unserer Städte aus?

Gestartet sind wir in das Projekt als junge Gestalter*innen, die sich für eine lebenswerte Stadt Stuttgart engagieren wollten und Lust hatten, ihre Expertise in die Gestaltung ihrer Stadt einzubringen. Um den Österreichischen Platz als urbanes Experimentierfeld zu nutzen, mussten wir die Fläche von der Stadt Stuttgart pachten. Damit ging die gesamte Verantwortung und Haftung für die Fläche von der Stadt an den gemeinnützigen, bis jetzt rein ehrenamtlich arbeitenden Verein über und damit eigentlich an die Vorstände des Vereins, die im Ernstfall mit ihrem Privatvermögen und dem ihrer Familien für Schäden haften würden. Die größte Herausforderung lag somit in der Klärung der verantwortlichen Zuständigkeiten, Haftungsfragen und Versicherungsmöglichkeiten. Es fehlt der Raum für Experimente | Hanna Noller weiterlesen

„Wir sind komplett wirtschaftsverwahrlost“ | Interview mit Christopher Lauer

Pappschild: Why Aren't We Changing?Foto: Markus Spiske | Unsplash

 

„Wir sind komplett wirtschaftsverwahrlost“

Interview mit Christopher Lauer (gekürzt)

Herr Lauer, angesichts einer sich am Alten festklammernden Gesellschaft haben Sie kritisch angemerkt: „Das 20. Jahrhundert ist endgültig vorbei.“ Und: „Die Weltordnung, wie sie mal nach dem Zweiten Weltkrieg entstand (…), die ist jetzt wirklich weg.“ Das hört sich nach Schiller an: „Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit.“ Ist das Neue schon zu sehen – oder sehen wir gerade nur das Alte zerbröseln? „Wir sind komplett wirtschaftsverwahrlost“ | Interview mit Christopher Lauer weiterlesen

Wie kommt der Sinn auf die Verpackung?

Wie kommt der Sinn auf die Verpackung?

Interview mit Klaus Kerschensteiner

Herr Kerschensteiner, die Sprache der Werbung ist nicht zuletzt aufgrund der Reflexion über ihre Funktionsweise einer beständigen Evolution ausgesetzt. Können Sie einige Abschnitte dieser Entwicklung für uns skizzieren?

Werbesprache hat seit jeher einen appellativen Charakter, das heißt ihre Aussage richtet sich an Empfänger, die in irgendeiner Art und Weise zum Handeln aufgefordert werden. Schon im alten Ägypten warben Schamanen auf Tontafeln für ihre Dienstleistungen und um die Gunst der betuchten Bevölkerung. Aus der Zeit des römischen Reiches gibt es schriftliche Nachweise, dass auf Hauswänden Wahlwerbung betrieben wurde. Die bedeutendste Evolution ging mit dem Buchdruck einher. Es entstanden erste Etiketten zur Warenkennzeichnung, die appellative Sprachfunktion wich der Darstellung. Heraldische Wappen, später Etiketten oder Markenlogos dienten zunächst nur dazu, die Herkunft oder den Produzenten einer Ware oder eines Schriftstücks zu bezeichnen. Da sich Wappen und Schriftzüge schon bald ähnelten wurden die Markenzeichen der Produzenten immer aufwändiger und umfangreicher, kurze Beschreibungstexte wurden zu Fließtexten, Wappen wurden zu Bildern. Wie kommt der Sinn auf die Verpackung? weiterlesen

Europa … verzweifelt gesucht – Interview mit Richard David Precht

Europa … verzweifelt gesucht

Interview mit Richard David Precht

Im Jahr 2014 führten wir ein Interview mit Richard David Precht für unsere Ausgabe zum Thema Europa. Vor dem Hintergrund der anstehenden Wahl zum Europäischen Parlament am kommenden Sonntag, möchten wir Ihnen gerne Auszüge aus diesem Interview präsentieren.

Herr Precht, von geografischen Definitionen abgesehen: Was bedeutet Ihnen Europa?

Ich habe kein starkes emotionales Verhältnis zu Europa. Ich halte es auch für zwecklos, Europa über einen besonderen Wesenszug definieren zu wollen. Ohne Zweifel wurde Europa durch die Aufklärung geprägt. Aber dieses Erbe ist für mich kein Grund, in Begeisterung auszubrechen, denn es ist genauso wunderbar wie fürchterlich. Europa hat so viel Unheil über sich selbst und die Welt gebracht, dass ich jeder Form von romantischer Verklärung skeptisch gegenüberstehe. Für mich ist Europa, ein geeintes Europa, ein sehr nützliches Werkzeug, um gewaltige Zukunftsprobleme zu lösen. Das ist mein Verhältnis zu Europa. Europa … verzweifelt gesucht – Interview mit Richard David Precht weiterlesen