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Märkte, Macht und Mikrokämpfe
Interview mit Joseph Vogl (gekürzt) | online veröffentlicht am 13.01.2024
Herr Vogl, Sie haben 2010 ein Buch mit dem Titel Das Gespenst des Kapitals veröffentlicht – was ist am Kapital gespenstisch?
Der Titel hat verschiedene Konnotationen. Er spielt auf der einen Seite auf das „Gespenst des Kommunismus“ an, jene berühmte Formulierung des Kommunistischen Manifests. Auf der anderen Seite meine ich mit „Gespenst“ das spezifische Wiedergängertum des Kapitals, seine Zukunftssüchtigkeit. Kapital ist aus dieser Perspektive etwas, das die Zukunft beleiht und durch diese Beleihung der Zukunft unmittelbar in die Gegenwart hereinreicht. Es macht sich also nicht wie in älteren Schauergeschichten eine vergangene Schuld durch ein blutiges Gespenst in der Gegenwart bemerkbar und pocht auf eine rückwirkende Behebung, sondern es sind künftige Schulden, die aus der Zukunft in die Gegenwart zurückkommen – das ist das Gespenst des Kapitals. Diese Zukunft richtet in der Gegenwart tatsächlich etliches an Schlamassel an.
Spricht man heute über Kapital, muss man zuerst über Finanzkapital sprechen, welches das sogenannte Realkapital um ein Vielfaches übertrifft. Was charakterisiert das Finanzkapital? Hat es sich tatsächlich von der Realwirtschaft abgekoppelt und eine eigene Sphäre gebildet?
Nein. Es mag aus der Perspektive mancher wünschenswert erscheinen, ein Reservat zu gründen, in dem die Leute mit ihren Kapitalien spielen können und das man dann wie einen Zoo besichtigen kann. Leider ist es nicht so. Das, was man virtuelles Geld oder immaterielles Kapital nennt, hat ganz manifeste Rückwirkungen auf die analoge, fleischliche, materielle Welt.
Es ist interessant, was anfänglich als „Kapital“ bezeichnet wurde. Der Kapitalist war jemand, der Staatsanleihen besaß – der also als Staatsfinanzierer von den Erträgen seiner Anlagen gelebt hat, sprich von Zinsen und Zinseszinsen. Ursprünglich war der Kapitalist also der Rentier. Dabei hat das Finanzkapital immer schon einen Sonderstatus gehabt. Es ist seit Ausgang des Mittelalters in einer Grauzone zwischen den entstehenden Staatsapparaten einerseits und privaten Financiers andererseits entstanden. Diese Grauzone hat sich im Laufe der Geschichte institutionalisiert. Beispiele für diese Institutionalisierung sind etwa die Zentral- und Nationalbanken. Sie sind spätestens seit dem 17. Jahrhundert aus dem Zusammenschluss privater Investoren entstanden, um öffentliche Haushalte zu finanzieren – wie beispielsweise im Falle der Bank von England ab 1694. Man kann also nicht sagen, dass das Finanzkapital entweder auf der einen Seite zum Staat oder auf der anderen zum Markt gehört.
Erst im Laufe der Geschichte sind diesen Banken neue Aufgaben zugekommen: Währungssicherung, Zinspolitik, Sicherung des Finanzsystems, Inflationsbekämpfung etc. Aufgaben, die heute beispielsweise die Europäische Zentralbank, die Deutsche Bundesbank oder die Federal Reserve in den USA erfüllen. Man darf aber nicht vergessen: Auch das Federal-Reserve-System, also eine Regierungsinstitution, ist ein Zusammenschluss von privaten Banken.
Wenn das Finanzkapital keine eigene Sphäre bildet, warum wird dann von einer neuen Qualität des Kapitalismus seit den 1970er-Jahren gesprochen?
Um diese Frage zu beantworten, muss man sich die Zeit vor 1970 ansehen. Der Soziologe Wolfgang Streeck hat den Begriff „Wohlfahrtsstaatskompromiss“ geprägt, der nach 1945 die Politik der wichtigsten westlichen Industrienationen gekennzeichnet hat. Dieser Kompromiss hat sich vor dem Hintergrund der Katastrophen des 20. Jahrhunderts herausgebildet, also der Wirtschaftskrisen, der politischen Desaster und der beiden Weltkriege. Infolge des Wunsches, eine stabile Nachkriegsordnung zu formieren, kam es 1944 zum Abkommen von Bretton Woods. Das Bretton-Woods-System war ein internationales Finanzsystem, das durch mehr oder weniger stabile Wechselkurse gekennzeichnet war, begleitet von der Einführung dessen, was in Deutschland „soziale Marktwirtschaft“ heißt, also ein soziales Arrangement mit starken Gewerkschaften, sozialstaatlichen Einrichtungen und einer entsprechenden Besteuerung von Kapitalvermögen und Unternehmen. Das Bretton-Woods-System ist spätestens Ende der 1960er-Jahre aufgrund unterschiedlicher Faktoren in eine Krise geraten. Da es für die USA zunehmend unrentabel geworden war, kündigten sie es Anfang der 1970er-Jahre auf. Damit fielen zahlreiche Beschränkungen weg, und die Grundlage für den Aufstieg der Finanzmärkte war geschaffen.
So hat sich seit den 1970er-Jahren und mit zunehmender Geschwindigkeit ab den 1980er-Jahren – politisch gewollt – eine Liberalisierung der Finanzmärkte durchgesetzt, ausgehend von Großbritannien und den USA. Das hat zu einer Abwanderung von Finanzmarktakteuren aus regulierten Börsenschauplätzen geführt, das heißt, es gab mehr und mehr Schattenbanken und „over the counter“-Handel. In einem letzten Schritt wurde diese Liberalisierung durch die Freigabe des World Wide Web für Finanzgeschäfte seit Mitte der 1990er-Jahre noch dramatisiert. Das führte beispielsweise dazu, dass heute mehr als 70 Prozent aller Finanztransaktionen über Algorithmen abgewickelt werden – eine erhabene Summe. Um eine Zahl zu nennen: Im Jahr 2000, als die Dotcom-Blase platzte, sind allein durch die Netze der New Yorker Wallstreet täglich 1,9 Billionen US-Dollar geflossen.
Die heutige Dominanz der Finanzmärkte hat noch einen weiteren Grund: Anfang der 1980er-Jahre sah sich der damalige Präsident der Federal Reserve, Paul Volcker, mit einer hohen Inflationsrate in den USA konfrontiert, worauf er die Leitzinsen stark erhöhte. Das führte zum sogenannten Volcker-Schock, in dessen Folge es zu einer Umlenkung des internationalen Kapitals, beispielsweise der Handelsüberschüsse aus Deutschland oder Japan, an die Wallstreet kam. Denn es war infolge der höheren Zinsen wesentlich profitabler, es dort zu investieren als zum Beispiel in Industrieanlagen.
Diese Dinge kamen zusammen und führten zum Take-off der Finanzindustrie sowie zu einer erst schleichenden und später dann merklichen Deindustrialisierung insbesondere in Großbritannien und den USA. Die Privilegierung des internationalen Finanzmarkts hat zu dem geführt, was man „Extremismus der Finanzmärkte“ nennen könnte. Ich möchte betonen, dass sich das alles aus ungeplanten Umständen ergeben hat: Das Bretton-Woods-System ist an inneren Spannungen zugrunde gegangen, und die USA wollten schlicht die dominierende globale Wirtschaftsmacht bleiben.
Mit dem Aufkommen der Vorstellung effizienter, vollkommen berechenbarer Märkte wurde die Zukunft gewissermaßen in die Gegenwart geholt – alles sollte kontrollierbar und auf ewig gestellt werden. Wird der Kapitalismus mit seiner Transformation zum Finanzkapitalismus seit den 1970er-Jahren religiös?
Es gibt ja verschiedene Ansätze, den Kapitalismus mit Religion in Verbindung zu bringen: Walter Benjamin hat das berühmte Fragment Kapitalismus als Religion verfasst, Max Weber hat versucht, den Kapitalismus aus einer protestantischen Ethik heraus zu entwickeln, wogegen Werner Sombart den Kapitalismus eher mit dem oberitalienischen Katholizismus in Verbindung bringen wollte. Interessant an diesen Erklärungsversuchen ist, dass man den Kapitalismus erstens nicht als bloßes Wirtschaftssystem begreift, sondern als Konglomerat von Geschäftsmodellen, Rechtslagen, aber auch Mentalitäten. Und dass zweitens im Kern des Kapitalismus etwas steckt, das alle Beobachter*innen – man kann das auch bei Karl Marx sehen – mit einem irrationalen Einschlag in Verbindung bringen. Kapitalismus ist also mit einer Herrschaft der rechnenden Vernunft allein nicht erklärbar. Das wäre die eine Seite.
Die zweite Seite betrifft die Marktmodelle, die seit dem 18. Jahrhundert – unter anderem von Adam Smith – formuliert wurden, die dann in der Neoklassik und insbesondere seit den 1960er-Jahren in den USA für die Finanzmärkte vorherrschend wurden. Diese Marktmodelle sind mehr oder weniger Gleichgewichtsmodelle – und als Gleichgewichtsmodelle suggerieren sie die Beherrschbarkeit der Zukunft. Ich habe das einmal ein „seltsames Überleben der Theodizee in der Ökonomie“ genannt. Mit Theodizee sind die Versuche gemeint, Hungerskatastrophen, Flutkatastrophen, Kriege etc. mit der guten Einrichtung der Welt durch Gott als allmächtigem und gütigem Wesen vereinbar zu machen. Der Erklärungsansatz: Im Ganzen wiegen sich die Schäden mit den Vorteilen aus der Sicht eines allwissenden Gottes auf. Darauf bezogen sprach Gottfried Wilhelm Leibniz von der besten aller möglichen Welten.
Die Theodizee ist in die Wirtschaftswissenschaften eingewandert, und im Zuge dessen hat sich im ökonomischen Denken die Vorstellung eines neuen allwissenden Subjekts herausgebildet – dieses ominöse Subjekt ist der Markt. Wir, die kleinen Mitspieler*innen, aber auch die Börsenspezialist*innen oder Wirtschaftsweisen haben hingegen keinen Einblick in die wahre Ordnung der Dinge.
Neoklassik
Die Neoklassik ist eine bis heute bestimmende Wirtschaftstheorie, die auf der klassischen Nationalökonomie aufbaut, wie sie vor allem von Adam Smith (1723–1790) und David Ricardo (1772–1823) geprägt wurde, und diese im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ablöste. Im Gegensatz zur klassischen ist für die neoklassische Theorie charakteristisch, dass sie ihren Ausgangspunkt nicht bei den großen Zusammenhängen (Wachstum, technischer Fortschritt, Arbeitsteilung etc.), sondern beim nutzenmaximierenden Verhalten des einzelnen, isoliert handelnden Individuums oder Kleinunternehmers nimmt. Dem Ideal der Neoklassik gemäß handelt dieses Individuum – der „Homo oeconomicus“ – stets rational und ist vollständig über das Marktgeschehen informiert. Die Neoklassik geht überdies von einer extremen Stabilität marktwirtschaftlicher Systeme aus: Auf allen Märkten herrscht ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, wodurch auch die Preise aller Konsumgüter und Produktionsfaktoren bestimmt sind. Störungen und Krisen werden auf Unvollkommenheiten des Marktes zurückgeführt, der Markt findet nach Beseitigung dieser Unvollkommenheit wieder in ein Gleichgewicht.
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Tendiert das Kapital zur Totalität, zur totalen Durchdringung aller gesellschaftlichen Räume?
Die Kapitalbildung hat eine Tendenz zur Erschaffung eines globalen Binnenraums, also eine Tendenz, sich zu totalisieren. Was sich seit den 1970er-Jahren abgespielt hat, veranschaulicht dies sehr deutlich: Das Gesundheitswesen sollte dem Markt überantwortet werden, das Bildungswesen mehr und mehr privatisiert, die Altersversorgung über Fonds und Fondsgesellschaften geregelt werden – im Grunde sollten auch Haushalte und Familien wie Märkte oder Unternehmen funktionieren. In diesem Zusammenhang hat man vom „ökonomischen Imperialismus“ gesprochen. Letztlich soll es aus dieser Perspektive nichts mehr geben, was nicht seinen Preis hat: Kriminalität lässt sich als ein Kosten-Nutzen-Verhältnis begreifen, die Fürsorge einer alleinerziehenden Mutter lässt sich „bepreisen“ und entsprechend in das Wirtschaftssystem integrieren. Das ist die große Utopie – oder je nach Sichtweise Dystopie – des Liberalismus gewesen: Mikrounternehmen, Mikromärkte über das Fleisch der Gesellschaft zu verteilen.
(…)
Handelt es sich beim Machtstreben der großen Player im Informationskapitalismus um ein bewusstes und geplantes Vorgehen, um die „perfide“ Absicht „böser“ Unternehmen? Oder ist nicht die Bequemlichkeit der Benutzer*innen ausschlaggebend, die gerne Kontrolle abgeben und damit das Ausgebeutetwerden in Kauf nehmen?
Ich wüsste nicht, wer das so einseitig dargestellt hätte. Wenn das Konsumieren keinen Spaß machen würde, dann würde der Kapitalismus nicht funktionieren. Die Leute müssen irgendwas kriegen, damit sie nicht auf dumme Ideen kommen und etwa rebellieren. In den letzten Jahrzehnten hat sich dabei eine neue Form des Konsums herausgebildet: Man will die Sachen kostenlos haben. Und dieser Wunsch wird auch erfüllt. Man kann fast jede App gratis bekommen; man erhält kostenfreien Zugang zu Bibliotheken, Wörterbüchern, Navigationshilfen und weiß-Gott-was-alles. Das ist ein Angebot, das man nicht ablehnen kann – und es ist die Bedingung dafür, dass dieses System so gut funktioniert. Und was die „Planung“ betrifft: Zufälle und Umstände bieten gute Gelegenheiten für unternehmerische Planung, die wiederum gute Gelegenheiten schafft …
(…)
Die vermeintliche Verbindung von Kapital und Effizienz ist ein Gemeinplatz – Sie verbinden Kapital mit Ressentiment. Was hat Kapital mit Ressentiment zu tun?
Um das zu beantworten, muss ich die Vorgeschichte dieser These darstellen. Bemerkenswert ist dabei die Entstehung dessen, was man „bürgerliche Gesellschaft“ genannt hat, und damit verbunden die Entstehung der Marktsysteme seit dem 17. Jahrhundert. Eine Reihe von Sozialtheoretikern und Moralphilosophen hat damals beobachtet, dass das, was man zuvor Todsünden oder Hauptlaster genannt hat – Geiz, Habgier, Neid, Ausschweifung etc. –, in diesen neuen Konstellationen produktiv geworden sei. Das ist der erste Punkt.
In der zweiten Hälfte des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurde überdies die soziale Funktion des Ressentiments von verschiedenen Autoren beleuchtet – von Søren Kierkegaard, Friedrich Nietzsche, Alexis de Tocqueville, Fjodor Dostojewski, Werner Sombart oder Max Scheler. Diese Autoren bringen den Begriff des Ressentiments in Verbindung mit der Universalisierung und Dynamisierung von Konkurrenzgesellschaften. „Ressentiment“ wird zu einem moralphilosophischen Beschreibungsinstrument für das, was in diesen Gesellschaften passiert: Konkurrenzkampf, das Herunterfahren von Solidarmilieus, die Atomisierung von Gesellschaften, Vergleichs- und Bewertungssucht. Kierkegaard, der einen Begriff verwendet (dänisch „misundelse“), der zwischen Neid und Ressentiment changiert, hat diese neuen Gesellschaften als negative Einheiten definiert, in ihnen verwirkliche sich die „negative Einheit der negativen Gegenseitigkeit der Individuen“.
Der Kapitalismus hat also auch eine emotionale und eine soziale Dimension und produziert mit seinen ökonomischen Mechanismen eine Rückwirkung auf die affektive Ausstattung der Menschen – auf das, was man „Sozialaffekte“ nennen könnte. Das Ressentiment – so meine These – ist eine Begleiterscheinung des Kapitalismus, und die Mobilisierung des Ressentiments ist eine Produktivkraft, die den Kapitalismus sowohl dynamisiert als auch stabilisiert.
Wenn der Kapitalismus ein emotionales Regime ist, das negative Affekte hervorruft, gibt es dann auch gegenwirkende Affekte, die das Gemeinschaftliche fördern? Oder müssen wir erst den Kapitalismus loswerden, bevor wir über die Förderung solidarischer Affekte sprechen können?
Lassen Sie uns da realistisch sein: Wir werden den Kapitalismus nicht loswerden, zumindest nicht in meiner Lebenszeit und auch nicht in Ihrer. Und das kann auch gar nicht die Frage sein, denn der Kapitalismus ist, wie ich schon angedeutet habe, kein System. Der Kapitalismus ist ein Konglomerat aus den unterschiedlichsten Bestandteilen, ein Gefüge, das überall leckt, ausläuft, Tümpel bildet. Das heißt, es gibt nicht einen archimedischen Punkt, mit dem dieses System auszuhebeln wäre. Die gute Botschaft ist: Man kann in Wirtschaftsprozesse hier oder dort intervenieren. Aus meiner Sicht wäre ein wesentlicher Punkt nicht die Gemeinschaftsbildung, sondern folgende Frage: Wo gibt es sinnvolle Ansatzpunkte zur Förderung von Solidarmilieus?
(…)
Kapital und Ressentiment endet mit einem düsteren Ausblick: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass es (das Geschäftsmodell der Plattformunternehmen) das Ferment einer neuen Vorkriegszeit liefern wird“, so der letzte Satz. Haben wir die Chance auf einen nicht-katastrophalen Wandel verpasst?
Dieser Verweis auf eine kommende Vorkriegszeit ist inzwischen oft moniert worden. Also sollte ich genauer erklären, was ich damit meine. Demnach wäre eine Vorkriegszeit durch aggressive Nationalismen charakterisiert, durch das Schüren politischer Schismen, durch eskalierende Ungleichheiten, durch eine Konjunktur von Feindschaftserklärungen, durch eine Erosion internationaler Abkommen und Organisationen – von der der Europäischen Union bis zu Abrüstungsverträgen – oder auch durch den Erfolg autoritärer Regime wie in Polen oder Ungarn.
Was immer man davon heute wiedererkennen mag: Ich denke, dass eine der wichtigsten Schlachtlinien jene zwischen demokratischer Rechtsstaatlichkeit einerseits und einer zunehmenden Rechtsfeindlichkeit sein wird. Letztere zeichnet ja nicht nur autoritäre Regime aus, sondern genauso bestimmte Unternehmens- und Geschäftsformen oder die Dynamiken auf den Finanzmärkten. Denken Sie beispielsweise an den Brexit. Hedgefonds, Derivathändler und Investmentfonds waren die wichtigsten Spender für die Brexit-Kampagne, weil ihnen die europäischen Finanzmarkt-Regulierungen – und das muss man mit Ausrufezeichen versehen – noch zu streng waren: eine effiziente Verknüpfung zwischen nationalen Ressentiments und modernster Finanzindustrie. All das zusammen genommen ergibt wohl einen triftigen Grund dafür, ein gewisses politisches Gefahrenbewusstsein zu entwickeln.
Herr Vogl, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Interview führten Frank Augustin und Eneia Dragomir. Es ist zuerst in agora42 4/2021 KAPITAL erschienen.
Joseph Vogl, geboren 1957, studierte nach seinem Abitur 1977 Germanistik, Philosophie und Geschichte in München und Paris. Schloss 1984 sein Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) ab, begann dort sein Doktorat und wurde 1990 mit der Arbeit Ort der Gewalt. Kafkas literarische Ethik promoviert (Wilhelm Fink Verlag, 1990 / diaphanes, 2010).
1999 wurde Vogl Professor für Theorie und Geschichte künstlicher Welten an der Fakultät Medien der Bauhaus-Universität Weimar. 2001 habilitierte er sich im Fach Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der LMU. Aus seiner Habilitationsschrift ging 2002 die Veröffentlichung Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen hervor (diaphanes). Seit 2006 ist Vogl Professor für Literatur- und Kulturwissenschaft/Medien an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Publikationen (Auswahl):
(hg. mit Bernhard Siegert): Europa. Kultur der Sekretäre (diaphanes, 2003), (hg. mit Anne von der Heiden): Politische Zoologie (diaphanes, 2007), Das Gespenst des Kapitals (diaphanes, 2010), Der Souveränitätseffekt (diaphanes, 2015), (hg. mit Burkhardt Wolf): Handbuch Literatur & Ökonomie (de Gruyter, 2019), Kapital und Ressentiment. Eine kurze Theorie der Gegenwart (C. H. Beck, 2021).
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