Demokratisch arbeiten? | von Philippe Merz

Demokratie auch während der Arbeitszeit?

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Demokratisch arbeiten? Der Arbeitsplatz als Ort der Demokratiebildung

Von Philippe Merz

Zu den vielen Widersprüchen unseres Alltags gehört auch dieser: Wir verstehen uns gerne als selbstbestimmte Bürgerinnen und Bürger einer liberalen Demokratie, die ihre Lebensumstände selbst gestalten können, doch die meisten von uns verbringen den größten Teil ihrer wachen wöchentlichen Lebenszeit in Strukturen, die alles andere als selbstbestimmt sind – nämlich am Arbeitsplatz. Hier sind die Möglichkeiten der Selbstbestimmung sowohl im Kleinen, etwa bei einer marginalen Veränderung der Arbeitsabläufe, als auch im größeren Rahmen, etwa bei der strategischen Organisationsentwicklung, oft erstaunlich begrenzt.

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Eliten – was zu tun wäre. Vortrag von Frank Trümper

Wie muss die Elite heute aussehen?

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Eliten – was zu tun wäre

Vortrag von Frank Trümper

Lassen Sie mich mit einer grundsätzlichen Frage beginnen: Wer ist überhaupt gemeint, wenn wir von Elite sprechen? Ich würde drei Dimensionen unterscheiden, in denen wir über Eliten sprechen. Die erste Dimension betrifft so etwas wie die kulturelle, politische und intellektuelle Avantgarde. Darunter fallen für mich große politische Denker, Aktivisten, Wissenschaftler, Philosophen, einige große Journalisten (wir erinnern uns alle an Leute wie Augstein, Nannen oder Bucerius) – Menschen, die ihrer jeweiligen Zeit gedanklich voraus waren, die etwas bewegt haben und uns letztlich mit ihren Ideen und Initiativen dahin gebracht haben, wo wir heute sind. Das waren und sind Menschen, die der Stachel im Fleisch sind, die sich in die öffentliche Diskussion und in das öffentliche Leben einmischen.

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Ulrike Guérot: Komm, wir bauen einen europäischen Staat …

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Komm, wir bauen einen europäischen Staat …

Ulrike Guérot

„Die Nation ist eine gefühlsmäßige Gemeinschaft, deren adäquater Ausdruck ein eigener Staat wäre, die also normalerweise die Tendenz hat, einen solchen aus sich herauszutreiben.“

Max Weber (1912)

Wie viele Texte wurden in den letzten Wochen und Monaten vor den Europawahlen vom Mai 2019 geschrieben über „Europa erneuern“, „Europa richtig machen“ oder „Europa neu denken“? Dutzende europäische Verfassungsentwürfe zirkulierten im Vorfeld der Wahlen im Internet, Jan Böhmermann veröffentlichte auf Twitter einen fiktiven europäischen Pass und so weiter und so fort. Die Sehnsucht nach mehr oder jedenfalls einem anderen Europa scheint groß bei den europäischen Bürgerinnen und Bürgern. Doch die Realität sieht anders aus: Kaum war die Europawahl vorbei, wurde das Spitzenkandidaten-Verfahren, das erst zum zweiten Mal in Anwendung war und Unionsbürgern ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Kandidatin beziehungsweise des Kandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten einräumt, quasi außer Kraft gesetzt – und Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin bestimmt. Der Europäische Rat (EU-Rat) hatte sich wieder einmal durchgesetzt. Europäische Demokratie mit Bauchschmerzen …

„Alle Souveränität geht vom Volke aus“, so steht es in vielen Verfassungen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Frei nach Kurt Tucholsky möchte man fragen: „Und wo geht sie hin?“ Tatsächlich verhindert schon die bloße Existenz des EU-Rats, dass die politischen Subjekte der EU, also die Bürgerinnen und Bürger Europas, ihrer Souveränität Ausdruck und rechtlichen Bestand geben können (Souveränität wird hier verstanden als Wahl- beziehungsweise Abwahlrecht; sprich: Die europäischen BürgerInnen können weder den Rat in seiner Gänze abwählen noch ihre Präferenzen – beispielsweise eine europäische Arbeitslosenversicherung – durchsetzen; es besteht also eine Krise der politischen Repräsentation). Überdies sind die Mitglieder des Europäischen Rats, der den Großteil der Entscheidungskompetenzen in der EU auf sich vereint, jeweils bloß national, nicht aber gesamteuropäisch legitimiert. Hier ist eine europäische Institution absurderweise nationalstaatlich ausgerichtet, das heißt, die einzelnen Ratsmitglieder sind immer nur ihrer jeweiligen nationalen Untergruppe gegenüber rechenschaftspflichtig und müssen versuchen, für diese – und nur für diese – das „Beste“ herauszuholen. Dadurch werden permanent Bürgerinnen und Bürger eines europäischen Staates gegen diejenigen eines anderen gestellt. Wie soll sich vor diesem Hintergrund ein gesamteuropäisches Bürgertum etablieren können? Ulrike Guérot: Komm, wir bauen einen europäischen Staat … weiterlesen

2065: Endlich Wirtschaftsdemokratie – von Lia Polotzek

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2065

Endlich Wirtschaftsdemokratie

Text: Lia Polotzek

Ich wache auf. Es ist heiß. Die Novemberstürme haben mal wieder Saharasand nach Berlin gebracht. Ich stehe auf und gehe auf den Balkon. Die Dächer der kleinen Straßenbeete und die Lastenräder sind überzogen von einer feinen Staubschicht. Der Sand setzt sich auch im Dickicht der bewachsenen Hauswände ab. Ich lasse die kugelförmigen Windräder aus ihrer Sturmhalterung fallen. Sie drehen sich in Windrichtung und arbeiten weiter. Die Turbinen im Inneren flattern leise und klingen erschöpft von der stürmischen Nacht. Auch auf der Straße brummt und surrt es leiser als sonst. Ich bilde mir ein, dass die Insekten, die sonst um die Hauswände schwirren, sich noch vor dem Sturm verstecken.

Ich schaue hoch auf unser Dach und sehe Elif und Nimo die Solarfolie und die Beete überprüfen. „Juli, kannst du mal schauen, ob wir uns schon wieder selbst versorgen oder ob wir noch auf das Viertelnetz angewiesen sind?“ Ich schaue auf die kleine Anzeige neben der Tür. „Alles im grünen Bereich.“ Wir haben zwar einen Speicher im Keller, aber etwa alle zwei Wochen beziehen wir für kurze Zeit Strom aus dem Niederspannungsnetz des Viertels. Es gibt im Viertel ein kleines Geothermiekraftwerk und einen Wärmespeicher. Das Netz gehört, genau wie das Wassernetz, der Viertelgemeinschaft. Für die Instandhaltung der Strom- und Wassernetze für die Häuser, Straßen- und Dachbeete gibt es ein kleines Kollektiv von Netzmonteur*innen, zu dem auch Elif gehört. Elifs Mutter war in den 2030er-Jahren als Managerin an der Entflechtung der großen Energieunternehmen beteiligt. Elif hingegen ist eher handwerklich veranlagt. Sie arbeitet 15 Stunden die Woche beim Netzkollektiv, fünf weitere Stunden werden für gemeinsame Entscheidungen der Mitarbeitenden und die Rückkopplung an die Viertelgemeinschaft benötigt. Elif flucht immer, wenn keine reine Selbstversorgung mit Strom möglich ist. Für sie ist Eigenversorgung der ideale Zustand und jegliche Abhängigkeiten hält sie für einen Systemfehler. Dabei sind die vielen Ebenen und Redundanzen seit den 2030ern wesentliche Bestandteile des Strom- und auch des neuen Wirtschaftssystems. Nur so konnte Versorgungssicherheit immer und in allen Bereichen garantiert werden. Tatsächlich brauchen wir die Mittelspannungsnetze nur vier bis fünf Mal im Jahr. Wenn ein regionales Übertragungsnetz alle Jubeljahre anspringt, herrscht fast so etwas wie Panik in der Hausgemeinschaft. Dabei gibt es noch ein europäisches und ein globales Übertragungsnetz als letzte Stufe, die prinzipiell jede Haus-, Viertel- und Regionalgemeinschaft versorgen könnten. Auf jeder der verschiedenen Ebenen sind Wind-, Solar- und Wasserkraftanlagen sowie saisonale Wärmespeicher, Pumpspeicherwerke und flexibilisierte Biogasanlagen als Reserven eingebaut. Das System hat sich in mehr als 30 Jahren bewährt. 2065: Endlich Wirtschaftsdemokratie – von Lia Polotzek weiterlesen

Editorial der Ausgabe DEMOKRATIE UND WIRTSCHAFT

Editorial der Ausgabe 4/2019 DEMOKRATIE UND WIRTSCHAFT

Zehn Jahre agora42,

das waren immer auch Jahre der intensiven Beschäftigung mit Demokratie. Nicht umsonst ist die agora – zentraler Platz der antiken Polis, auf dem die relevanten Themen des Gemeinwesens verhandelt wurden – Namensgeber unseres konstant finanzfragilen und doch vom Start weg erfreulich einflussreichen Magazins.

Die Magazinmacher Wolfram Bernhardt, Tanja Will und Frank Augustin.

Was haben wir gelernt in diesen Jahren? Vor allem, dass die lange vertretene Auffassung, der Bereich des Ökonomischen und des Technisch-Rationalen wäre resistenter gegenüber Ideologie als Politik und Religion, sich als falsch erwiesen hat. Heute wird das demokratische Gemeinwesen vor allem von jenen bedroht beziehungsweise an der fälligen Weiterentwicklung gehindert, die wirtschaftliches Wachstum und Profit über alles stellen oder sich vom technischen Fortschritt die Lösung aller Probleme erhoffen. Die Folgen dieser modernen Verblendung sind verheerend und reichen von globaler Erwärmung und Umweltvergiftung bis hin zur völligen Sinnentleerung der Arbeits- wie zunehmend der gesamten Lebenswelt.

„Demokratie ist nie bequem“, wusste Ex-Bundespräsident Theodor Heuss. Demokraten wissen, dass es keine Patentlösungen für ökonomische und gesellschaftliche Probleme gibt. Demokraten wissen, dass Freiheit nicht die Freiheit von Beschränkungen bedeutet, sondern die Freiheit, sich seine Beschränkungen frei auferlegen zu dürfen. Demokraten erhoffen sich keine heile Welt, sondern können damit umgehen, dass es keine heile Welt gibt. Kurz: Es gibt nichts, was Demokratie im Innersten zusammenhält. Außer Freiheit und Mut.
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Aufruf für mehr kommunalpolitisches Engagement – Netzwerk junge BürgermeisterInnen

BürgermeisterInnen rufen zu mehr kommunalpolitischem Engagement auf

AUFRUF

Für mehr kommunalpolitisches Engagement

 

Wir – das sind junge Bürgermeisterinnen und Bürgermeister – haben uns entschlossen, uns mit diesem Aufruf an die Öffentlichkeit zu wenden, um Menschen zu ermutigen, sich auf kommunaler Ebene politisch zu engagieren.

Es wird gerade Geschichte geschrieben. Die Zeiten ändern sich und ein „Weiter-so“ ist keine Option mehr. Und doch geht es gerade auch darum, das zu erhalten, was gut ist. Der schmale Grat besteht heute darin, Veränderung zuzulassen und zu gestalten und gleichzeitig Sicherheit zu bieten und Ruhe zu schaffen in einer sich permanent wandelnden Gesellschaft.

Die Veränderung verlangt nach neuen Antworten. Zugleich verfolgt die Veränderung keinen Masterplan, folgt keiner Theorie. Das Bild der neuen Wirklichkeit ist noch nicht klar zu erkennen. Man kann es bestenfalls erahnen. Im Kleinen. Das große Bild ist viel zu vielschichtig, zu komplex, folgt zu unerwarteten, unbekannten Mustern, als dass man daraus eine Theorie der Gesellschaft entwickeln könnte.

Man muss also im Kleinen anfangen. Aber wie fängt man an? Folgt das Handeln dem Nachdenken oder ist es anders herum? Das ist schwer zu beantworten, denn letztlich kann man beides nicht voneinander trennen. Aber am Ende kommt es darauf an, dass man sich engagiert und Verantwortung übernimmt. Verantwortung gegenüber den Mitmenschen. Man muss erkennen, dass das Soziale, das Zwischenmenschliche der Ausweg aus der sich überall andeutenden Krise ist. Dass nur im Sozialen die Ruhe und Sicherheit liegt, die wir uns herbeisehnen. Aufruf für mehr kommunalpolitisches Engagement – Netzwerk junge BürgermeisterInnen weiterlesen

EMMA – Kreativzentrum Pforzheim

EMMA – Kreativzentrum Pforzheim

Pforzheim, die Stadt am nördlichen Rand des Schwarzwalds, ist für vieles bekannt: für findige Tüftler und zahlreiche Patentanträge, für erstklassigen Schmuck und innovative Uhren, die von hier in die ganze Welt exportiert werden oder auch für das beste Europawahl-Ergebnis der AfD. Diese unterschiedlichen Facetten machen die Stadt zu einem besonders fruchtbaren Ort für Kreativschaffende. Hier tummeln sich Designer, Künstler und Freigeister, die politische Diskussionen anstoßen wollen, unkonventionelle Blicke auf soziale Brennpunkte richten und mutige Ausstellungen organisieren. Das Herz dieser kreativen Szene ist das EMMA – Kreativzentrum Pforzheim. Hier werden Wissenschaft, Mittelstand und Designer aus der Region an einen Tisch gebracht, Kooperationen beschlossen und neue Projekte gefördert. Auf einer Fläche von 3.000m² stehen Studierenden, Existenzgründern, Agenturen und Jungunternehmern Werkstatt- und Coworking-Arbeitsplätze, Büros und Ateliers zur Verfügung. Die Spanne der aktuellen Mieter reicht von Schmuck- und Modedesignern, über Grafikdesigner, Filmemacher, Fotografen, Webprogrammierer bis hin zu Bildenden Künstlern. Das EMMA ist ein besonderer Ort, der Räume der Begegnung schafft, und alternative Zukunftsentwürfe präsentiert. EMMA – Kreativzentrum Pforzheim weiterlesen

Albert Camus und die Ethik des Absurden – von Andreas Luckner

Albert Camus und die Ethik des Absurden

von Andreas Luckner

Manche Texte sind für ihren Anfangssatz berühmt: „Nennt mich Ismael“ (Melville, Moby Dick); andere für ihren Schlusssatz: „In diesem Augenblick ging über die Brücke ein geradezu unendlicher Verkehr“ (Kafka, Das Urteil) oder „So lebte er hin“ (Büchner, Lenz). Kein Text aber dürfte für seinen Anfangs- wie für seinen Schlusssatz zugleich berühmt sein, mit einer Ausnahme: Albert Camus’ Der Mythos des Sisyphos. Der erste Satz dieses großen Essays von 1942 lautet: „Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord“; der letzte: „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“

Zwischen diesen beiden Sätzen entwickelt Albert Camus seine Logik des Absurden, in der es schlichtweg ums Ganze geht, das Ganze des Lebens und der Welt, des Daseins. Der noch nicht einmal Dreißigjährige schreibt über diese eher weitläufige und bisweilen dunkle Angelegenheit in einer hellen, klaren Sprache, ganz unakademisch, frech-lebendig und kräftig, weshalb er bis heute der Philosophenzunft suspekt ist. Jeder, der einmal den Mythos des Sisyphos oder andere philosophische Essays gelesen hat, wird bemerken, dass es Camus um ein Denken ging, das in das Leben einzugreifen vermag, um eine Philosophie, die praktisch in dem Sinne ist, dass sie uns zu einem guten Leben verhilft und nicht nur zu einer besseren Theorie über das gute Leben. Albert Camus und die Ethik des Absurden – von Andreas Luckner weiterlesen

Mut und Haltung statt Wut und Spaltung – Thomas Gutknecht

Mut und Haltung statt Wut und Spaltung

von Thomas Gutknecht

„Politik wird entweder von Ängsten oder von Werten getrieben. Wohin die Politik der Ängste führt, haben wir nun gesehen“, sagt die Philosophin Susan Neiman. Gefordert ist der Widerstand der Vernunft, anstatt noch immer die postmoderne Destruktion der Vernunft zu betreiben. Wer meint, dass hinter jeder Behauptung stets ein verborgener Machtanspruch stehe, hinter jedem Ideal ein Interesse, wer jedem Wahrheitsanspruch nur mit Misstrauen begegnet, dem wird es schwerfallen, eine Lüge noch als solche zu erkennen.

Wer nicht mehr Wahrheit sucht, sich ihrem Anspruch verweigert, hat keinerlei Möglichkeit, Narrative kritisch zu prüfen. Dann bekommt die größte Zustimmung, wer am eindringlichsten Emotionen bespielt, Ängste schürt und Versprechungen in den Raum stellt. Eine Lüge, fünfmal wiederholt, wird als Tatsache geglaubt. So lässt sich leicht Angst verbreiten. Sie führt zum Verzicht auf differenziertes Urteilen. Ein wahrer Teufelskreis. Vernunft ist letztlich die einzige Instanz der sinnvollen Selbstbeschränkung – mithin die Mutter des Ethischen. Mut und Haltung statt Wut und Spaltung – Thomas Gutknecht weiterlesen

„Stop and Think!“ – Plädoyer für eine Gemeinsinn-Ökonomie

„Stop and Think!“

Plädoyer für eine Gemeinsinn-Ökonomie

von Silja Graupe und Stephan Panther

 

„Streik!“ Junge Menschen in der ganzen Welt rufen die Menschheit im September 2019 zum Klimastreik auf. Es gelte, „sich zusammenzuschließen, Farbe zu bekennen und sich für unser Klima aus der Komfortzone herauszuwagen“. Damit sind sie nicht allein. Weltweit haben sich ihnen Aktivistinnen und Aktivisten angeschlossen, um eine „Zeitenwende“ einzuläuten. „Der Schlüssel scheint darin zu liegen, unsere gewohnten Abläufe zu unterbrechen – es sind diese Routinen, die uns ermatten, der Umstand, dass wir jeden Morgen aufstehen und ziemlich genau dasselbe tun wie am Tag zuvor, sogar noch im Angesicht einer anhebenden Krise.“ Können wir Menschen aber tatsächlich unsere tiefsitzenden Gewohnheiten verändern? Die in der Ökonomie dominierenden Menschenbilder verneinen dies. Deswegen müssen wir uns weigern, sie als Selbstbilder zu übernehmen.

 

Der Mensch als reines Gewohnheitstier?

Das Nachdenken über Gewohnheiten hat eine lange philosophische Tradition, die im Westen mit Aristoteles beginnt und bis in unsere Tage reicht, etwa zu John Dewey oder Pierre Bourdieu. Gewohnheiten, so lässt sich sagen, sind demnach eine zwiespältige Angelegenheit: Zum einen stellen sie als die von uns eingeübten körperlichen Bewegungsmuster ebenso wie als die Muster unseres Wahrnehmens, Denkens, Fühlens und Wertens die Grundlage unseres Handelns dar; sie geben uns Halt. Zum anderen können sie zu einem in Routinen erstarrten Verhältnis zur Welt werden, zu einem Gefängnis ständiger Wiederholung. In der philosophischen Tradition galten Gewohnheiten meist grundsätzlich als änderbar – und die Reflexion über sie, individuell wie gesellschaftlich, galt als ein erster Schritt zu einer solchen Veränderung (gerade in Krisenzeiten). „Stop and Think!“ – Plädoyer für eine Gemeinsinn-Ökonomie weiterlesen