Was wir aus der Debatte um das Lieferkettengesetz lernen können | Lia Polotzek

Kakao: menschenrechtskonforme Lieferkette?Foto: Rodrigo Flores | Unsplash

 

Feuer löschen ohne Wasser?

Was wir aus der Debatte um das Lieferkettengesetz lernen können

Text: Lia Polotzek

Unsere Weltwirtschaft ist weder sozial noch ökologisch gerecht. Das ist kein Geheimnis und auch keine neue Erkenntnis. Die Kakaoernte in Ghana und Côte d’Ivoire findet häufig durch Kinderarbeit statt. Das haben schon viele Studien belegt. Palmöl aus Indonesien und Malaysia zerstört die Regenwälder und der Anbau von Ananas vergiftet in Costa Rica die Böden. Auch hierüber gibt es unzählige Dokumentationen, Berichte und Analysen. An einigen habe ich selbst mitgewirkt. Aufgerüttelt hat viele Menschen vor sieben Jahren der Rana-Plaza-Fabrikeinsturz in Bangladesch, bei dem mehr als 1000 Menschen starben. In der Fabrik wurde auch für den deutschen Markt Kleidung produziert. Im Moment ist es vor allem der brennende Amazonas, der Menschen weltweit bewegt. Auch an diesem Beispiel zeigen sich die Auswirkungen einer ausbeuterischen und rücksichtslosen Wirtschaftsweise: Denn in Brasilien werden Regenwälder unter anderem mit dem Zweck brandgerodet, Soja als Tierfutter für die deutsche Massentierhaltung anzubauen. Es ist eine Lieferkette des Schreckens, die vom rechten brasilianischen Präsidenten Bolsonaro und seiner Agrarlobby direkt bis zum deutschen Fleischfabrikanten Tönnies reicht.

Es ist keineswegs so, dass es sich bei der Weltwirtschaft, um ein anonymes System ohne identifizierbare Akteure handelt: Transnationale Unternehmen profitieren weltweit von Umwelt- und Sozialdumping, drücken entlang von Lieferketten die Preise und ziehen die Profite ab, die eigentlich den Arbeiter*innen an verschiedenen Stufen der Lieferkette zustehen oder für den Schutz der Umwelt ausgegeben werden müssten. Auch die deutsche Wirtschaft hat einige dieser mächtigen weltweit tätigen Unternehmen hervorgebracht. So ist Bayer nach dem Kauf von Monsanto nicht nur der größte Pestizid-, sondern auch der größte Saatgutkonzern weltweit. BASF ist mit seiner Tochter Wintershall Deutschlands größter Öl- und Gaskonzern sowie der weltweit führende Plastikkonzern. Das Unternehmen RWE allein ist für etwa 0,5 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Aurubis ist einer der weltgrößten Kupferproduzenten und Lidl ist mittlerweile eine der größten Supermarktketten weltweit.

Das Feuer löschen ohne Wasser?

In meinem Arbeitsalltag bei einer Umweltorganisation fühle ich mich in Gesprächen mit Politik und Wirtschaft oft wie auf einer großen Feuerwehrkonferenz, auf der nicht über Wasser gesprochen werden darf. Es geht mir wie dem Historiker Rutger Bregman, der auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im letzten Jahr festgestellt hat, dass bei allen Gesprächen zum Thema Ungleichheit höhere Steuern für Vermögende und Unternehmen ein absolutes Tabuthema sind. Obwohl sie eines der wenigen zielführenden Mittel wären – mit Steuern kann man steuern. Es gibt natürlich einen Grund, weshalb viele wirksame Instrumente nicht angesprochen werden dürfen: Sie würden einen Abbau von ungerechtfertigten Privilegien der Wirtschaftslobby bedeuten.

Direkt gegen den Umwelt- und Klimaschutz und den Schutz von Menschenrechten wird auch von Seiten konservativer Politiker*innen und Wirtschaftsverbände selten argumentiert. Wenn es aber um wirksame Instrumente geht, um Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen durch die Wirtschaft zu verhindern, tabuisiert die vermeintliche Feuerwehr immer wieder das Sprechen über Wasser. Erst in dieser Woche habe ich an einem Treffen von Vertreter*innen von Ministerien, Wirtschaftsverbänden und der Zivilgesellschaft teilgenommen, das sich das Ziel gesetzt hat, darüber zu sprechen, wie die Wirtschaft weniger Ressourcen verbrauchen und somit die Umwelt schonen kann. Als ich absolute Reduktionsziele für den Ressourcen- und Rohstoffverbrauch als Thema für eine neue Arbeitsgruppe vorgeschlagen habe, blockierte ein aufgebrachter Ministeriumsvertreter diesen Vorschlag und verkündete schlicht, dass über dieses Thema nicht geredet werden dürfe. Zwei Wirtschaftsverbände folgten seiner Haltung. Besser kann man es sich gar nicht ausdenken: Ein Gremium, das über den Schutz von Ressourcen sprechen soll, ohne über den Schutz von Ressourcen sprechen zu dürfen.

 

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Auf Abwegen vom Lieferkettengesetz

Ein weiteres Beispiel ist das Lieferkettengesetz. Es soll große deutsche Unternehmen verpflichten, grundlegende Menschenrechte und Umweltstandards einzuhalten und wäre damit ein kleiner Baustein, um perspektivisch zu einer etwas nachhaltigeren Weltwirtschaft zu kommen. Im Sommer hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel den Arbeits-, Wirtschafts- und Entwicklungsminister damit beauftragt, Eckpunkte für ein deutsches Lieferkettengesetz zu erarbeiten. Eine Einigung ist gerade nicht in Sicht. Das liegt ausschließlich daran, dass das Wirtschaftsministerium den gesamten Prozess blockiert und all diejenigen Elemente eines Lieferkettengesetzes ablehnt, die den Menschenrechts- und Umweltschutz bei den Auslandsgeschäften deutscher Unternehmen tatsächlich verbessern würde. Einen starken Einfluss haben hier die Wirtschaftsverbände, der CDU-Wirtschaftsrat, der Wirtschaftsflügel der Union und Wissenschaftsvertreter*innen mit engen Verbindungen zu den Unternehmensverbänden.

Der Bestätigung für ein Lieferkettengesetz durch die Bundeskanzlerin gehen zwei Jahre voraus, in denen eine Überprüfung der freiwilligen Selbstverpflichtung von Unternehmen zur Einhaltung der Menschenrechte in der gesamten Lieferkette erfolgte. Im Koalitionsvertrag von 2018 hieß es, dass ein Lieferkettengesetz nur kommt, wenn bis 2020 weniger als die Hälfte der deutschen Unternehmen ihre Verantwortung für die Menschenrechte freiwillig wahrnehmen würden. Wirtschaftsverbände wie die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) haben gemeinsam alles darangesetzt, die Überprüfung der menschenrechtlichen Sorgfalt deutscher Unternehmen über einen Fragebogen zu verzögern sowie die Methodik und Anforderungen zu verwässern. Umso drastischer ist das Mitte Juli bekannt gewordene Ergebnis: Gerade einmal 13 bis 17 Prozent der großen deutschen Unternehmen nehmen ihre Verantwortung mit Blick auf die Menschenrechte wahr.

Mehr Wirtschaftsdemokratie wagen!

Aus der Debatte um ein Lieferkettengesetz, die noch längst nicht abgeschlossen ist, lässt sich viel über die ungleiche Machtverteilung in Politik und Wirtschaft lernen und wie wir trotzdem zu Veränderungen im Sinne des Umweltschutzes und des Schutzes von Menschenrechten kommen können. Vor allem drei Aspekte sind wichtig: Um wirklich etwas zu verändern, dürfen nicht nur die Probleme wie Kinderarbeit im Kakaosektor oder einstürzende Textilfabriken besprochen werden. Es müssen konsequent neben den direkten Verursachern auch die Blockierer von Lösungen benannt werden. Häufig sind es die gleichen Akteure. Darüber hinaus müssen Maßnahmen radikal die Macht von transnationalen Unternehmen einschränken. Ein gerade im Menschenrechtsrat in Genf verhandeltes Abkommen der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte, das transnationale Unternehmen auf den Schutz von Menschenrechten und Umwelt verpflichten will, kann ein erster kleiner Baustein sein. Industrieländer wie Deutschland blockieren im Moment die Verhandlungen. Aus diesem Umstand folgt aber vor allem die Notwendigkeit einer radikalen Demokratisierung unserer Wirtschaft in und über Unternehmen hinaus. Wirtschaftsdemokratie wäre der Wasserwerfer unter den Lösungen für eine ungerechte Weltwirtschaft. ■

Lia Polotzek
Lia Polotzek ist Referentin für Wirtschaft und Finanzen beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und Teil des I.L.A.-Kollektivs. Sie setzt sich für eine sozial-ökologische Transformation unseres Wirtschaftssystems ein und schreibt als Redakteurin regelmäßig für agora42.
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