Die Währung der Ausbeutung | Julien Niemann

GlobusFoto: Maksim Shutov | Unsplash

 

Die Währung der Ausbeutung

Text: Julien Niemann | Gastbeitrag

Bis heute sichern Frankreich und die EU ihren Einfluss in den ehemaligen französischen Kolonien mittels einer Währung ab. Die Unabhängigkeit dieser Länder könnte man beinahe als Farce bezeichnen, da ihnen im Gegenzug Bedingungen aufgezwungen wurden, die ihren wirtschaftspolitischen Gestaltungsspielraum stark einschränken. Wirtschaftliche Entwicklungen werden blockiert und so tragen Frankreich und die EU erhebliche Mitschuld an Armut, politischen Konflikten und mangelnden Entwicklungschancen.

Bevor wir uns mit den gegenwärtigen Problemen dieser Währung beschäftigen, sei in aller Kürze die Historie des Franc de la Coopération Financière en Afrique, kurz CFA-Franc umrissen. Im 19. und 20. Jahrhundert war Frankreich, ebenso wie jeder anderen Kolonialmacht, viel daran gelegen, ihre eigene Währung in ihren Kolonien zu etablieren. So begann Frankreich Ende des 19. Jahrhunderts, in seinen Kolonien lokale Märkte zu schaffen, in denen die einzige legale Währung der Franc war. 1907 verboten die Kolonialbehörden die Zahlung von Kolonialsteuern in Kauris, einem Muschelgeld, das insbesondere unter den Yoruba in West-Afrika weit verbreitet war. Die Kolonialsteuern waren ein Instrument der Unterdrückung und halfen den Franzosen, ihre Währung in den Kolonien zu etablieren, auch wenn sie letztlich über 50 Jahre dafür brauchten. 1936 gab Frankreich den in den 1920er Jahren wiederbelebten Goldstandard auf und richtete nach britischem Vorbild eine Franc-Zone ein, die Frankreich und alle seine Kolonien umfasste. Freier Handel war nur innerhalb dieser Zone möglich, während man nach Außen protektionistisch auftrat. Für die gesamte Franc-Zone galten strikte Regularien. So wurde die Wechselkurspolitik allein in Paris gesteuert. Auch die Genehmigung von Importen für die gesamte Zone wurden fortan in Paris entschieden. Dies ermöglichte es Frankreich sich selbst einen erheblichen Vorteil zu verschaffen.

Aufgrund der massiven Abwertung des Franc nach dem Zweiten Weltkrieg erließ der damalige französische Präsident Charles De Gaulle am 25. Dezember 1945 ein Dekret zur Neuordnung der Währungssituation in Frankreich und den Kolonien: Der CFA-Franc war geboren. Die Einführung dieser Währung erfolgte jedoch keineswegs aus reiner Großzügigkeit, sondern um den eigenen Einfluss in diesen Gebieten zu stärken, nachdem die USA und die Sowjetunion Frankreich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dazu gedrängt hatten, ihren Griff um die Kolonien zu lockern. Die starke Überbewertung des CFA-Franc stellte aufgrund seiner Unvereinbarkeit mit der wirtschaftlichen Situation der kolonisierten Territorien AOF (Afrique-Occidentale française / „Französisch-Westafrika“) und AEF (Afrique-Équatoriale française / „Französisch-Äquatorialafrika“) von Anfang an ein großes Problem dar. Der CFA wurde mit einem festen Wechselkurs zum Franc im Verhältnis von 1:1,7 eingeführt. Wenige Jahre später wurde der Wechselkurs auf 1:2 hochgesetzt. Aufgrund dieser Überbewertung begannen die Kolonien, ihre Importe aus Frankreich zu erhöhen. Zugleich verteuerten sich durch die Überbewertung die Exportprodukte der französischen Kolonien im Vergleich zu denen anderer rohstoffexportierender Länder, so dass sich die französischen Kolonien wieder stärker Frankreich zuwandten, das bis heute Hauptabnehmer von Rohstoffen aus dieser Region ist. Die Schaffung des CFA-Franc trieb die Kolonien erneut in die wirtschaftliche Abhängigkeit von Frankreich – für dessen schwächelnde Wirtschaft die neue Währungsordnung ein großer Gewinn war.

Ab Ende der 1950er Jahre begann Frankreich die Unabhängigkeit der ehemaligen französischen Kolonien offiziell anzuerkennen – zwang sie jedoch zur Unterzeichnung diverser Verträge, die Frankreichs ökonomischen und politischen Einfluss bis heute sichern. So sicherte sich Frankreich durch diese Verträge, unter anderem Zugang zu den Ressourcen der ehemaligen Kolonien; teilweise wurde diesen Staaten von Frankreich der Export ihrer Ressourcen in Drittstaaten sogar vertraglich verboten, solang Frankreich nicht explizit zustimmte. Bis heute wird der CFA-Franc von 14 Staaten genutzt. Genauer betrachtet steht der CFA für zwei Währungen, die allerdings nicht miteinander konvertibel sind: dem zentralafrikanischen CFA-Franc BEAC (Banque Centrale des États d’Afrique Centrale), der bis heute von Kamerun, Tschad, der Zentralafrikanischen Republik, Gabun, Kongo und Guinea genutzt wird, und dem westafrikanischen CFA-Franc BCEAO (Banque Centrale des États de l’Afrique de l’Ouest), der bis heute von Benin, Burkina Faso, der Elfenbeinküste, Mali, Niger, Senegal, Togo und Guinea-Bissau genutzt wird. Nachdem Frankreich im Jahr 1999 vom Franc zum Euro wechselte, ist der CFA in einem festen Wechselkurs mit 1:656 an den Euro gebunden – entschieden wurde dies nicht etwa in den betreffenden Staaten, sondern in Paris.

Stabilität der Armut

Die Konstruktion des CFA-Systems basiert auf vier Prinzipien. Erstens: Der CFA-Franc wurde zu einem festen Wechselkurs an den französischen Franc gekoppelt und ist seit der Einführung des Euros zu einem festen Wechselkurs an den Euro gekoppelt (1€:656CFA). Zweitens: Es gibt einen freien Kapitalverkehr zwischen Frankreich und der CFA-Zone. Drittens: Es ist gewährleistet, dass der CFA zum festen Wechselkurs in Franc / Euro umgetauscht werden kann. Viertens: Die CFA-Länder müssen die Hälfte ihrer Devisen beim französischen Finanzministerium halten – und die Zinsen für diese Währungsreserven sind in der Regel gering, waren in der Vergangenheit oft sogar negativ. Das Konstrukt des CFA-Franc bringt Frankreich und der gesamten Euro-Zone bis heute enorme wirtschaftliche Vorteile. So werden keine Devisenreserven benötigt, um Importe aus der CFA-Zone zu finanzieren. Der freie Kapitalverkehr macht es zudem sehr einfach, Profite aus der CFA-Zone nach Frankreich zu transferieren. Aber es gibt nicht nur wirtschaftliche Vorteile – in ihrem empfehlenswerten Buch Africa’s Last Colonial Currency weisen Ndongo Samba Sylla und Fanny Pigeaud auch auf politische Einflussnahme hin: Im Jahr 2010 befand sich die Elfenbeinküste in einer ganz besonderen Situation: Nach der Präsidentschaftswahl hatte das Land de facto zwei Präsidenten: den scheidenden Präsidenten Laurent Gbagbo, der vom ivorischen Verfassungsrat als Sieger anerkannt worden war, und Alassane Ouattara, der von der internationalen Gemeinschaft als Gewinner der Wahlen angesehen wurde. Frankreichs Favorit bei diesen Wahlen war Ouattara. So begann Frankreich das CFA-System zu nutzen, um Gbagbo zum Rücktritt zu zwingen. Sie ordneten an, dass alle französischen Banken in der Elfenbeinküste ihre Tätigkeit gänzlich einstellen sollten. Zusammen mit der BCEAO, der westafrikanischen Zentralbank, brachten sie schließlich den Zahlungsverkehr und den Devisenverkehr des Landes komplett zum Erliegen. Diese wirtschaftliche Form der Repression erwies sich als sehr effektiv: Ouattara setzte sich durch.

Die Kritik an dem CFA-System ist massiv und kommt aus verschiedensten Richtungen. Vor drei Jahren haben sich verschiedene Künstler zusammengeschlossen und sich u.a. mit einem gemeinsamen Song (Sept minutes contre la CFA) gegen die Währung positioniert. Aber auch aus den Reihen der Ökonomie und Politikwissenschaften gibt es Kritik. Ndongo Samba Sylla und Fanny Pigeaud haben diesem Thema ein beeindruckendes Buch gewidmet. So kommt man nicht umhin, zu erkennen, dass die Vorteile dieses Währungssystem extrem einseitig zugunsten Frankreichs ausfallen – die ehemalige Kolonialmacht konnte sich einen großen Markt für ihre Produkte, eine ständige und günstige Versorgung mit Rohstoffen, die sie in eigener Währung zahlen kann und großen politischen Einfluss sichern. Für die afrikanischen Staaten bedeutet der CFA-Franc Ausplünderung in mehrerlei Hinsicht: Nicht nur, dass die Euro-Länder Rohmaterialien aus den CFA-Staaten teilweise zu Konditionen weit unter den marktüblichen Preisen importieren; aufgrund des festen Wechselkurses sind die CFA-Länder auf Fremdwährungsdevisen angewiesen, um den Wechselkurs nicht zu gefährden. Die Konstruktion des Systems schränkt sie also massiv in ihrer Fiskal- und Geldpolitik ein und zwingt sie in eine wirtschaftliche Abhängigkeit von der Euro-Zone. Wenn auch nicht der Einzige, ist dies einer der wichtigsten Gründe für die schleppende wirtschaftliche Entwicklung in den west- und zentralafrikanischen Staaten. Wer in der Nutzung seiner Währung massiv eingeschränkt ist, kann keine notwendigen Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Forschung tätigen und auch nur schwerlich eine eigene Industrie aufbauen. Diese mangelnden Produktionsstrukturen machen die CFA-Staaten abhängig von Importen und dadurch besonders anfällig für externe Schocks. Insbesondere in einer Rezession mach das CFA-System eine antizyklische Wirtschaftspolitik unmöglich, sodass den Ländern nichts anderes übrigbleibt, als Ausgaben weiter zu kürzen – mit desaströsen makroökonomischen und gesellschaftlichen Folgen: Arbeitslosigkeit, Insolvenzen, mangelnde öffentliche Daseinsvorsorge etc. Diese Politik der internen Abwertung ist nicht nur die einzige Möglichkeit, die den CFA-Staaten bleibt – sie wird ihnen von Frankreich und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) sogar empfohlen. Das Recht darauf, die Währung auf- oder abzuwerten, liegt allein bei Frankreich. Dabei ist gerade dies ein wichtiges, währungspolitisches Instrument, um beispielsweise bei Exporten wettbewerbsfähig zu bleiben. Auch wirkt dieser fixe Wechselkurs und die verwehrte Möglichkeit der Wechselkursabwertung wie eine Subvention für Importe. Seit den 1960er Jahren gab es in der gesamten CFA-Zone laut Ndongo Samba Sylla nie eine ausgeglichene Handelsbilanz. Es wurde immer mehr importiert als exportiert, was zu steigender Nachfrage nach ausländischer Währung führte. Die Möglichkeit der Wechselkursabwertung, mittels derer ausländische Importe relativ zu einheimischen Produkten teurer würden, ist nicht gegeben. Dieser ständige Importüberschuss bedeutet auch: Schulden in Fremdwährung, die beglichen werden müssen. Zudem bedeutet ein Mangel an Souveränität auch einen Mangel an Demokratie. Die Politik dieser Staaten ist maßgeblich von der Politik der Europäischen Zentralbank abhängig. So müssen notwendige Investitionen ausbleiben und Arbeitsplätze können nicht geschaffen werden. Die Fixierung der EZB auf eine niedrige Inflation, nach dem Motto One fits all, muss wegen des fixen Wechselkurses zwangsläufig von den CFA-Staaten mitgetragen werden – und hemmt so die Entwicklung dieser Länder.

Der CFA wird gerne als eine Währung bezeichnet, die den ihn nutzenden Staaten Stabilität verleihe und ihnen somit einen Vorteil gegenüber anderen afrikanischen Staaten bescheren würde. Das trifft nicht zu! Durch den Mangel an Souveränität bewirkt der CFA in diesen Staaten eine „Stabilität der Armut“, wie es Fanny Pigeaud ausdrückt. Seitdem diese Währung 1945 von Frankreich eingeführt wurde, ist sie ein Mittel der Ausbeutung. In Kombination mit den Handelsverträgen, die im Austausch für die formale Unabhängigkeit geschlossen wurden, berauben Frankreich und die EU die CFA-Staaten jeglicher Entwicklungschancen. Keine andere Währung auf dieser Welt ist so stark fremdbestimmt, wie der CFA Franc. Genau dies, macht ihn nicht nur zu einem kolonialen Erbe, sondern zu einem Symbol, zu einer neokolonialen Währung. In den beiden Zentralbanken der Währungszone sitzen französische Vertreter – mit einem Vetorecht. Ein Beispiel, wie sehr diese Staaten unter dem CFA-System leiden, stellt Niger dar. Frankreich sichert sich bis zu 40 Prozent des gesamtfranzösischen Bedarfs an Uran allein aus dem Niger – und zahlt dafür lediglich rund ein Drittel der marktüblichen Preise. Niger gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Zehn der 14 Länder der CFA-Zone werden von der UNO zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt gezählt. Die CFA-Staaten verzeichnen aufgrund des CFA und dieser Verträge Verluste, die auch durch Milliarden an Entwicklungshilfen nicht ansatzweise ausgeglichen werden. Die Ursprünge für die zahlreichen Missstände in den betroffenen Staaten, von Armut über politische Konflikte und Migration, liegen im Konstrukt des CFA Franc.

Kein Grund zur Hoffnung

Seit mittlerweile über 45 Jahren plant die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft die Einführung einer eigenen Währung – dem ECO. Zuletzt wurde der Termin für die Einführung in den acht Staaten auf Juni 2020 verschoben – allerdings verstrich auch diese Frist, aufgrund der Pandemie und politischer Unruhen. Aber was soll der ECO – wenn er denn kommt – eigentlich können? Die bisher bekannten Details geben wenig Anlass zur Hoffnung. Die neu entstehende Währungsunion würde sich ähnliche Konvergenzkriterien auferlegen wie die Euro-Zone: Staatsschulden unter 70 Prozent des BIP, weniger als drei Prozent Staatsdefizit und eine Inflation unterhalb von 10 Prozent. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass Frankreich es schafft auch den ECO zu einem festen Wechselkurs an den Euro binden zu lassen. Zwar sollen die Länder nicht mehr dazu gezwungen sein 50 Prozent ihrer Fremdwährungsdevisen beim französischen Finanzministerium halten zu müssen – jedoch blieben die übrigen drei Prinzipien der CFA-Zone auch nach Einführung des ECO weitgehend unangetastet. Anstatt einer wirklichen Reform, wäre es allenfalls ein Reförmchen.

Die CFA Staaten müssen sich von Frankreich und der Euro-Zone lösen. Sollte der ECO kommen, darf er keinesfalls erneut in einem festen Wechselkurs zum Euro stehen – dies behindert die Währungssouveränität der Staaten massiv und macht eine progressive Wirtschaftspolitik nahezu unmöglich. Die Währung würde weiterhin die Entwicklung hemmen und vor allem der europäischen Seite wirtschaftspolitische Vorteile einräumen. Die grundlegenden Konstruktionsprinzipien dieses Systems gehören vollständig abgeschafft, damit die west- und zentralafrikanischen Staaten souverän über ihre eigene Währung verfügen und sich endgültig aus dem postkolonialen Griff Frankreichs und Europas lösen können. Wenngleich Währungssouveränität allein nicht progressive Wirtschaftspolitik bedeutet – die Europäische Währungsunion ist ein Beweis dafür, dass man sich auch selbst unsinnige Spielregeln auferlegen kann.

Julien Niemann studiert Geschichte und Germanistik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Sein Schwerpunkt liegt im Bereich der neueren und neuesten Wirtschafts- und Sozialgeschichte.
Vom Autor empfohlen:
SACH-/FACHBUCH
Maurice Höfgen: Mythos Geldknappheit: Modern Monetary Theory oder Warum es am Geld nicht scheitern muss (Schäffer-Poeschel, 2020)
ROMAN
Michel Houellebecq: Serotonin (DuMont, 2019)
FILM
Ich, Daniel Blake von Ken Loach (2016)

Diese Ausgaben von agora42 könnten Sie interessieren: