Wir sind die 100%
Interview von Bernd Villhauer mit Sven Zivanovic, Gründer der „Changemakers in Finance“-Initiative
Denken hilft – und damit sich das Denken nicht nur um sich selbst bewegt, benötigen wir manchmal einen Anstoß von außen. Deswegen möchte ich in „Finanz & Eleganz“ immer wieder in Interviews Menschen vorstellen, die solche Anstöße geben. Wir hatten schon ein Interview mit Sven Grzebeta und nun ist mir wieder ein Sven über den Weg gelaufen, den ich gerne vorstellen möchte. Sven Zivanovic hat die „Changemakers in Finance“-Initiative ins Leben gerufen und er hat einiges zu sagen über Netzwerke und Neuanfänge. Ich konnte ihn in Frankfurt treffen und wir haben dann über E-Mail ein Interview geführt. Weitere interessante Svens bitte ich um Nachricht!
Lieber Herr Zivanovic, können Sie uns ein bisschen über Ihren Hintergrund und Ihre Entwicklung sagen?
Ich habe an der Universität Tübingen einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften gemacht und fand mich in den folgenden 10 Jahren auf vielen Ebenen und Bereichen der Finanzwirtschaft wieder. In den Anfangsjahren war ich in einer Vermögensverwaltung mit dem weltweiten Wertpapier-, Derivate- und Fondshandel im Auftrag unserer Kunden betraut. Nach weiteren Zwischenstationen im Devisenhandel einer Wertpapierhandelsbank, als Vertriebsleiter eines Investmentfonds-Vertriebs und als Analyst von Versicherungen und Betriebliche Altersvorsorge-Systemen, machte ich mich als Honorarberater selbständig. Hier konzentrierte ich mich auf die Entwicklung von institutionellen Anlageklassen-Portfolios und war für vermögende Privat- und Unternehmenskunden zuständig. Aber meine Entwicklung von ökonomischer Vernunft und Intellekt in der Praxis brachte mir keine Wahrheit näher, die ich akzeptieren konnte. Am Ende dieser Zeit, als meine ganze professionelle Arbeit unerträglich wurde, begann eine intensive Zeit der Krise. Meine Welt begann sich neu zu ordnen. Die letzten vier Jahre waren wie eine Wiedergeburt, die alte Welt löste sich auf und die Geburt ins Neue, nahm die Form eines Zusammenbruchs von allem an, was ich einmal festhielt. Ich ging durch Bankrott, Depression und Erschöpfung. Ich musste ein Leben der Kontrolle loslassen. In meiner Hilflosigkeit nahm ich Hilfe an. Und ich erhielt die Dinge, die ich aufgegeben hatte. Ich bin reich geworden, wenn nicht an Geld, dann sicher an Verbindungen zu anderen Menschen. Familie, Freunde und Fremde unterstützen meinen Glauben und meine Leidenschaft für meine Arbeit.
Wie ging es dann weiter?
Ich verbrachte die letzten zwei Jahre damit mein Herz und meine Seele in meine „Changemakers in Finance“-Initiative zu stecken, die nach meiner Vorstellung einen Weg zu einer Finanzwirtschaft möglich macht, die dem Leben dient. Dabei geht es um das Ermöglichen eines sich selbst reproduzierenden Prozesses hin zu einem lebendigen Netzwerk einer integrierten Finanzwirtschaft, nicht um die Etablierung einer neuen Wahrheit, eines für „richtig gehaltenen“ Systems oder „besseren“ Status Quo. Die CIF-Initiative besteht aus einem Zertifizierungssystem, dessen Hauptanliegen ethisches Lernen durch menschliche Erfahrungen in der Praxis ist. Die Initiative möchte eine Plattform für einen transparenten und co-kreativen Zertifizierungsprozess bieten, der es dem Finanzsystem ermöglicht, sich selbst wahrzunehmen und zu erkennen, sodass beide Seiten im System befähigt werden, gemeinsam im Dialog eine Finanzwirtschaft zu entwickeln, die dem Leben dient.
Jedoch bin ich nicht der Typ, der alles herausgefunden hat, der zu einem erhabenen Zustand des (Besser-) Wissens gelangt ist, alle Fehler in der Vergangenheit wissend. Ich bin ein sehr gewöhnlicher Mensch und obwohl belastet durch die Konditionierung unserer Gesellschaft und die Wunden meiner Vergangenheit, laufe ich mit meiner Initiative, einfach so gut ich kann in Richtung einer schöneren Welt, von der mein Herz mir sagt, dass sie möglich ist.
Wie haben Sie persönlich die Finanzbranche erlebt?
Als abstrakt und jenseits der realen materiellen Welt. Die Finanzwirtschaft hat ihre Verankerung in der Realwirtschaft schon vor langer Zeit verloren und eine eigene Dynamik entwickelt. Die unvorstellbaren Profite in der Finanzbranche haben keinen Bezug zu irgendeiner materiellen Produktion mehr, sie existieren in einer Parallelwelt. Aber es sind nicht die Menschen selbst, die sich auf natürliche Weise dem Paradigma der Profitmaximierung verschreiben würden – es ist das System an sich, welches die Denkweise eines „maximalen Ichs“ erzwingt. Den Begriff der „Denkweise des maximalen Ichs“ hat Otto Scharmer geprägt. Die Definition geht über die bloße Nutzenmaximierung des homo oeconomicus in der Wirtschaft hinaus und benennt laut Scharmer unsere heutige generelle Sichtweise des „Größer ist besser“ und des maximalen Materialkonsums. Wir konsumieren immer mehr, wir arbeiten immer mehr um zu konsumieren und der eigene Besitz ist uns wichtiger als das Gemeinwohl. Und dies hat auch unmittelbare Auswirkungen darauf, wie wir investieren und wie wir den Finanzmarkt nutzen und dadurch mitgestalten. Das Ergebnis für uns als Gesellschaft, ist ein Zustand von kollektiver Verantwortungslosigkeit, in der wir Resultate erzielen, die (fast) niemand will.
Für mich persönlich beschreibt die „Denkweise des maximalen Ichs“ aber vorallem ein fehlendes Gefühl der Ethik. Ethisches Verhalten hat immer mit der Gemeinschaft zu tun; es ist das Verhalten für das Gemeinwohl: Gemeinschaften, in denen einzelne Menschen zum Wohle der Gemeinschaft als Ganzes agieren… Ich finde, das ist eine sehr treffende Beschreibung für ethisches Verhalten. Die Denkweise des maximalen Ichs ist das genaue Gegenteil davon.
Was würden Sie gerne ändern?
Ich möchte diese Separation beenden, die Getrenntheit der Finanzwirtschaft von einer vernetzten Wirklichkeit, der realen Wirtschaft. Das sind nicht zwei verschiedene Dinge, es sind zwei Seiten derselben Medaille. Es gibt kein „Wir“ gegen „Die“ – kein „Wir sind die 99 %“. Das Gegenteil ist der Fall: Wir sind die 100 % – wir sind alle miteinander verbunden und voneinander abhängig. Wir sind der Planet – und wir sind alle mitverantwortlich für die heutige Finanzwirtschaft. Jedoch wird sich die Finanzwirtschaft nicht in Isolation verändern. Wenn wir unser Wirtschaftssystem verändern wollen, müssen wir auch unsere Unternehmenspraxis, unser Handeln als Wirtschaftsakteure und unser Bewusstsein als Mensch selbst verändern. Und um dies zu tun, müssen wir unsere heutige Weltanschauung verstehen – unsere mechanistische Sicht des Lebens überwinden – unsere Verbundenheit und wechselseitige Abhängigkeit von anderen Menschen und von der Natur erkennen. Wenn das geschieht, muss daraus logischerweise auch eine völlig andere Finanzwirtschaft resultieren.
Haben wir als Einzelne überhaupt die Möglichkeit etwas zu ändern?
Das ist der einzig sinnvolle Ansatzpunkt – bei jedem Einzelnen zu beginnen. Als Bürger haben wir eine große Verantwortung. Unser tägliches Leben hängt mit der politischen Situation in der Welt zusammen. Die Veränderung ist in unserem Bewusstsein verankert. Wenn wir uns unserer Lebensweise bewusst sind, unsere Art zu konsumieren, zu investieren, Dinge zu betrachten, werden wir wissen, wie wir (Wirtschafts-) Frieden schaffen können. Wir müssen uns als Gesellschaft kollektiv verändern – vom „Ich“ zum „Wir“. Wir müssen uns bewusst sein, dass alles in Wirklichkeit integriert ist und dass wir Teil des Ganzen sind und das wir alle die Gesamtheit in uns haben – nach dem Motto: „Ich bin, weil Du bist“.
Der Buddhismus sieht diese Art des nicht-dualistischen Denkens als ein Schlüsselelement für die Veränderung. Wenn wir die Finanzwirtschaft verändern wollen, müssen wir uns selbst verändern – zu mitverantwortlichen, engagierten Bürgern. Thich Nhat Hanh bringt es auf den Punkt: „Unser eigenes Leben muss die Botschaft sein.“ Wir alle können engagierte Ökonomen im täglichen Leben sein und Veränderung herbeiführen. Dafür müssen wir die Fähigkeit entwickeln, in einem Konflikt beide Seiten verstehen zu können. Wir können nicht einfach die eine oder andere Seite beschuldigen. Wir müssen die Tendenz überwinden, Partei zu ergreifen. Hierfür brauchen wir Verbindungen, persönliche Beziehungen. Wir brauchen Kommunikation.
Niedergeschrieben bei einer Tasse Tee am 11.5.18
Teil 2 des Interviews folgt in Kürze
[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]