„Politisch sind viele, sich dessen bewusst nur wenige“

Interview mit den HipHop-Künstlern von Zweierpasch

„Politisch sind viele, sich dessen bewusst nur wenige“

Oft wird der Jugend vorgeworfen, dass sie desinteressiert an gesellschaftlichen Belangen sind. Bei euren Musikprojekten arbeitet ihr eng mit Jugendlichen aus Deutschland und Frankreich zusammen. Was ist euer Eindruck? Wie politisch ist die Generation Smartphone?

Foto: Urbanactpictures Till und Felix Neumann, HipHop-Künstler bei Zweierpasch, 35 Jahre. Till wohnt in Freiburg und ist zudem Journalist. Felix arbeitet neben Zweierpasch als Projektreferent in Kehl. Mehr zu Zweierpasch unter: zweierpasch.com

FELIX NEUMANN: Wir kriegen einen ganz guten Gesamteindruck in unserer Arbeit, treffen verschiedene Bildungsschichten und Alter, haben zwei Länder im Vergleich und machen zum Teil auch konkret politisch-partizipative Projekte, zum Beispiel rund um Wahlen. Die Sogwirkung digitaler Medien, die Geschwindigkeit unserer Zeit und das Orientieren an ambivalenten Idolen prägen die junge Generation. Politisch sind viele, sich dessen bewusst nur wenige. Dabei posten sie in Sozialen Medien, schreiben Raptexte und finden Sachen cool oder fake. Allein zu Geflüchteten, der AfD, ihren Bildungschancen, Macron oder Gelbwesten haben die meisten eine Meinung. Von Politik und Partizipation fühlen sie sich aber oft weit weg. Dazu braucht es Zugänge, Übersetzung und Komplexitätsreduktion.

 

Als Ulrike Guérot und Robert Menasse am 10.11.2018 in Weimar das Manifest für eine Europäische Republik verlesen haben, habt ihr für das musikalische Rahmenprogramm gesorgt. Woraus speist sich eure Hoffnung, dass Europa nicht zerbricht, sondern noch enger zusammenwächst?

TILL NEUMANN: Aus den alltäglichen Vorteilen, die wir durch das Zusammenwachsen haben, und die so selbstverständlich sind, dass sie schnell vergessen werden. Wir haben selbst in Frankreich studiert, dort gelebt und gearbeitet, gehen wöchentliche dort einkaufen, Freunde treffen, spielen Konzerte oder gehen auf Veranstaltungen. Der nahende Brexit macht doch deutlich, wie kompliziert nun alles werden könnte – für Arbeitnehmer, Touristen oder etwa Studenten. Zweiter Punkt: Die europäische Idee der Friedenssicherung, die uns nach Millionen von Kriegstoten und Bomben zusammenhält. Viele Kritikpunkte an der Europäischen Union sind gerechtfertigt. Der Ansatz, dass wir zurück in Kleinstaatenlösungen gehen, ist der Falsche. Zweiflern empfehlen wir einen Besuch auf dem Hartmannswillerkopf, lebendiger Schauplatz des ersten Weltkrieges im Elsass.

(A.d.R. Das Video für den Song von Zweierpasch „Flagge auf Halbmast“ wurde auf dem Hartmannswillerkopf gedreht)

 

Wir wissen genug – alle kennen den Klimawandel, die zunehmende Spaltung zwischen arm und reich, zwischen Ohnmacht und Macht. Und doch ändert sich nichts. Braucht es eine neue Erzählung, neue Bilder des gesellschaftlichen Zusammenlebens? Und was kann die Musik hier leisten?

TILL NEUMANN: Musik ist ein Baustein von vielen, die gesellschaftlich etwas bewegen können. Wir spüren bei unseren Projekten mit Schülern deutlich: Musik kann Impulse geben, Zugänge schaffen, Horizonte öffnen. Wir vermitteln Sprache, Politik oder Geschichte und eine Haltung mit unseren Songs. Das reduziert zwar Komplexes auf kurze Spots, regt aber zum Nachdenken an. Jugendliche sagen uns: Politik interessiert mich nicht. Rap aber sehr wohl. In unseren Workshops, Schreibwerkstätten und Konzerten führen wir beides zusammen, die Teilnehmer sind mit Feuereifer dabei, auch bei schwierigeren Themen. Immer wieder verblüffend, wie gut das funktioniert.

 

Wie müsste Politik heute aussehen, damit ihr denkt: Geht doch!

FELIX NEUMANN: Bürgernah, transparent, stärker altersdurchmischt, ökologisch-ökonomisch ausgewogen. Keine einfache Frage. Im Dezember war ich mit einer Gruppe junger Migrantinnen und Migranten für ein Partizipationsprojekt im Deutschen Bundestag. Leider dieses mal eine ambivalente Erfahrung: die Art wie uns die Arbeit unseres Parlamentes näher gebracht wurde, war auch für die Motiviertesten und Aufgewecktesten zu weit weg. Interesse an Politik und Demokratie weckt man nicht durch komplexe Fachsprache und das Gefühl von Oben und Unten. Wir testen regelmäßig Formate, in denen junge Menschen ohne Wahlrecht mit Kandidaten jeglicher Couleur diskutieren, oder auf lokaler Ebene eigene Projekte realisieren. Damit machen wir gute Erfahrungen. Teilnehmende Politiker zeigen sich immer wieder überrascht, wie diskussionsfreudig und politisch interessiert die jungen Leute sind.

Gesellschaftlicher Wandel? Sprechen wir drüber!

Wieviel Wirtschaft verträgt die Demokratie? Welche Perspektive hat die Jugend? Bringt Vernunft uns weiter? Und was können wir aus Zukunftsängsten lernen?

Wir haben unsere spannendsten Gespräche der letzten neun Jahre in einem Heft versammelt! U.a. mit:

Reinhold Messner: „Die allermeisten Menschen unterliegen im Grunde einer Pseudofreiheit. Sie haben gar nicht so viele Möglichkeiten beziehungsweise keine echten Wahlmöglichkeiten.“

Richard David Precht: „Das Schöne ist, dass wir heute mehrheitlich nicht mehr an einen objektiven Lebenssinn glauben. Das ist sehr befreiend.“

Hanna Poddig: „Im Grunde ist der Unterschied zwischen der Demokratie als Herrschaftssystem und anderen Herrschaftssystemen nicht besonders groß.“

Margarete Mitscherlich: „Den Kindern zu sagen, dass sie nicht nur Nachzucht für eine funktionierende Wirtschaft sind, das würde ich mir wünschen.“

David Graeber: „Ein Bullshit-Job ist ein Job, bei dem derjenige, der ihn macht, heimlich denkt, dass dieser Job nicht existieren sollte.“

Das Inhaltsverzeichnis sowie mehr über dieses Heft finden Sie im Onlineshop.