Foto: unsplash.de | Jez Timms
Teil 1: Die Finanz und ihre Fehler: Die Library of Mistakes in Edinburgh
Text von Bernd Villhauer | Kolumne Finanz & Eleganz | veröffentlicht am 7. März 2025
Als ich vor vielen Jahren einem Schotten erzählt habe, dass ich vorhätte, die Highlands zu besuchen, da war er ziemlich entsetzt: „What do you want there? It’s only sheep and Germans…!“ In der Tat ist Schottland ein Sehnsuchtsland deutscher Touristen. Warum das so ist, das würde wohl einen eigenen Blog verdienen. Ruhe? Alkohol? Regen am Morgen? Graue Steine mit Flechten? Macbeth? Regen am Nachmittag? Trainspotting? Dudelsäcke? Regen in der Nacht? Wollpullover? Vielleicht kann man dort ganz seiner Vorliebe für Tradition frönen – wenn man das will…
Aber tatsächlich waren die Schotten auch immer Revolutionäre und Paradigmenumschmeißer. Die Liste der inspirierten und inspirierenden Schottinnen oder Schotten ist lang. Für die Wirtschaft haben wir unter anderen Adam Smith, David Hume und John Law, es gibt aber auch William Wallace, James Watt, Mary Somerville, Arthur Conan Doyle und so viele mehr.
Die Intellektuellen unter den Schottinnen und Schotten denken selbst und tun sich schwer mit Opportunismus, Glattheit und Anpassung an die herrschenden Auffassungen von „Professionalität“, „Perfektion“ oder „Plumpudding“. In den Hochmooren gibt es eben viele Wege, die Perspektiven sind sehr unterschiedlich. Deswegen ist es auch nur logisch, dass sich in Schottland, nämlich in Edinburgh, eine weltweit einmalige Bibliothek befindet, die Bibliothek der Fehler, die „Library of Mistakes“. Mein ganzer Text dient nur dem einen Ziel: möglichst viele Menschen dazu zu bewegen, diese großartige Bibliothek einmal virtuell (https://www.libraryofmistakes.com) oder ganz real (33A Melville Street Lane, Edinburgh, EH3 7QB) in der ebenso großartigen schottischen Metropole zu besuchen. Es handelt sich – bei diesem Blog wohl nicht anders zu erwarten – um eine Finanzbibliothek, gewidmet vor allem der Geschichte. Geld und Finanzen historisch betrachtet – und zwar als Historie der Fehler, Irrtümer, Desaster, der Inkompetenz und des Versagens. Großartig!
Wir leben ja in einer Welt der Siegreichen. Gewinnergeschichten wo wir hinschauen! Das gilt besonders auch für die Börse, wo jeder Zufallstreffer als Teil einer genialen Strategie hingestellt wird, während jahrelange Verluste ungern beleuchtet werden. Alle wollen immer schon recht gehabt haben. Fehler dürfen wir nicht mehr eingestehen; gerade Finanzmanager können das während ihrer aktiven Zeit eher nicht – höchstens nach der Frühverrentung, die endlich Zeit zum Malen bringt.

Testen Sie agora42 mit unserem Probeabo!
Sie erhalten zwei Ausgaben für 22€ – sowie unser Heft DAS GUTE LEBEN gratis dazu!
Ohne Fehlerkultur aber kein Lernprozess… Deswegen ist es auch so wichtig, heute zu anderen Ergebnissen als gestern zu kommen – und sich zu vergegenwärtigen, warum genau das so war. Was ist denn eigentlich so schlimm daran, dass wir uns weiterentwickeln oder unseren Standpunkt wechseln, alte Fehler auch als solche benennen? „Wenn sich die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung. Und was machen Sie?“ Dieses Bonmot von John Maynard Keynes ist ein Beweis dafür, dass auch in der Wirtschaftswissenschaft Lernfähigkeit gelegentlich hochgeschätzt wurde. Die Library of Mistakes zeigt uns, wie viele Gründe es in zurückliegenden Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten gab, seine Meinung zu ändern. In ihr sind Texte über Pleiten in den Handelsrepubliken des 16. Jahrhunderts ebenso zu finden wie Analysen der Finanzkrise 2008/2009; sie beleuchtet die abschmierenden Staatspapiere der amerikanischen Gründerväter sowie den maroden Zustand der sowjetischen Banken. Von Babylon bis Basel, von der Kaufmannsfamilie der Welser bis zu Wirecard… Alle bekommen ihr Fett weg und wir erkennen, was für Finanzsysteme seit jeher gilt: die Krise ist der Normalfall.
Was aber ist „Krise“, wenn doch die Charts immer positiv aussehen und gerade die Aktienmärkte in the long run immer nur eine Richtung kennen: nach oben. Und was ist problematisch an dem System, das den größten Wohlstandszuwachs in der Geschichte erzeugt hat: finanzmarktgestützter Kapitalismus?
In der Library of Mistakes können wir lernen, dass es immer auch Verlierer gab, kein Aufschwung unendlich war und jedes Modell (so elegant es auch sein mag) von den Alltagsrealitäten durchgeschüttelt oder gar widerlegt wird. Auch allerlei Lehrgänge und Seminare werden hier angeboten, aber vor allem lohnt sich ein Blick auf die gut gefüllten Regale. Beim Gang durch die ehrwürdigen Buchreihen stellen wir fest: Es kann großes Vergnügen bereiten, das Scheitern zu reflektieren, die schwarzen Schafe auf den schottischen Wiesen zu suchen und aus den so zahlreichen Fehlern zu lernen. Vielleicht ist es manchmal besser, das Verlieren zu reflektieren als das Siegen zu feiern. Wir alle kennen die legendären Geschichten von den Schotten, die für ihr Recht kämpften und jämmerlich untergingen, aber in den großen Gesängen weiterleben. Zum Abschluss daher der Remix eines berühmten Zitates: Die siegreiche Sache gefiel den Göttern, die besiegte aber dem Bernd. ■
Geschrieben bei einer Tasse Tee am 25. September 2024

In der Kolumne „Finanz & Eleganz“ geht Bernd Villhauer den Zusammenhängen von eleganten Lösungen, Inszenierungen, Symbolen und Behauptungen einerseits sowie dem Finanzmarkt andererseits nach. Grundsätzliche Überlegungen zu der Kolumne finden Sie in der Einführung.
Diese Ausgaben von agora42 könnten Sie auch interessieren:
-
4/2019 DEMOKRATIE UND WIRTSCHAFT
9,80 €inkl. 7 % MwSt.
zzgl. Versandkosten
Lieferzeit: 3 - 5 Tage
In den Warenkorb -
1/2010 WACHSTUM
7,90 €inkl. 7 % MwSt.
zzgl. Versandkosten
Lieferzeit: 3 - 5 Tage
Weiterlesen -
2/2018 ORDNUNG
9,80 €inkl. 7 % MwSt.
zzgl. Versandkosten
Lieferzeit: 3 - 5 Tage
In den Warenkorb