Anpassen – aber richtig! Gefahren und Möglichkeiten der Anpassung an die Klimakrise | Nisha Toussaint-Teachout

Eine Straße in einer trockenen Gegend, gesäumt von Büschen und ausgebrannten Bäumen. Man sieht in der Ferne ein Auto und aus dem Wald zieht sich von links über den Himmel Rauch.Foto: Markus Kauffmann | unsplash

Anpassen – aber richtig!

Gefahren und Möglichkeiten einer Anpassung an die Klimakrise

Text: Nisha Toussaint-Teachout | online veröffentlicht am 17.01.2025

Wir können die Klimakrise nicht mehr aufhalten. Das ist kein Pessimismus, sondern ein Fakt: Hitzewellen, Dürreperioden, Waldbrände, Starkregen und Unwetter gibt es bereits – vor allem in Regionen des Globalen Südens, aber auch in Deutschland. Genau deswegen kämpfen viele für Klimaschutzmaßnahmen und Mitigation, also das Einsparen und Reduzieren von Treibhausgasemissionen. Doch bereits ausgestoßene Gase lassen sich nicht mehr Einsparen und bereits ein- und losgetretene Folgen lassen sich nicht mehr aufhalten. Deshalb braucht es Adaption, die Anpassung an die Folgen der Erderhitzung.

Anpassen an die Klimakrise möchte sich Deutschland schon seit Langem. Seit 2008 gibt es die Deutsche Anpassungsstrategie (DAS), die aber kaum jemandem ein Begriff ist. Obwohl es die DAS seit 16 Jahren gibt, sie recht gut finanziert ist und diverse Anpassungsmaßnahmen entwickelt(e), fehlt ihr die Anbindung an die Klimabewegung, an Umweltverbände und, last but not least, an die Realität.

Es hapert an der Umsetzung. Zu hoch scheinen die Kosten und der benötigte Personalschlüssel, zu groß sind die Widerstände gegen ihre Implementierung. Die politische Reaktion auf die Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 steht sinnbildlich für die herrschende „Anpassung”: Politiker*innen zeigten sich betroffen, stapften in Gummistiefeln durch Matsch in überschwemmten Hausfluren und ließen die Betroffenen danach wieder allein. Die Anpassungspolitik, die tatsächlich gemacht wird, ist reaktiv, autoritär und technokratisch: Maßnahmen werden oft erst nach eingetretenen Katastrophen vorangetrieben, meist ohne Anbindung an die Menschen vor Ort. Politiker*innen setzen zudem fast ausschließlich auf technische Lösungen. Bessere Abwassersysteme, strengere Baunormen und höhere Dämme sind zwar wichtig und gut, bleiben aber Anpassung im Sinne der Fortführung des Status quo – minimale Veränderung, Ausblendung von sozialen Komponenten, Kapitalismus in grün.

Aber können wir uns beschweren? In Zeiten der erstarkenden Rechten und der Aussicht auf baldige AfD-Regierungen erscheinen die DAS und Politiker*innen, die zumindest so tun, als würden sie sie umsetzen wollen, wie das progressive Nonplusultra, das es zu verteidigen gilt. Zeitgleich mit der Erhitzung des Klimasystems läuft sich auch die Rechte warm. Konservative und ehemals progressive Parteien übernehmen ihre Parolen, rechte Politik wird, Stichwort Asylpolitik, bereits umgesetzt. Die Bedrohung durch den Faschismus ist real – und die Frage, wie er in einer klimakrisenhaften Welt aussehen wird, drängt sich auf. Ein Weiter-so wird vermehrt zu autoritären Anpassungsmaßnahmen führen.

Anpassung als Verdrängung

Auf Naturkatastrophen folgen in der Regel politische Ausnahmezustände mit schnellen politischen Entscheidungen und Notstandverordnungen. Diese sollen vermeintlich langwierige demokratische Prozesse abkürzen und schnelles, aber auch autoritäres Handeln ermöglichen. Momentan verschleppt so gut wie jede Regierung der Welt angemessene Klimaschutzmaßnahmen und Klimafolgenanpassung. Die eskalierende Klimakrise wird uns immer härter treffen und damit immer wieder autoritäre Reaktionen hervorrufen, die aber kaum jemals nachhaltigen Schutz bedeuten werden. Anpassungspolitik muss über Quickfixes nach Katastrophen hinausgehen: Sie sollte eine ganzheitliche Strategie für den Umgang mit Klimafolgen und die Eindämmung der Krise beinhalten.

Außerdem gibt es Bereiche, in welchen schon jetzt rechte Forderungen Wirklichkeit werden, vor allem in der Asylpolitik. Diese ist eng mit der Erderhitzung verbunden. Die Klimakrise zwingt viele Menschen vor allem im Globalen Süden, ihr Zuhause zu verlassen und an sichere(re) Orte zu fliehen. Die deutsche Asylpolitik ist zwar nicht in der DAS geführt, muss aber als informeller Teil der europäischen Anpassungsstrategie angesehen werden. Europa macht seine Außengrenzen dicht und verantwortete in den letzten zehn Jahren knapp 30.000 Tote allein im Mittelmeer, das sind acht Menschen pro Tag seit 2014.

Diese Politik der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union leugnet ihre historische Verantwortung für die Klimakrise. Durch Abschottung versuchen sie, ihre Vormachtstellung in der klimaveränderten Welt weiterhin zu sichern. Doch mit dem Voranschreiten der Erderhitzung, die große Teile der Erde unbewohnbar machen wird (selbst wenn wir sofort alle Emissionen stoppen würden), wird es immer mehr Klimaflucht geben. Insofern müssen wir uns auf einen entsprechenden Backlash und Abschottungsversuche von Rechts einstellen.

Die Folgen der Klimakrise sind ungerecht verteilt, auf globaler, aber auch auf lokaler Ebene. Die Klimakrise verschärft schon vorhandene Krisen und Ungerechtigkeiten und marginalisiert unterdrückte Menschen noch mehr. Ob die Küstenregionen der Niederlande gefährdet sind oder jene Senegals, macht einen enormen Unterschied. Die Niederlande verfügen über die finanziellen Mittel, die Ressourcen und die Macht, um sich an die veränderten Umstände anpassen zu können, während Senegal diese nicht hat. Außerdem haben die Niederlande als Industrienation die Klimakrise mitverursacht und tragen eine historische Verantwortung für die Folgen, die in Senegal zu spüren sind.

Mut zur emanzipatorischen Anpassung!

Vulnerabilität und die Möglichkeiten zur Anpassung sind sehr ungleich verteilt. Und auch auf kommunaler Ebene kann Klimaanpassung, die soziale Komponenten ausschließt, Ungerechtigkeiten verstärken. Die Entsiegelung, Begrünung und Aufwertung des öffentlichen Raumes kann beispielsweise eine segregierende Wirkung haben: Grüne Elitequartiere für Privilegierte entstehen und führen zu sogenannter „grüner Gentrifikation“. Rechte und konservative Haltungen, die nicht jedem Leben gleichen Wert zusprechen, werden auch diese in ihrer (Anpassungs-)Politik fortführen.

Die aktuellen „Spitzenreiter“ der (individualisierten) Anpassung finden wir aber nicht in der Politik. Einige Reiche und Rechte bereiten sich bereits umfassend auf Katastrophensituationen vor. Reiche kaufen sich geschützt stehende, luxuriöse Villen am Berg und lassen sich in Vorbereitung auf die Katastrophe für hunderte Millionen geräumige Bunker inklusive Spielplatz, Garage und Porsche mit veganen Ledersitzen bauen. Rechte Prepper*innen horten Lebensmittel und bereiten sich individuell auf Überlebenskämpfe vor. Dazu gehört auch Bewaffnung und Schießtraining, besonders bei Menschen aus dem rechten und rechtsextremen Milieu.

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Es lässt sich also festhalten, dass die Klimaanpassung schon jetzt auf ungefähr allen Ebenen unzureichend ist: unzureichend wirksam, unzureichend demokratisch, unzureichend gerecht verteilt, unzureichend voraussichtig und unzureichend nachhaltig. Zusätzlich beunruhigt die Aussicht auf eine Zunahme rechter und menschenverachtender Antworten auf Klimakrisenfolgen. Gleichzeitig sträuben sich viele, sich mit Klimawandelfolgen und Adaption auseinanderzusetzen, denn das kann sich anfühlen wie Aufgeben. Dabei ist Adaption das Gegenteil: Sie ist ein reality check der Klimakrise und ihrer Auswirkungen. Die Frage der Anpassung wird damit zu einer richtungsweisenden Entscheidung: Adaption im Sinne des Weiter-so – oder als Beginn des grundlegenden Umbaus unserer Gesellschaft?

Solidarisch und klimagerecht

Adaption aus linker Perspektive bedeutet umfassende Anpassung. Dazu gehören zum einen die expliziten Maßnahmen, die teilweise bereits umgesetzt werden: Deiche müssen gebaut und erhöht werden, Flächen entsiegelt, Begrünung und Kühlräume geschaffen, Wasser muss gespeichert werden, Wälder und Landwirtschaft müssen auf die veränderten Bedingungen vorbereitet und Städte nach dem Schwammstadt-Prinzip umgebaut werden, wie beispielsweise in Kopenhagen schon geschehen.

Zum anderen braucht es eine ganze Reihe impliziter Maßnahmen, die soziale Verhältnisse, Gerechtigkeitsfragen und die am stärksten Betroffenen in den Fokus rücken. Das ist es, was linke Anpassung ausmacht. Denn Vulnerabilität ist nicht gleich Vulnerabilität: Wir sind nicht alle gleich stark von der Klimakrise betroffen. Die Folgen treffen den Globalen Süden wesentlich stärker als den Globalen Norden, Arme stärker als Reiche, BIPoC stärker als Weiße, Frauen und Queers stärker als cis Männer und Menschen mit Behinderung stärker als able-bodied Menschen. Race, Gender, Körper und insbesondere Klasse sind zentrale Faktoren für die Verwundbarkeit von Menschen. Dies sind keine neuen Themen, sondern Themen von andauernden Gerechtigkeitskämpfen, die wir kennen. Doch unter der Klimakrise kommt ihnen eine noch höhere Dringlichkeit zu.

All das, wofür linke Bewegungen ohnehin kämpfen, erhöht die Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit, mit Klimawandelfolgen umzugehen – einfach, weil sie unsere Gesellschaft gerechter machen. Dazu zählen besonders Themen rund um Wohnen, Gesundheitsversorgung für alle, öffentlicher Raum (zum Beispiel die Schaffung schattiger und kühler öffentlicher Orte ohne Konsumzwang), Ernährungssouveränität, günstiger ÖPNV oder auch Arbeitszeitverkürzung, damit mehr Zeit für die Sorge füreinander und die Umwelt bleibt. Auch die globale Perspektive darf nicht zu kurz kommen. So gehören zu solidarischer und klimagerechter Anpassung auch offene Grenzen für (Klima-)Migrant*innen und Reparationen an den Globalen Süden für Anpassung und Loss and Damage. Adaption geht Hand in Hand mit der Überwindung sozialer Herrschaft und ist spätestens damit zentrales Thema für alle emanzipatorischen Befreiungskämpfe.

Able-bodied ist ein Begriff aus dem Diskurs um Ableismus. Er beschreibt Menschen, die als gesund, kräftig und belastungsfähig gelten, die also keine Beeinträchtigung und/oder chronische Krankheit haben bzw. denen dies nicht zugeschrieben wird. Ableismus (vom Englischen „able“ = fähig sein) bezeichnet die strukturelle Benachteiligung und Diskriminierung von Menschen mit Beeinträchtigungen und/oder chronischen Krankheiten.
Loss and Damages bezeichnet die negativen Folgen der Erderhitzung, deren Entstehen nicht durch Klimaschutz und -anpassung verhindert werden kann. Laut einem Beschluss der Weltklimakonferenz 2022 sollen besonders vulnerable Staaten bei der Bewältigung ihrer Loss and Damages finanziell von der internationalen Gemeinschaft unterstützt werden.

Adaption demokratisieren

Der IPCC-Bericht aus dem Jahr 2022 zu „Impacts, Adaptation and Vulnerability” identifiziert drei Dimensionen der Gerechtigkeit, die in Lösungsansätzen vorhanden sein sollten: 1. Distributive Justice, die gerechte Verteilung von Lasten und Nutzen; 2. Procedural Justice, die gerechte Beteiligung an Entscheidungsprozessen und 3. Recognition, die Anerkennung unterschiedlicher kultureller und gesellschaftlicher Perspektiven. Für eine demokratische Anpassung sind besonders die letzten zwei Aspekte zentral.

Betroffene sollten mitbestimmen können, welche Adaptionsmaßnahmen wo Sinn ergeben und dabei aus ihrem eigenen Erfahrungs- und Wissensschatz schöpfen können. Dadurch wird auch die Anpassung informierter und somit effektiver. Während nämlich Mitigation mit Klimaschutzmaßnahmen einhergeht, die zwar lokal ansetzen, aber deren Erfolge vor allem global zu messen sind, ist Adaption die konkrete Erhöhung der Resilienz auf lokaler Ebene. Sie ist nah an der Lebensrealität der Menschen, die beispielsweise bereits unter Hitzestau im Sommer leiden oder bei Unwetter Sandsäcke auslegen müssen. Damit liegt in der Klimakrisenanpassung viel demokratisches Potenzial.

Die gemeinsame Identifizierung der Schwachstellen im eigenen Viertel oder Dorf und basisdemokratische Lösungsansätze können nicht nur zu effektivem, proaktivem Katastrophenschutz führen, sondern auch zu gesteigerter Solidarität und Zusammenarbeit vor Ort. Dies erhöht auch die Lebensqualität, schützt vor weiterer gesellschaftlicher Vereinzelung und dem Erstarken rechten Gedankenguts. Diese kommunale Arbeit und Aufklärung zu lokalen Klimarisiken ist der Grundstein dafür, dass nicht nur klimakrisenangepasste Maßnahmen entstehen. Sondern eine Lebensweise, die sich bestmöglich an die Erderhitzung, ihre Risiken und Folgen anpasst.

Klimagerechte Adaption betrifft uns alle. Sie muss als zentrales Thema anerkannt, mitgedacht und in die Arbeit von Klimagerechtigkeits- und Demokratieverteidigungs-Kämpfen aufgenommen werden. Demokratische Selbstorganisation ist dabei ein Schlüssel – nicht nur in politischen Gruppen, sondern gerade auch in der Nachbar*innenschaft, im Viertel, im Dorf, in der Kommune. Damit kann Adaption von links und unten Türen öffnen zu dieser neuen Welt, in der Gerechtigkeit und Demokratie für ein möglichst gutes Leben für alle sorgen. Eine Welt, in der wir aufeinander aufpassen. ■

Dieser Beitrag ist zuerst in agora42 3/2024 zum Thema AUSLAUFMODELL DEMOKRATIE? erschienen.
Nisha Toussaint-Teachout

Nisha Toussaint-Teachout studiert Philosophie in Stuttgart und ist in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv. Unter anderem ist Nisha bei Fridays for Future organisiert, gibt mit dem Kollektiv Wort.Wechsel Workshops zu strategischer Öffentlichkeitsarbeit und ist Teil des Kollektivs, das seit 2023 den Klima-Kalender im Unrast Verlag herausgibt.

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