Ein Besser-als-Bisher reicht nicht aus | Interview mit dem Konzeptwerk Neue Ökonomie

Illustration der Rubrik "Zukunft für alle"Illustration: DMBO – Studio für Gestaltung

 

Ein Besser-als-Bisher reicht nicht aus

Interview mit Mia Smettan und Ruth Krohn vom Konzeptwerk Neue Ökonomie

Zehn Jahre Konzeptwerkt Neue Ökonomie – herzlichen Glückwunsch! Was sind die wichtigsten Lehren, die ihr aus diesen zehn Jahren zieht? Und worauf wollt ihr den Schwerpunkt eurer Arbeit in den nächsten Jahren legen?

Es gibt vieles, was wir in den letzten Jahren gelernt haben. Zum Beispiel: Das Infragestellen aktueller gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Verhältnisse ist immer ein Prozess. Als Konzeptwerk analysieren wir zwar intensiv politische Geschehnisse und entwerfen Alternativen für eine sozial-ökologische Zukunft, aber wir können keine fertigen Antworten geben. Stattdessen ist es unser zentrales Anliegen Menschen aus der Zivilgesellschaft, soziale Bewegungen, Wissenschaft und Nichtregierungsorganisationen zusammen zu bringen um gemeinsam Bildungsangebote, Räume und Perspektiven für eine Transformation zu schaffen. Uns ist es dafür immer wichtiger geworden, Wirtschaft und Gesellschaft ganzheitlich zu denken. Wir arbeiten daher zu Postwachstum UND zu Fragen von Diskriminierung und Macht. Es geht darum, sowohl ökologisch nachhaltig als auch machtsensibel zu denken.

Kern des Ansatzes des Konzeptwerks war und ist außerdem die Arbeit im Kollektiv. Das heißt, dass wir möglichst hierarchiearm arbeiten und Entscheidungen gemeinsam treffen. Als professionell funktionierende Organisation mit externen Zwängen und begrenzten Mitteln hat dies auch seine Grenzen – und trotzdem ist es für uns ein Erfolgsmodell und wir entwickeln es ständig weiter. Wir versuchen damit auch unsere Visionen direkt in unseren Arbeitsweisen umzusetzen und zu zeigen: Doch! Es geht auch anders.

Wir hoffen, in dieser Welt voll von Ungerechtigkeit und Ausbeutung auch in Zukunft einen Beitrag zu einer besseren Zukunft für alle leisten zu können. Dafür brauchen wir motivierte Mitarbeiter*innen, gute Ideen und eine stabile Finanzierung. Wir möchten Teil einer größeren Bewegung für den sozial-ökologischen Umbau und eine diskriminierungsfreie Gesellschaft sein.

Ihr gesteht der selbsternannten „Fortschrittskoalition“ aus SPD, Grünen und FDP zwar zu, die ökologische Modernisierung verstärkt anzugehen, sagt aber gleichzeitig, dass das nicht ausreicht. Warum nicht? Was ist das Problem am Ziel eines grünen Wachstums?

Mit ihrer Klimapolitik holt die Ampel eine längst überfällige ökologische Modernisierung der deutschen Wirtschaft nach. Damit ist die Klimapolitik Deutschlands zwar ambitionierter als jemals zuvor, aber gleichzeitig vollkommen unzureichend, um die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten. Denn ein Besser-als-Bisher reicht angesichts der sich zuspitzenden und weit fortgeschrittenen Klimakatastrophe nicht aus. Statt eine dringend notwendige Krisenpolitik zu verfolgen, die effektiv und schnell genug die deutschen Emissionen senkt und gleichzeitig die Gesellschaft und Wirtschaftsstrukturen global gerechter macht, um Anpassungen an die bereits unvermeidbaren Folgen der Klimakrise zu ermöglichen, verharrt die Ampel im politischen „Normalbetrieb“. Auch wenn sie rhetorisch daran festhält, gibt die neue Regierung mit dem eingeschlagenen Pfad und der damit verbundenen Abwendung von einem nachvollziehbaren Klimabudget für Deutschland de facto den Anspruch auf, dass Deutschland einen angemessenen Beitrag zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze leistet. Damit erschwert sie die internationalen Bemühungen in diese Richtung enorm.

Die Ampel schürt die Illusion, die notwendige Transformation könne allein durch Infrastrukturpolitik – durch mehr erneuerbare Energie, Wasserstoff, Elektroautos etc. – gelingen, ohne dass sich die Lebens- und Produktionsweise ändert. Aber die aktuelle Wirtschaftsweise basiert auf Wachstum. Um Wirtschaftswachstum zu generieren, müssen mehr Ressourcen aufgewendet werden. Bislang ist der Einsatz von mehr Ressourcen auch immer mit einem mehr an Emissionen verbunden. Auch wenn durch Effizienzsteigerungen stellenweise relative Entkopplungen von Wirtschaftswachstum und Emissionen gelingen können, reicht es bei weitem nicht. Emissionen müssten trotz weiterem Wachstum global in Summe schnell sinken. Dafür, dass eine absolute Entkopplung von Wachstum und Emissionen möglich ist, gibt es bislang keine empirischen Belege. Das macht es also notwendig, nach anderen Lösungswegen zu suchen und Konzepte zu entwickeln, wie eine Gesellschaft jenseits des Wachstums aussehen kann. Als Konzeptwerk haben wir dazu viele Ideen und Anknüpfungspunkte in unserer Publikation Zukunft für Alle – eine Vision für 2048 zusammengeschrieben.

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Wirtschaft müsse ein gutes Leben für alle ermöglichen, das Problem unserer aktuellen Wirtschaftsweise bestehe jedoch unter anderem darin, dass sie undemokratisch sei. Wie würde eine Demokratisierung der Wirtschaft aussehen? Wie würde uns diese helfen, allen ein gutes Leben zu ermöglichen?

Im Zentrum einer demokratischen Wirtschaft steht das Wohlergehen aller und der Erhalt unserer Umwelt statt Profit und Wachstum. Der Weg dahin findet sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene statt. Das heißt, wir brauchen die Partizipation von Arbeitnehmer*innen in den Unternehmen und flache Hierarchien. Dafür braucht es konkrete Zeitfenster für gemeinsame Diskussionen und um Wissen über Arbeitsabläufe zu teilen und sich zu fragen: wirtschaftet unser Unternehmen sozial und ökologisch?

Gleichzeitig ist die Mitbestimmung von Bürger*innen an Wirtschaftsfragen nötig. Wir sind alle direkt von wirtschaftlichen Entwicklungen betroffen, leben aber häufig komplett entfremdet von unserer Lohnarbeit und von den entscheidenden Gremien. In thematisch organisierten Bürger*innenräten kann wieder der Bezug zum Sinn von Arbeit und Wirtschaft hergestellt werden.

Auch global brauchen wir andere Partizipationsmöglichkeiten. Wir leben im globalisierten Neoliberalismus, der geprägt ist durch Neokolonialisierung. Der Reichtum und das Wirtschaftswachstum des Globalen Nordens fußt auf der Ausbeutung von Arbeitskraft und Ressourcen des Globalen Südens. Die Folgen des Klimawandels treffen die Menschen des Globalen Südens jetzt schon am stärksten. Es ist längst an der Zeit, ihnen Gehör zu schenken für die Umstrukturierung unserer Wirtschaftsweisen hin zu einer demokratischen, sozialen und ökologischen Postwachstumsgesellschaft.

An dieser Stelle bedeutet Demokratisierung der Wirtschaft auch: Weg von der Idee, der Markt regelt das von allein. Weg von Monopolen, Monokulturen und Superreichen! Eine Umverteilung von Reich nach Arm, kleinere, lokale Betriebe und ein gemeinwohlorientierter Markt würden soziale Ungleichheit abbauen und den Planeten erhalten.

 

Der russische Überfall auf die Ukraine hat hierzulande die Sagbarkeiten durcheinandergewirbelt: Zu Beginn wurden erneuerbare Energien als Friedens- und Freiheitstechnologien entdeckt und aktuell wird die Laufzeit von Kohlekraftwerken verlängert. Verhilft der Krieg den fossilen Energien und Industrien zu einem Comeback, anstatt ihr endgültiges Ende zu besiegeln?

Die Reaktionen auf den Krieg führen vor allem vor Augen, wie abhängig eine wachstums- und exportorientierte Wirtschaft von importierter Energie ist. Zudem sind die fossilen Industrien eben stark organisiert und können solche Krisenmomente schnell nutzen. Jeder Kohlekraftwerksblock, der länger läuft, ist ein Klimadesaster. Doch mindestens genauso bedenklich sind die geplanten Investitionen in Infrastruktur wie LNG-Terminals (LNG = liquefied natural gas / verflüssigtes Erdgas) für Fracking-Gas.

Durch die hohen Investitionen und langen Gaslieferverträge, die jetzt für 20 Jahre geschlossen werden sollen, droht ein weiteres „Lock-in“ in fossile Energien. Wenn man es mit der „Friedensenergie“ ernst meinen würde, würde der deutsche Energieverbrauch insgesamt gesenkt werden – sonst wird es bei der Importabhängigkeit bleiben. Auch erneuerbare Energien sollen nach Regierungsplänen jetzt verstärkt aus dem globalen Süden kommen, beispielsweise als Wasserstoff aus Nord- und Westafrika, wo viele Haushalte selbst noch gar keinen Stromzugang haben. Das würde neokoloniale Wirtschaftsstrukturen verfestigen, statt sie abzubauen.

Aber solche Pläne könnte die Klimabewegung in den nächsten Jahren noch durchkreuzen. Ganz dringend ist jetzt, sich gegen die LNG-Infrastruktur zu engagieren, bevor noch weitere Verträge unterzeichnet werden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Logo des Konzeptwerks Neue Ökonomie

Mehr über das Konzeptwerk Neue Ökonomie: konzeptwerk-neue-oekonomie.org

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