Optimiertes oder gutes Leben? Interview mit Anna-Verena Nosthoff und Felix Maschewski

Cover Die Gesellschaft der Wearables

Bild: Coverausschnitt | © Nicolai Verlag

Optimiertes oder gutes Leben?

Fünf Fragen an Anna-Verena Nosthoff und Felix Maschewski

1. Das Marketing verkauft uns Wearables, wie die Apple Watch, als Mittel der Selbstoptimierung. Sind wir als selbstoptimierte Bürger auch die besseren und freieren Demokraten?

Die Form der Selbstoptimierung, die etwa die Apple Watch propagiert, verweist zunächst auf die schlichte Idee der Steigerung der körperlichen Fitness: Jeden Tag geht es darum, sogenannte „Aktivitätsringe“ (Bewegen: 450 Kcal, Trainieren: 30 Min., Stehen: mind. 12-mal am Tag) zu schließen, das sonst so spröde Sein in klare, zahlenbasierte Performanzen zu gießen. Das Ziel ist dabei, sich mit allerlei ‚Taps‘ und Nudges (mit Vibrationsalarm versehene Botschaften) dem fitteren, aktiveren oder – wie in der Werbung – „besseren Ich“ anzunähern. So dient das digitale Device zunächst der Leistungssteigerung im alltäglichen „survival of the fittest“. Es erhöht mit den (Leistungs-)Fähigkeiten für so manchen – nicht trotz, sondern gerade wegen der DIY-Überwachung – auch die empfundenen Freiheiten. Dieser Freiheitsgewinn ist ganz programmlogisch mit den Imperativen des Wettbewerbs, der Produktivität etc. verbunden. Das Mängelwesen Mensch re-formiert sich stets nach vorgegebenen, recht standardisierten Parametern, d.h. es normiert sich selbst. Wenn die Smartwatch registriert, dass man zu lange gesessen hat, heißt es fast disziplinarisch-autoritär: „Zeit aufzustehen!“

Optimiertes oder gutes Leben? Interview mit Anna-Verena Nosthoff und Felix Maschewski weiterlesen

Friedrich Nietzsche: Das radikal Neue | von Tanja Will

Illustration: DMBO

Friedrich Nietzsche

Das radikal Neue

Ein Porträt von Tanja Will

Nietzsche – der Name des Anthropologen, der sich einst verkannt, einsam und ohne Beachtung fühlte, ist heute jedem ein Begriff. Kaum ein Philosoph hat seine Thesen nicht an ihm geschliffen, rechts- und linkspolitisch Orientierte fühlen sich von ihm inspiriert und seine freiheitlichen Ideen prägen unsere westliche Kultur und Wissenschaft sowie unser aufklärerisches Gedankengut. Aber nicht nur im Denken, auch in der Praxis wird Nietzsche „verwendet“: Gläubige kreiden ihm Gotteslästerung an, Liberale preisen ihn als Vordenker des freien Individuums, Unternehmer loben seinen Mut, Risiken einzugehen, Manager kommunizieren im Sinne seiner konfrontativ-produktiven Art und Kreative hören seinen Appell zur ständigen Neuerschaffung der Welt. Nicht unerwähnt, da vielfach getadelt, soll auch die Untermauerung und Radikalisierung manch einer Ideologie durch Nietzsches Worte bleiben. Und selbst Ärzte finden anhand der Krankheitsgeschichte des Philosophen Anlass, Syphilissymptome neu zu deuten. Friedrich Nietzsche: Das radikal Neue | von Tanja Will weiterlesen

Was bedeutet „neu“? | von Peter Seele

Was bedeutet "neu"?

Was bedeutet „neu“?

Zeig mir dein Neues und ich sage dir, wer du bist

Text: Peter Seele

Wir seien Kinder der Neuzeit, so heißt es gelegentlich. Diese Neuzeit dauert nun schon seit gut 500 Jahren an – je nach historischer Darstellung. Doch ist sie noch aktuell für uns? Ist sie noch modern, so wie die Neuzeit in ihrem Ausklang auch „die Moderne“ genannt wird? Offenbar nicht, wie bereits der für unsere Zeit gemünzte Begriff der „Postmoderne“ suggeriert, und andere sprechen gar schon von der Postpostmoderne oder – hier wendet das Pendel – von einem aufkommenden zweiten Mittelalter.

Was bedeutet „neu“? | von Peter Seele weiterlesen

Editorial der Ausgabe INNOVATION (Das neue Neue)

Cover der agora42 zu Innovation
Editorial zur Ausgabe 1/2020 INNOVATION

Das neue Neue?

Warum denn das? Neu reicht doch. Innovation eben. Das Alte verbessern und so. Ja, klar, manchmal auch was radikal verändern. Aber es sollte halt im Rahmen bleiben. Alle mitnehmen und sich nicht streiten. Es gibt immer einen vernünftigen Weg. Man muss einfach immer ganz viel verändern, damit ja alles beim Alten – ähm, Neuen natürlich – bleibt. Und nicht immer gleich alles in Frage stellen, das hilft uns doch nicht weiter.
Editorial der Ausgabe INNOVATION (Das neue Neue) weiterlesen

Ein Gedankenspiel von Kai Jannek | 23.04.2051

Drohnen

Illustrationen: DMBO – Studio für Gestaltung

Text: Kai Jannek

23.04.2051

Liebes Tagebuch,

vor nicht einmal einer halben Stunde poppten die Wahl- und Spendenaufrufe auf all meinen Displays auf. Die komplette in der Diaspora lebende Gemeinde war adressiert worden. Es ging um die sofortige Abwahl und Absetzung des Präsidenten in unserem Heimatland. Ich selbst beteiligte mich nicht, aber anscheinend haben sich genug Spender gefunden. Vor vielleicht zwei Minuten zeigten die Nachrichten die Live-Bilder seiner Demission. Er hatte gerade die Kapsel seiner gepanzerten Limousine geöffnet, um ein Restaurant zu betreten, als ein dunkler Schwarm, ich vermute Mikrodrohnen, mit hoher Geschwindigkeit in seine Augen flog. Die Bilder waren schrecklich und ich muss die Erinnerungen dringend überschreiben. Landik ist nicht der erste Regierungschef, der von autonomen Killerdrohnen niedergestreckt wurde. Finanziert via Crowdfunding in einer anonymen Kryptowährung. Ausgeführt von dezentralen autonomen Organisationen, die ihre Dienste auf 12Chan im Darknet anbieten. Dort gibt es einen sehr differenzierten Automated Assassination Market. Anhänger können natürlich auch für den Schutz der jeweiligen Zielperson spenden. Man könnte also fast von Demokratie sprechen. Im Fall von Landik, ich habe mir die Zahlen gerade angeschaut, war die Unterstützung allerdings gering.

Ein Gedankenspiel von Kai Jannek | 23.04.2051 weiterlesen

Demokratie radikal denken | von Aristotelis Agridopoulos

Welches Volk wird konstituiert?

Foto: William MacMahan / Unsplash

Demokratie radikal denken

Warum Demokratien demokratisiert werden müssen

Text: Aristotelis Agridopoulos

Wenn ein demokratisches Miteinander erhalten werden soll, müssen die Formen unseres Zusammenlebens grundsätzlich überdacht und neu geordnet werden. Demokratie hat kein Problem mit autoritären Führern, sie hat ein Problem mit sich selbst: Sie muss demokratischer werden.
Demokratie radikal denken | von Aristotelis Agridopoulos weiterlesen

Die Zerbrechlichkeit der Demokratie | von Lars Distelhorst

Wie zerbrechlich ist die Demokratie?

Foto: Jakub Kapusnak / unsplash

Die Zerbrechlichkeit der Demokratie

oder: Demokratie und Kapitalismus

Text: Lars Distelhorst

Die politische Landschaft kippt nach rechts. Ob Trump in den USA, Erdogan in der Türkei, Duterte in den Philippinen, Bolsonaro in Brasilien oder Le Pen, Orban, Morawiecki, Beatrix von Storch, Alice Weidel und Björn Höcke in Europa. Hatte es eine Zeitlang so ausgesehen, als gehörten die geflügelten Worte „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“ der Vergangenheit an, scheint Bertolt Brecht angesichts der aktuellen Verschiebungen des politischen Gefüges Recht zu behalten. Bei näherer Betrachtung des Phänomens muss es jedoch eher verwundern, dass wir vor dem Rechtsradikalismus so lange Ruhe hatten und das Pendel erst mit solcher Verspätung zurückschlägt.
Die Zerbrechlichkeit der Demokratie | von Lars Distelhorst weiterlesen

Demokratisch arbeiten? | von Philippe Merz

Demokratie auch während der Arbeitszeit?

Foto: Dylan Gillis / Unsplash

Demokratisch arbeiten? Der Arbeitsplatz als Ort der Demokratiebildung

Von Philippe Merz

Zu den vielen Widersprüchen unseres Alltags gehört auch dieser: Wir verstehen uns gerne als selbstbestimmte Bürgerinnen und Bürger einer liberalen Demokratie, die ihre Lebensumstände selbst gestalten können, doch die meisten von uns verbringen den größten Teil ihrer wachen wöchentlichen Lebenszeit in Strukturen, die alles andere als selbstbestimmt sind – nämlich am Arbeitsplatz. Hier sind die Möglichkeiten der Selbstbestimmung sowohl im Kleinen, etwa bei einer marginalen Veränderung der Arbeitsabläufe, als auch im größeren Rahmen, etwa bei der strategischen Organisationsentwicklung, oft erstaunlich begrenzt.

Demokratisch arbeiten? | von Philippe Merz weiterlesen

Eliten – was zu tun wäre. Vortrag von Frank Trümper

Wie muss die Elite heute aussehen?

Foto: Unsplash

Eliten – was zu tun wäre

Vortrag von Frank Trümper

Lassen Sie mich mit einer grundsätzlichen Frage beginnen: Wer ist überhaupt gemeint, wenn wir von Elite sprechen? Ich würde drei Dimensionen unterscheiden, in denen wir über Eliten sprechen. Die erste Dimension betrifft so etwas wie die kulturelle, politische und intellektuelle Avantgarde. Darunter fallen für mich große politische Denker, Aktivisten, Wissenschaftler, Philosophen, einige große Journalisten (wir erinnern uns alle an Leute wie Augstein, Nannen oder Bucerius) – Menschen, die ihrer jeweiligen Zeit gedanklich voraus waren, die etwas bewegt haben und uns letztlich mit ihren Ideen und Initiativen dahin gebracht haben, wo wir heute sind. Das waren und sind Menschen, die der Stachel im Fleisch sind, die sich in die öffentliche Diskussion und in das öffentliche Leben einmischen.

Eliten – was zu tun wäre. Vortrag von Frank Trümper weiterlesen