Gemeinwohl und Staatsfilz oder:
Verstehen öffentliche Finanzinstitutionen eigentlich den Finanzmarkt?
von Bernd Villhauer
Die Finanzmarktakteure, die nicht in privater Hand sind, stellen einen wesentlichen Faktor im Finanzwesen dar. Und genau diese sollen heute im Mittelpunkt stehen, in der dritten Folge der Blog-Serie zum Thema „Wer versteht eigentlich noch den Finanzmarkt?“ Die Wissenschaft und die Presse haben wir schon angesehen – und nun wollen wir jene Finanzinstitutionen würdigen, die wir alle über Steuergelder mitfinanzieren.
Menschen wollen vertrauen. So sind sie nun mal, die Humanoiden – ihr Zusammenleben ist nur möglich, wenn sie ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen aufbringen. Das hat sich evolutionär bewährt. Ein bekanntes Bonmot teilt uns mit, dass der Affe, der den Ast verfehlt hat, nicht zu unseren Vorfahren gehört. Aber auch der Affe, der die Kooperation verweigerte, dürfte wenig Nachkommen gehabt haben. Wenn er (oder sie) weder Vertrauen stiften noch solches entgegenbringen konnte, dann war das eine klägliche Existenz, in der Sprache von Thomas Hobbes: „solitary, poor, nasty, brutish, and short.“
Aus den Versammlungsplätzen der Affenhorde unter zentralafrikanischen Bäumen sind die Börsenparketts geworden – und auch hier gilt: ohne Vertrauen kein Zahlungsmittel, keine Transaktion, kein Wertspeicher, keine Asset-Verwaltung. Besonders wichtig ist dies bei den öffentlichen Einrichtungen, die mit Fragen des Finanzmarktes befasst sind. Wenn wir den Informationen, die von solchen Einrichtungen ausgehen, nicht mehr trauen können – wem dann?
Aber beginnen wir mit der Frage: Was sind eigentlich Finanzinstitutionen in öffentlicher Hand?
Grundsätzlich kann unterschieden werden zwischen den Institutionen, die im Markt agieren und Finanzdienstleistungen zu Marktbedingungen anbieten (wie Förderbanken) und denen, die den Markt gestalten, indem sie z.B. Prüfungs- und Kontrollfunktionen wahrnehmen (wie Finanzaufsichtsbehörden) oder die Marktgrundlagen definieren (wie Finanzministerien).
Diese Grobunterscheidung lässt sich dann noch mit räumlichen Größenordnungen ergänzen: global (Weltbank; Internationaler Währungsfonds), europäisch (Europäische Zentralbank; Europäische Investitionsbank), national (Banken in öffentlicher Hand; Aufsichtsbehörden) oder regional (Landes-, Stadt- oder Gemeindeeinrichtungen).
Aus ihrer Rolle im Markt oder ihrem Verhältnis zum Markt ergeben sich einerseits die spezifischen Kompetenzen, aber auch die besonderen Interessen. Was wollen die Herrschaften hinter den Kulissen eigentlich? Je nachdem, wie die Rolle im finanzökonomischen Prozess aussieht, werden sie über bestimmte Kenntnisse und / oder Einflussmöglichkeiten verfügen.
Die Weltbank beispielsweise hat einen großen und mächtigen Anteilseigner, die USA, der viele Jahre dafür sorgte, dass die ordnungspolitischen Vorstellungen aus Washington umgesetzt wurden. Bei den Amerikanern liegt auch der größte Stimmrechtsanteil, nämlich augenblicklich 15,85 %. Im Jahre 2016 kritisierten zahlreiche Mitarbeiter der Weltbank, dass die Führungsposten nicht nach Kompetenz besetzt wurden, sondern nach Proporz – Hauptsache weiße Amerikaner geben den Ton an. Aber das ist kein exklusives Problem internationaler Organisationen: wie viele örtliche Sparkassen wurden schon in Gefahr gebracht weil für Ortsbürgermeister Kuno, den verdienten Parteisoldaten, noch ein Pöstchen gefunden werden musste?
„Öffentlich“ ist also nicht gleich „öffentlich“ – und bei jeder Einrichtung lohnt ein Blick auf die Machtverhältnisse, die die ökonomischen Experten zum Tanzen (oder zum Schweigen) bringen. Denn der Sachverstand, die Expertise steht eben nicht im luftleeren Raum, sondern folgt politischen Zwängen.
Sehen Sie sich genau an, wer die Einrichtung trägt, finanziert und besetzt – dann werden die Expertenpapiere und Stellungnahmen schon verständlicher.
Das wäre die erste Botschaft, die ich vor dem nächsten Schluck Tee gerne unterbringen würde: Sehen Sie sich genau an, wer die Einrichtung trägt, finanziert und besetzt – dann werden die Expertenpapiere und Stellungnahmen schon verständlicher.
Gesehen und verstanden wird nur, was den eigenen Zielen dient und im eigenen institutionellen Horizont sinnvoll ist. So wie die Weltbank von den großen Industrieländern dominiert ist – und eine Politik betreibt, die Entwicklungs- und Schwellenländern mehrfach schlecht bekam, so haben sich die lokalen Finanzeinrichtungen in öffentlicher Hand immer schwer getan, globale Märkte einzuschätzen. Das „stupid German money“, das in den Jahren vor der Finanzkrise in allerlei seltsame US-Finanzprodukte floss, kam oft über die lokalen Banken aus deutschen Gemeinden. Und dahinter steht nicht böser Wille. Es wird einfach gar keine Expertise aufgebaut, die anderen Zielen dienen könnte als denen, die man so gut kennt. Bei den öffentlichen Einrichtungen dürfen wir uns also fragen: Welche Ziele verfolgen sie und welche Art von Kompetenz bauen sie dazu auf? Die Zielkonflikte und Wissensasymmetrien entscheiden darüber, ob glaubwürdig und hilfreich informiert wird.
Ein weiteres Problem muss aber noch angesprochen werden (meine zweite Botschaft): schlaue junge Leute, die die entsprechenden Ausbildungs- und Studiengänge absolviert haben, strömen nicht unbedingt in Behörden und Einrichten mit öffentlicher Trägerschaft. Und der Staat hat so oft nicht die Möglichkeiten, High Potentials zu formen und zu fördern. So kommt es, dass einigen wenigen mäßig bezahlten Beamten und Angestellten ganze Stäbe gut ausgebildeter Juristen oder Finanzwissenschaftler gegenüberstehen, die bei Sachverstand und Eloquenz in einer anderen Liga spielen. Der Brain Drain, der meist zuungunsten der öffentlichen Hand verläuft, verschafft den Banken und Fonds, den Finanzdienstleistern und Vermögensverwaltern das benötigte Personal. Das kann man schön daran ablesen, wann und wie profitable Lücken geschlossen werden. Wie lange hat es nochmal gedauert bis die CumEx-Geschäfte, bei denen durch kreative Dividendenverrechnung Steuern gespart wurden, beendet wurden. Moment mal – sie wurden ja gar nicht beendet!
Und so gibt es einige Beispiele für Wettrennen zwischen Roller und Rolls Royce – zwischen kleinen Gruppen in den Behörden, die möglichst nicht zu viel Staub aufwirbeln sollen und vielen hochbezahlten Spezialisten. Wie können wir als ganz normale Finanzbürger uns also über öffentliche Stellen informieren lassen und was sollten wir beachten? Sorgen die öffentlichen Einrichtungen dafür, dass wir ermächtigt und ertüchtigt werden und uns ein eigenes Urteil bilden können? Weisen sie auf die Gefahren hin, die ein so dynamischer Raum wie der des Finanzmarkts, immer birgt?
Die Finanzinstitutionen in öffentlicher Hand liegen in Wirklichkeit in ganz verschiedenen öffentlichen Händen.
Die Finanzinstitutionen in öffentlicher Hand liegen in Wirklichkeit in ganz verschiedenen öffentlichen Händen. Nicht alle sind sauber und nicht alle können gut jonglieren. Die Auge-Hand-Koordination lässt manchmal zu wünschen übrig, von der Gehirn-Hand-Koordination ganz zu schweigen. Sachverstand ist gewiss vorhanden, wenngleich oft sehr viel weniger als in den privaten Institutionen. Nur wenn wir die Expertise von verschiedenen Seiten nutzen, wenn die Stellungnahmen der nationalen Regulierer mit denen der globalen Investierer und Spekulanten zusammengelesen werden und dann noch kräftig durch die ideologiekritische Prüfung gekämmt wurde, dann können wir anfangen, Vertrauen zu fassen. Die Weisheit der Affenhorde gilt aber immer noch: Wer zu früh vertraut, bleibt dumm, wer zu spät vertraut, bleibt einsam.
Geschrieben bei einer Tasse Tee am 03.05.2017.
Teil 1: Versteht die Wissenschaft eigentlich den Finanzmarkt?
Teil 2: Verstehen die Medien eigentlich den Finanzmarkt?
Teil 3: Verstehen öffentliche Finanzinstitutionen eigentlich den Finanzmarkt?
Teil 4: Verstehen private Finanzinstitutionen eigentlich den Finanzmarkt?