Alle wollen nur Dein Bestes oder:
Verstehen private Finanzinstitutionen eigentlich den Finanzmarkt?
von Bernd Villhauer
Zum Abschluss der Blog-Serie zum Thema „Wer versteht eigentlich noch den Finanzmarkt?“ will ich einen Blick auf die nicht-staatlichen Einrichtungen werfen. Mit diesen, beispielsweise den Banken, Versicherungsgesellschaften, Finanzberatern oder Fondsgesellschaften haben wir ja als Konsumenten und Geldbenutzer am häufigsten zu tun – und sind auch am meisten auf sie angewiesen.
„I need a hero“ – so tönte Bonnie Tyler vor mehr als 30 Jahren und trug damit zum Soundtrack der neokonservativen Leadership-Debatte der 80er-Jahre bei. Aber die Yuppie-Kultur, die seinerzeit mit Föhnfrisuren, Schulterpolstern und teuren Sneakers einen neuen stolzen Kapitalismus präsentierte, stand einerseits zwar für noble Gesten, andererseits aber für den unzweideutigen Fokus aufs Geldverdienen: „The business of business is even better business“.
Der heldenhafte Erwerbssinn ist ein bisschen aus der Mode gekommen. Zum einen wünscht sich die Mehrheit heute immer mehr moralisch vertretbare Strategien der Renditesteigerung, zum anderen sind die Befürchtungen nicht ganz unberechtigt, dass ein System, in dem jeder nur so schnell wie möglich seinen Schnitt machen möchte, strukturelle Risse bekommt.
Vielleicht müssen es ja aber gar nicht unbedingt Helden sein; wir könnten auch kompetente Berater und verlässliche Dienstleister gebrauchen. Mit Conan, dem Barbaren sprechen wir weniger gerne über unsere Altersversorgung als mit Konrad, dem Sparkassenleiter. Jedenfalls benötigen wir das richtige Wissen und Wollen. Danach wollen wir also bei den privatwirtschaftlichen Finanzakteuren jetzt einmal fragen: welche Kompetenzen bauen sie auf und welche Interessen verfolgen sie?
Es versteht sich, dass bei Banken und anderen Finanzmarktakteuren ungeheure Kenntnisse über alle Markt- und Preisentwicklungen zusammenlaufen. Wessen Überleben von der richtigen Einschätzung der Situation abhängt, der wird sich bemühen, möglichst viel über sie zu erfahren. Und meist haben diese Akteure die technischen und finanziellen Mittel um sich bestmöglich zu informieren. Das ist ja beispielsweise das Geschäftsmodell von Bloomberg. 1981 gegründet, um den Informationsbedarf von Investmentbanken zu stillen (das Bloomberg Terminal, ein Datenmonitor, der über die Aktienmarktentwicklung informiert, gehört heute noch zur Standardausstattung), hat sich das Unternehmen zu einem der größten Medienkonglomerate der Welt entwickelt. Information ist ein unverzichtbarer Grundstoff für die Finanzindustrie. Jeder privatwirtschaftliche Finanzakteuer muss also Marktinformationen anhäufen. Aber ist das schon Wissen im Sinne von Einschätzungsvermögen und Bildung, im Sinne eines profunden Sich-Auskennens auch über die Rahmenbedingungen des Marktes, die politischen, juristischen, aber auch psychologischen Gesetzmäßigkeiten? Man kann das angesichts katastrophaler Fehlentscheidungen von Geldhäusern mit riesigen Research-Abteilungen bezweifeln. Oft wundern wir uns, wie dumm die Schlauen agieren. Das wäre also ein erster wichtiger Punkt: aktuelle Informationen sind manchmal gar nicht so wichtig bzw. sie benötigen Einordnung und die richtige Interpretation. Aber wir sollten auch im Blick behalten, dass wir hier von einem ungeheuer komplexen Geschehen sprechen – Milliarden von Tatsachen, unübersehbar viele Faktoren, hohe Geschwindigkeiten … Der Finanzmarkt ist kein Ponyhof.
Ein Phänomen trägt dazu bei, dass wir die Erkenntnisse der privaten Akteure wahr- und ernstnehmen sollten: das Lernen wider Willen. Die Menschen, deren Gehalt davon abhängt, ob sich ihre Institutionen über Wasser halten können, müssen in alle Richtungen schauen und sie müssen alle dunklen Ecken ausleuchten. Dass große institutionelle Anleger langsam aber sicher beginnen, von der Kohlenstoffwirtschaft Abschied zu nehmen, das hängt mit ihrer Vernetztheit und ihrer informierten Prognosefähigkeit zusammen, nicht unbedingt davon, dass ihnen die Blumen leid tun. Das Lernen wider Willen – es ist in der Privatwirtschaft manchmal verbreiteter als im öffentlichen Raum oder in der Wissenschaft. Ein Professor der Wirtschaftswissenschaften wird weiter bezahlt, auch wenn er veraltete Thesen über Marktgleichgewichte, die Wirkungen der Geldillusion oder den homo oeconomicus wiederkäut. Wirtschaftspolitiker werden nicht abgesetzt wenn sie die Entwicklung des Goldpreises nicht kennen, den Schuldenstand falsch angeben oder behaupten, man könne Mietpreise per Gesetz festlegen. Aber in der Privatwirtschaft schlagen Fehleinschätzungen unbarmherzig auf den Einschätzer zurück. Klugheit ist hier erwünscht, Kompetenz kein Standortnachteil. Die Frage ist noch, wie uns das als Bürger und Konsumenten nützt. Ich will ein Beispiel geben …
(Achtung! Im folgenden wird ein US-amerikanisches Unternehmen der Finanzbranche zurückhaltend positiv beschrieben. Das könnte bei einigen Leserinnen und Lesern Gefühle verletzten. Bitte springen Sie in diesem Fall gleich zum letzten Absatz.)
Dreimal Lob für die Fondsgesellschaft Vanguard:
- John Bogle, der Gründer von Vanguard, erfand den Indexfonds, der nicht in einzelne Aktien investiert, sondern einen ganzen Index (wie den Dax) reproduziert. Als ETF ist dieses Produkt zum großen Gewinner der letzten Jahre geworden, auch weil die Kosten für den Anleger viel niedriger sind – und es nachweislich nur in den seltensten Fällen möglichst ist, den Markt zu schlagen und über dem Index zu „performen“. Nun kann man natürlich auch Kritisches über diese Anlageprodukte sagen, aber halten wir einfach mal fest: Marktkenntnisse wurden von einem Marktakteur genutzt, um einfacher Leute Geld zu sparen, für Transparenz zu sorgen (und selbst gut zu verdienen).
- Im September 2016 publizierte Vanguard eine vielbeachtete Studie, die zu dem unangenehmen Ergebnis kommt, dass Privatanleger durchschnittlich von der langjährig durch Aktienanlagen realisierbaren Marktrendite von acht bis neun Prozent im Jahr vor Kosten durch schädliche Aktivitäten (wie Umschichtungen) circa drei Prozentpunkte pro Jahr verspielen. Sie arbeiten also gegen sich selbst. Die Studie ist nicht nur hilfreich, um sich selbst klar zu machen, dass oft weniger mehr ist („Hin und her macht Taschen leer“), sie zeigt auch auf dichter und tiefer Informationsgrundlage, warum die ruhige Hand von kompetenten Beratern helfen kann.
- Vanguard ist genossenschaftlich organisiert, selbst nicht an der Börse notiert und betreibt seine Fondsentwicklung in Eigenregie. Auch das ist ein kleines, aber feines Detail, das Geld spart. Oft geben die Fondsgesellschaften nämlich diese Geschäfte nach außen und zahlen dann (beziehungsweise lassen die Kunden bezahlen) für den Service. Hier kommen also Marktkennnisse und Kundenorientierung zusammen.
Warum diese Werbeeinblendung für eine Firma, die von sich sagt „We are not Wall Street, we serve Main Street“ – und dennoch zu den ganz Großen gehört? Weil Vanguard eine gutes Beispiel dafür ist, dass in diesem Markt für und gegen die Kunden (die Umwelt, die Moral …) gelernt werden kann. Es zeichnet die privaten Akteure aus, dass sie flexibel sein können. Beobachten wir doch, ob sie auch geistig flexibel oder nur steuerlich flexibel sind. Wenn wir verstehen, warum Lernprozesse ablaufen und welche Art Kompetenz damit aufgebaut werden soll, dann können wir auch entscheiden, ob uns die ganze Schlauheit und Informiertheit etwas nützt – oder ob wir sie nicht mit einem Quentchen altmodischer Weisheit und Menschlichkeit versetzen wollen. Und das erfordert noch nicht mal Heldenmut.
Geschrieben bei einer Tasse Tee am 27.07.2017
Teil 1: Versteht die Wissenschaft eigentlich den Finanzmarkt?
Teil 2: Verstehen die Medien eigentlich den Finanzmarkt?
Teil 3: Verstehen öffentliche Finanzinstitutionen eigentlich den Finanzmarkt?
Teil 4: Verstehen private Finanzinstitutionen eigentlich den Finanzmarkt?