Ein Gedankenspiel von Kai Jannek | 23.04.2051

Drohnen

Illustrationen: DMBO – Studio für Gestaltung

Text: Kai Jannek

23.04.2051

Liebes Tagebuch,

vor nicht einmal einer halben Stunde poppten die Wahl- und Spendenaufrufe auf all meinen Displays auf. Die komplette in der Diaspora lebende Gemeinde war adressiert worden. Es ging um die sofortige Abwahl und Absetzung des Präsidenten in unserem Heimatland. Ich selbst beteiligte mich nicht, aber anscheinend haben sich genug Spender gefunden. Vor vielleicht zwei Minuten zeigten die Nachrichten die Live-Bilder seiner Demission. Er hatte gerade die Kapsel seiner gepanzerten Limousine geöffnet, um ein Restaurant zu betreten, als ein dunkler Schwarm, ich vermute Mikrodrohnen, mit hoher Geschwindigkeit in seine Augen flog. Die Bilder waren schrecklich und ich muss die Erinnerungen dringend überschreiben. Landik ist nicht der erste Regierungschef, der von autonomen Killerdrohnen niedergestreckt wurde. Finanziert via Crowdfunding in einer anonymen Kryptowährung. Ausgeführt von dezentralen autonomen Organisationen, die ihre Dienste auf 12Chan im Darknet anbieten. Dort gibt es einen sehr differenzierten Automated Assassination Market. Anhänger können natürlich auch für den Schutz der jeweiligen Zielperson spenden. Man könnte also fast von Demokratie sprechen. Im Fall von Landik, ich habe mir die Zahlen gerade angeschaut, war die Unterstützung allerdings gering.

Drohnen im FadenkreuzDabei, muss man sagen, ist es heute keine große Kunst, gute Politik zu betreiben. Jede Regierung hat heute die Möglichkeit, mit einigermaßen vernünftigen Algorithmen die Stimmungslage und Bedürftigkeiten in der Bevölkerung zu tracken, mit einer generischen AI effektive politische Programme zu entwickeln und diese in einer hochauflösenden Simulation zu bewerten. Und wenn der politische Handlungsspielraum begrenzt ist, die Zielkonflikte zu groß oder die Regierungsvorhaben aus anderen Gründen einfach nicht mit den Vorstellungen der Bevölkerung konform gehen, dann gibt es ein ganzes Arsenal an Möglichkeiten, um die Stimmungslage der Wähler zu steuern. Landiks Partei hätte mit Social Bots in großem Stil die öffentliche Debatte lenken können. Sie hätte Video-Fakes produzieren können, die Landik mit besorgten Bürgern zeigt. Das kommt doch immer gut an. Sie hätte medizinische Operationen und Modifikationen in Lotterien verlosen können. Und Foto-Fakes von den Gewinnern verbreiten können. Landiks Regierung aber hat an den falschen Stellen gespart. Ich will damit sagen: So ein hässliches Hinrichtungsszenario kann man auch provozieren.

Kai Jannek
In der Rubrik GEDANKENSPIELE wirft Kai Jannek, Director Foresight Consulting bei Z_punkt, einen Blick in die Zukunft. Viel Spaß beim Wundern, Staunen und Lachen.

Ganz anders zum Beispiel unser neuer Bürgermeister hier vor Ort. Er lässt gerade in großem Stil eine Clean-Air-Infrastruktur aufbauen. An jeder Straßenkreuzung sollen Feinstaubfresser installiert werden, das sind diese Staubsauger-ähnlichen Filteranlagen, die die Nano- und Mikropartikel in der Luft binden. Gestern liefen noch die Bilder in meinem Newsstream, wie der Bürgermeister die ersten Anlagen einweihte. Und der Fake Detector in meinen Kontaktlinsen bestätigte, dass die Bilder mit mehr als neunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit echt waren. Wir kriegen also saubere Luft in der Stadt. Zusätzlich sollen übrigens ultraleichte Filteranlagen an Drohnen befestigt autonom durch die Stadt fliegen und an temporären Feinstaub-Hotspots ihr Werk verrichten.

Wenn also künftig eine Drohne auf mich zufliegt, weiß ich nicht, ob sie es auf mein Auge abgesehen hat oder ob sie nur den Feinstaub vor meiner Nase wegfiltern will. Tendenziell rechne ich aber eher mit sauberer Luft. Wir sind ja hier nicht in Europa, oder? Ich melde mich die Tage wieder. Versprochen!

Dieser Beitrag aus der Rubrik GEDANKENSPIELE beschäftigt sich mit Fakes und Demokratie im Jahr 2051. Er ist im Rahmen der Ausagbe 04/2019 DEMOKRATIE UND WIRTSCHAFT erschienen.