Handel wandeln | Interview mit Fabian Stuhlinger & Johanna Nocke

LadenlokalFoto: Wandel.Handel

 

Handel wandeln

Wie können wir eine sozial-ökologische Veränderung leben und erlebbar machen? Der Gründer Fabian Stuhlinger und die Gründerin Johanna Nocke haben diese Frage für sich mit einem dreiteiligen Konzept beantwortet: Die Kombination aus einem (Mitglieder-)Laden, einem Café (à la „bezahle, was du möchtest“) und einer Bildungsplattform soll zusammen Wandel.Handel ergeben – „ein Ort, an dem man vom Denken ins Handeln kommen kann, ein Ort, der einen nachhaltigen Lebensstil für jede*n unkompliziert zugänglich macht, ein Ort des Austauschs“.

Mehr dazu unter www.wandel-handel.de

 

NACHGEFRAGT BEI FABIAN STUHLINGER UND JOHANNA NOCKE:

Warum braucht es einen Wandel im Handel? Warum kann ein herkömmlicher Supermarkt nicht eine solche Alternative darstellen?

Aus steigender Undurchschaubarkeit des Ernährungssystems in Verbindung mit anonymisierten Produktions- und Lieferketten erwächst ein Bedürfnis nach Transparenz, Fairness, Regionalität und eigener Kontrolle. Momentan werden Entscheidungen, die beeinflussen, wie Menschen Lebensmittel produzieren, in Umlauf bringen und konsumieren, als Ausdruck von höheren nationalen oder globalen Entscheidungen verstanden. Anstatt auf die eine große, globale Lösung zu warten, wollen wir beginnen, nach praktischen Lösungen zu suchen und sie in die Tat umzusetzen. Wir wollen nicht erzählen, was alles möglich wäre, sondern gezielt dabei helfen, Mögliches auch umzusetzen. Denn Nachhaltigkeit beginnt vor Ort – dort wo die Menschen leben, wohnen und arbeiten.

Über die Verbindung aus Laden (als alltägliche Praxis), Café (als Ort der Begegnung) und Bildungsplattform (als theoretischer Hintergrund) wollen wir das Denken mit dem Handeln verknüpfen, um gemeinsam zu erleben und auszuprobieren, wie sich gemeinwohlorientiertes Wirtschaften und zukunftsfähige Umgangsformen anfühlen, und damit eine lebendige Nachbarschaft – jenseits von profit- und konsumorientierten Angeboten – für Mitglieder wie auch Nicht-Mitglieder schaffen.

 

Sie wollen „die Eigengeschichte der Produkte“ wieder aufzeigen, „sodass wir Verantwortung für unser Handeln übernehmen können“. Warum liegen Wissen und Handeln oft so weit auseinander? Was ist nötig, um Verhaltensänderungen anzustoßen?

Wir müssen unsere Gewohnheiten, Glaubenssätze, Handlungs- und Verhaltensweisen neu ausrichten sowie die Verbundenheit mit der Natur und unsere Emotionen als Richtwerte wiederentdecken. Der Wandel.Handel soll eine Anlaufstelle sein, an der sich (an diesem Thema interessierte) Menschen und Initiativen begegnen können, um gemeinsam neue Wege zu entdecken. Wir wollen durch gemeinsames Lernen und Erfahren unbewussten Routinen und Wahrnehmungsmustern auf die Spur kommen, damit die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt nachvollziehbar werden. Indem Menschen die Möglichkeit bekommen, gemeinsam die Ergebnisse ihres Handelns unmittelbar zu erleben, wird der Gemeinschaftsgedanke sowie ihre Motivation gestärkt, etwas zu verändern.

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Was muss geschehen, um den Wandel im Handel zu beschleunigen? Braucht es mehr horizontale Zusammenarbeit (mit anderen Händler*innen, Hersteller*innen, Lieferant*innen)? Oder braucht es verstärkte Förderung von öffentlicher Seite?

Uns ist wichtig, mit welchen Großhändlern und Produzent*innen wir Handel betreiben. Bei der Auswahl der Produkte für unser Sortiment haben wir uns nicht nur die Firma und ihren Standort angeschaut, sondern auch die Lieferkette eines Produkts. Dieser eine Schritt weiter ins Detail ist leider sehr ernüchternd. Wir wollen unsere Verantwortung nicht an der Türklinke abgeben, sondern sichtbar machen, welche Ideen man mit einem Kauf unterstützt. Wir beziehen soviel wie möglich direkt von Produzent*innen und wollen Möglichkeiten erörtern, wie solidarischer Handel auch zwischen Laden und Produzent*in ablaufen könnte. Wir haben den Anspruch, dass die Dinge in Bio-Qualität hergestellt werden, und wollen Betriebe und Unternehmen unterstützen, die sich auf die Suche nach zukunftsfähigen Wirtschaftsweisen machen.

Als Lebensorte der Menschen nehmen auch Kommunen in Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung eine wichtige Rolle ein. Kommunen müssen widerstandsfähig und belastbar gegenüber ökonomischen, ökologischen oder sozialen Herausforderungen und Krisen sein. Nachhaltige Entwicklung vor Ort besteht darin, die Kommunalverwaltung und -politik zu einem wirkungs- und beteiligungsorientierten Vorgehen zu machen sowie Bürgerinnen und Bürger, die Zivilgesellschaft und die Wirtschaft zu einem aktiven Engagement zu befähigen.

 

Wie wollen Sie Menschen erreichen, die sich noch nicht intensiver mit einem nachhaltigen Konsum- und Lebensstil beschäftigt haben?

Es ist eigentlich immer der „Fair-Teiler“ von foodsharing e. V., der jene, die das Unverpackt-Konzept nicht interessiert, aufhorchen lässt. Gemüse geschenkt?! Wer will das nicht?! So kann jeder, der bei uns reinspaziert, auf jeden Fall mit irgendwas in der Hand wieder rausgehen.

Wir bauen in der Umsetzung des gesamten Projekts auf Solidarität. Ob beim reduzierten Mitgliedsbeitrag oder dem Getränk, für das man soviel zahlt, wie man kann oder möchte … beide Ansätze funktionieren nach dem Prinzip, dass die, denen es nicht wehtut, denen, die nicht anders können, grundlegend wichtige Dinge ermöglichen und damit Ungerechtigkeiten in unserem System auf kleinster Ebene ausgleichen. Wir bieten auch die Möglichkeit an, eine Jahresmitgliedschaft für eine bedürftige Person zu spenden, ganz nach dem Vorbild des Caffè sospeso in Neapel. So konnten wir schon zehn gratis Jahresmitgliedschaften und gut 60 Einkaufsgutscheine verteilen! Um dieses Prinzip weiterhin pflegen und ausbauen zu können, wollen wir einen „Crowdhörnchen-Topf“ einrichten, über den immer wieder weitere Jahresmitgliedschaften für Bedürftige gemeinschaftlich zusammengespart werden.

Wir richten uns erstmal an die, die kommen, die an nachhaltigen Handlungsweisen interessiert sind. Wenn wir es schaffen, den Wandel mit etwas mehr Leichtigkeit und Freude zu füllen, folgen ihnen sicherlich auch bald andere.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dieser Beitrag ist zuerst in agora42 4/2021 KAPITAL in der Rubrik LAND IN SICHT erschienen.

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