Was nutzt Corporate Social Responsibility? | Lia Polotzek

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Was nutzt Corporate Social Responsibility?

Text: Lia Polotzek

Glaubt man den CSR-Berichten vieler Unternehmen, scheinen sie ihre moralische Verantwortung der Gesellschaft gegenüber vorbildlich wahrzunehmen: Sie messen den CO2-Ausstoß, überprüfen die Arbeitsbedingungen in ihren weit entfernten Produktionsstätten und schütten Spenden an lokale Vereine aus. Und das alles über gesetzliche Vorgaben hinaus. Nutzen CSR-Aktivitäten also letztlich allen? Oder trifft die Kritik zu, sie würden dazu dienen, unverantwortliches unternehmerisches Handeln geschickt zu verschleiern? Ist die wachsende Bedeutung des CSR-Ansatzes womöglich ein Symptom dafür, dass es Gesellschaft und Politik versäumt haben, klare Regeln für Unternehmen festzulegen?

Unternehmen sind keine Menschen. Sie haben weder Bewusstsein noch Wünsche oder Ansichten über die Welt. Bereits die Frage, ob man das, was sie tun als „Handlung“ bezeichnen kann, ist philosophisch umstritten, da Unternehmen keinerlei Absichten im menschlichen Sinn besitzen, an welchen sie ihr vermeintliches Handeln ausrichten könnten. Will man das „Handeln“ von Unternehmen dann noch einer moralischen Bewertung unterziehen und ihnen eine moralische Verantwortung zuschreiben, begibt man sich schnell auf philosophisches Glatteis.

Es gibt jedoch gute Gründe, Unternehmen trotzdem die Fähigkeit zuzugestehen, moralische Verantwortung tragen zu können. Denn Unternehmen erfüllen wie Menschen elementare Bedingungen der Verantwortungsfähigkeit. Sie weisen eine innere Entscheidungsstruktur auf, können auf gesellschaftliche Forderungen, bestimmte Werte einzuhalten, reagieren und dieses Engagement sogar kommunizieren. Man denke zum Beispiel an die Bemühungen von Unternehmen wie Nike, die Kinderarbeit in ihren Zulieferbetrieben abzuschaffen, nachdem die Zustände in den sogenannten Sweatshops öffentlich angeprangert wurden.

Wem nutzen CSR-Aktivitäten?

Für Unternehmer ist klar: CSR-Maßnahmen sollten dazu dienen, den Nutzen beziehungsweise Profit ihres Unternehmens zu steigern. Die Managementliteratur spricht vom „Business Case for CSR“. Besonders im Bereich des Reputations- und Risikomanagements, zur Steigerung der Energie- und Materialeffizienz sowie der Kunden- und Mitarbeiterbindung sollte CSR nach dieser Sichtweise strategisch genutzt werden. Als positiver Nebeneffekt entsteht dann automatisch ein Nutzen für die breitere Gesellschaft.

Dieses Verständnis von CSR löst häufig Kritik aus. Der Tenor: Unternehmen würden, selbst wenn sie mit ihren Maßnahmen auch gesellschaftlichen Nutzen schaffen, aus einer falschen Absicht heraus agieren. Ihr wahres Motiv sei die Profitmaximierung und CSR eine willkommene Möglichkeit, über die Schäden hinwegzutäuschen, die aufgrund ihres Profitstrebens verursacht werden. Diese Kritik suggeriert jedoch, Unternehmen besäßen eine menschliche Intentionalität, an welcher man Anstoß nehmen könnte. Es wird implizit unterstellt, man könnte Unternehmenshandeln mit den Kategorien einer deontologischen Ethik bewerten. Da Unternehmen jedoch gesellschaftliche Konstrukte sind und weder Willen, noch Absicht oder Gewissen im menschlichen Sinne besitzen, müssen diese moralischen Kategorien versagen.

Folglich bietet es sich zur moralischen Bewertung von Unternehmenshandeln an, aus dem weiten Feld ethischer Theorien den Konsequentialismus heranzuziehen, der in seiner allgemeinen Form ausschließlich die Folgen von Handlungen in den Blick nimmt, ohne auf die Eigenschaften des moralischen Subjekts zurückzugreifen. Auf diese Weise kann auf ungeeignete Kategorien wie Absicht, Wille und Bewusstsein verzichtet werden. Eine Unternehmenshandlung wäre dann moralisch ausschließlich danach zu beurteilen, welchen Nutzen oder welche Schäden sie zur Folge hat.

Sind derzeitige CSR-Aktivitäten also purer Eigennutz der Unternehmen und ohne Gewinn für die Gesellschaft? In der Praxis lässt sich der Zusammenhang zwischen CSR-Engagement und finanziellem Nutzen für Unternehmen nicht eindeutig nachweisen. Bereits seit den 90er-Jahren gibt es Studien zur wirtschaftlichen Relevanz von CSR, diese kommen allerdings selten zu einheitlichen Ergebnissen. Das mag sowohl an der Vielfältigkeit von CSR- Aktivitäten liegen als auch an den verschiedenen Branchen und Stufen in der Wertschöpfungskette, zu denen die jeweiligen Unternehmen gehören. Durch Maßnahmen im Umweltbereich – beispielsweise die Reduktion des Energieverbrauchs und anderer Ressourcen – wird in der Regel direkt bares Geld eingespart. Ist ein Unternehmen im Endkundengeschäft tätig und besitzt einen Kundenstamm, der bereit ist, mehr für ein Produkt zu zahlen, werden sich Ausgaben für CSR-Aktivitäten eher finanziell lohnen als beim dritten Vorzulieferer eines Schraubenherstellers. Auch die Branchenzugehörigkeit spielt eine Rolle. So ist es in der Bekleidungsindustrie, die sehr viel mediale Aufmerksamkeit erfahren hat, für das Risikomanagement weitaus wichtiger, CSR-Maßnahmen durchzuführen, als beispielsweise in der Baustoffbranche.

Hinsichtlich des gesellschaftlichen Nutzens lässt sich feststellen, dass es in den seltensten Fällen CSR-Maßnahmen gibt, die direkten Schaden für die Gesellschaft anrichten – sieht man von einigen gut gemeinten, aber schlecht durchgeführten Corporate-Volunteering-Aktionen ab, bei denen beispielsweise unerfahrene Unternehmensmitarbeiter*innen Schulen und Kindergärten so dilettantisch gestrichen haben, dass die Makel professionell behoben werden mussten.

Bezüglich der direkten Auswirkungen von CSR-Maßnahmen ist also davon aus- zugehen, dass diese positive Effekte auf die Gesellschaft haben. In dieser Hinsicht trifft die Kritik an CSR-Aktivitäten also genauso wenig zu wie im Fall jener Kritik, die versucht, Unternehmen falsche Absichten zu unterstellen. Viel eher muss bei einer Kritik des Nutzens von CSR für die Gesellschaft auf die indirekten Folgen Bezug genommen werden, welche die wachsende Bedeutung des CSR-Managements in den letzten Jahren mit sich gebracht haben.

CSR
Corporate Social Responsibility (wörtlich: unternehmerische Gesellschaftsverantwortung) hat sich in Unternehmen, Verbänden, Politik und Interessensgruppen als Fachbegriff für diejenigen Aktivitäten etabliert, die Unternehmen durchführen, um ihrer sozialen und ökologischen Verantwortung der Gesellschaft gegenüber gerecht zu werden. Allerdings gibt es bislang noch keine einheitliche Definition, worin diese Verantwortung genau besteht. Insofern lässt sich auch kaum beurteilen, in welchem Maß ein Unternehmen seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht wird.
DEONTOLOGISCHE ETHIK
(von gr. deon = das Erforderliche; die Pflicht) Gemäß der deontologischen Ethik bemisst sich eine Handlung ausschließlich danach, ob sich der Handelnde aus einer moralischen Verpflichtung heraus zu ihr entschieden hat. Welche konkreten Folgen die Handlung hat, das heißt, ob sie nutzt oder schadet, spielt dieser Ethik zufolge keine Rolle.
KONSEQUENTIALISMUS
In einer konsequentialistischen Ethik wird der Wert einer Handlung anhand ihrer Konsequenzen bestimmt. Mit anderen Worten: Sind die Folgen einer Handlung moralisch wünschenswert, so gilt dies auch für die Handlung selbst.

Alles nur freiwillig?

Auffällig ist, dass in Wirtschaftskreisen darüber Einigkeit besteht, dass CSR-Aktivitäten freiwillig erfolgen müssen. Es scheint selbstverständlich, dass diese Aktivitäten nicht vorgeschrieben werden dürfen, sondern freiwillig über bestehende Gesetze hinausgehen sollten. Diese Position wird vor allem von den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft sowie ihren Dachverbänden auf EU-Ebene vorgetragen. Der Ansicht, CSR müsse freiwillig sein, liegen jedoch zwei falsche Annahmen zugrunde. Zum einen wird vorausgesetzt, dass Unternehmen keinerlei gesellschaftliche Schäden verursachen, wenn sie sich an die gesetzlichen Vorgaben halten. Damit wird die Profitmaximierung als solche nicht weiter hinterfragt und grundsätzlich als legitim und quasi wertneutral angesehen. Doch der Drang, immer mehr Gewinn zu erwirtschaften, führt zwangsweise zu schädlichen Auswirkungen von Unternehmen auf Gesellschaft und Umwelt, wenn es keine Regelungen gibt, die dies verhindern. Das trifft besonders in Zeiten zunehmender Globalisierung zu, in denen es Unternehmen, ihren Tochterunternehmen und Zulieferern möglich ist, weniger strenge gesetzliche Vorgaben in Schwellen- und Entwicklungsländern auszunutzen.

Eine zweite unzutreffende Annahme des vorherrschenden CSR-Verständnisses ist, dass Unternehmen bereits ihren gesellschaftlichen Zweck der Wohlstandsmehrung erfüllen, wenn sie Profite erwirtschaften. Am prominentesten wurde diese These vom amerikanischen Ökonomen Milton Friedman 1970 in einem Artikel in der New York Times vertreten. Auch die Behauptung des deutschen Ökonomen Horst Albach, eine Beschäftigung mit Unternehmensethik sei überflüssig, da die Betriebswirtschaftslehre bereits Unternehmensethik sei, unterstreicht ein solches Verständnis. Zweifelsohne tragen Unternehmen viel zum allgemeinen Wohlstand bei und schaffen insofern großen gesellschaftlichen Nutzen. Der obigen Annahme liegt jedoch das Missverständnis zugrunde, Handlungen, die monetären Wohlstand schaffen – wobei die Frage der Verteilung des Wohlstands noch vollkommen unberücksichtigt bleibt – könnten Schäden wiedergutmachen, die in anderen Bereichen entstanden sind. So kann beispielsweise ein Unternehmen weder durch die Produktion besonders gemütlicher Stühle noch über Unternehmensspenden an Kinderheime die Schäden ausgleichen, die es dadurch anrichtet, dass besagte Stühle in Indien von Minderjährigen unter menschenunwürdigen Bedingungen gefertigt werden. Klar ist: Freiwillig führen Unternehmen vor allem diejenigen Aktivitäten durch, die ihren eigenen Nutzen erhöhen. Da dieser nicht deckungsgleich mit dem gesellschaftlichen Nutzen ist, muss ein Perspektivenwechsel in der CSR-Debatte stattfinden: Unabhängig von bestehenden Gesetzen muss der Fokus der Betrachtung auf den Nutzen und die Schäden und somit auf die tatsächlichen Auswirkungen des Unternehmenshandelns insgesamt gelegt werden.

Die Umsetzung von gesellschaftlicher Unternehmensverantwortung nach diesem Verständnis kann und muss die Profite eines Unternehmens durchaus auch schmälern. Würde die moralische Verantwortung von Unternehmen gesetzlich und somit sanktionsfähig festgelegt, beträfe dies vor allem diejenigen Unternehmen, die noch keinen finanziellen Anreiz hatten, CSR-Maßnahmen zu betreiben. Häufig handelt es sich dabei um Unternehmen, durch deren Aktivitäten besonders schwerwiegende gesellschaftliche Schäden entstehen. So sollte eine Regulierung auch im Interesse derjenigen Unternehmen sein, die schon heute verantwortlich handeln.

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Über Unternehmen hinaus

Die Durchführung von CSR-Maßnahmen und die Forderung, diese müssten freiwillig bleiben, werden von Unternehmen und Verbänden häufig für ihre Lobby- Aktivitäten gegen staatliche Regulierungsmaßnahmen verwendet, die den gesellschaftlichen Nutzen erhöhen würden. CSR kann insofern als ein Werkzeug der Unternehmen angesehen werden, mit dem diese eine Debatte über die tatsächlichen Auswirkungen von Unternehmenshandeln abwehren und die Politik von einer sinnvollen Regulierung abhalten. Vor allem in dieser Hinsicht trägt CSR dazu bei, gesamtgesellschaftlichen Nutzen indirekt zu minimieren. Denn so werden Gesetze wie beispielsweise eine von der Europäischen Union initiierte Richtlinie für Unternehmen, über ihre sozialen und ökologischen Auswirkungen zu berichten, verwässert beziehungsweise ganz verhindert.

Ein weiteres, befremdliches Indiz hierfür ist die Stellungnahme der Bundesregierung vom November 2011 zur veränderten CSR-Definition der EU. Diese hatte die alte Definition von CSR als „freiwilliges Instrument“ geändert in „die Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft“ – eine Definition, die relativ unkontrovers an das allgemeine philosophische Verständnis einer konsequentialistischen Ethik anknüpft. Daraufhin verkündete die Bundesregierung in einer Stellungnahme, es solle unbedingt „an einem CSR-Verständnis als freiwillige, über gesetzliche Vorgaben hinausgehende, Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung (…) festgehalten werden“. Eine Stellungnahme im ähnlichen Wortlaut wurde zeitgleich auch von den vier Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft veröffentlicht.

Andererseits kann CSR auch als ein Symptom von Politikversagen angesehen werden. So versuchen Unternehmen, mittels CSR-Maßnahmen bestimmte gesellschaftliche Ansprüche zu erfüllen, da andernfalls ihre gesellschaftliche Akzeptanz bedroht würde. Aufgrund unzureichender Vorgaben des Staates sowie der notwendigerweise eingeschränkten Perspektive der Unternehmen kommt es dabei jedoch leicht zu Widersprüchen, Überforderung und Aktionismus.

Summa summarum: Obwohl es gut und richtig ist, dass Unternehmen durch den CSR-Gedanken dazu angehalten werden, den gesellschaftlichen Nutzen ihres Handelns häufiger in den Blick zu nehmen, sollte eine gesellschaftliche Debatte darüber, welche moralische Verantwortung Unternehmen besitzen, nicht mehr unter der Begrifflichkeit CSR geführt werden. Denn CSR wird im Moment in Deutschland als stellvertretend für diejenigen Maßnahmen angesehen, die Unternehmen sich selbst auferlegen. Was gesellschaftlich wünschenswert ist, kann jedoch nur im Rahmen demokratischer Willensbildung festgelegt und darf nicht an Unternehmen ausgelagert werden. Gerade in Zeiten von zunehmender Globalisierung sollte es eine neue gesellschaftliche Debatte darüber geben, welche moralischen Erwartungen wir an Unternehmen richten. Die Ergebnisse dieser Debatte sollten dann gesetzlich festgelegt werden. Ansonsten würden wir zulassen, dass rein wirtschaftliche Interessen, die weit entfernt davon sind, mit gesamtgesellschaftlichem Nutzen übereinzustimmen, verhindern, dass sich unsere Gesetze anhand der vorherrschenden Gerechtigkeitsvorstellungen weiterentwickeln. So würden wir riskieren, dass Unternehmenshandeln in Zukunft weit mehr Schaden als Nutzen verursacht. ■

Dieser Text ist in unserer Ausgabe 4/2015 zum Thema NUTZEN erschienen.
Lia Polotzek
Lia Polotzek ist Referentin für Wirtschaft und Finanzen beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und Teil des I.L.A.-Kollektivs. Sie setzt sich für eine sozial-ökologische Transformation unseres Wirtschaftssystems ein und schreibt als Redakteurin regelmäßig für agora42.
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Siehe auch: