Arbeit als Schlüssel der Transformation | Sarah Mewes

GartenarbeitFoto: Annie Spratt | Unsplash

 

Arbeit als Schlüssel der Transformation der Wirtschaft

Rezension des Buches Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft

Text: Sarah Mewes | Gastbeitrag

Gesellschaften überall auf der Welt suchen nach einem Weg einen nachhaltigen Wandel einzuleiten. VertreterInnen der Postwachstumsökonomie, wie die HerausgeberInnen des Buches Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft (Metropolis Verlag, 2019) Angelika Zahrnt und Irmi Seidl, nehmen die Problematik des Wirtschaftswachstums zum Ausgangspunkt ihrer Nachhaltigkeitsüberlegungen. Endloses Wachstum auf einem endlichen Planeten ist nicht möglich. Klingt einleuchtend. Aber gilt das auch im Sozialen? Welche Auswirkungen hat eine nachhaltige Abkehr vom Wachstumsdruck auf die Welt der Arbeit?

Warum braucht Postwachstum eine Transformation der Arbeit?

Das Buch zeigt wie eng der Teufelskreis des Wirtschaftswachstums mit unserem alltäglichen Tun – den verschiedenen Formen des Tätigseins – verknüpft ist. Anhand von vierzehn Beiträgen wird erläutert, warum Tätigsein in Form von Erwerbsarbeit heute ein zentraler Treiber von Wirtschaftswachstum ist und welche Alternativen denkbar sind.

Der Begriff „Tätigsein“ ist dabei bewusst gewählt und verweist darauf, dass Arbeit weit mehr ist, als das, was wir in unserer Gesellschaft darunter fassen. Im Mittelpunkt der Kritik steht dabei unser modernes Arbeitsverständnis, dass Arbeit auf Erwerbsarbeit reduziert.

Der Teufelskreis von Wachstum und Erwerbsarbeit entfaltet sich, weil Arbeit gegenüber dem Einsatz und Verbrauch von natürlichen Ressourcen sowie dem Einsatz von Technik immer teurer wird. Während natürliche Ressourcen durch den technologischen Fortschritt immer günstiger zu haben sind, steigt der Preis der Arbeit mit dem Wohlstand. Mit den Arbeitskosten werden wichtige Errungenschaften, wie der Sozialstaat, finanziert. Das führt aber gleichzeitig dazu, dass Arbeit im Wettbewerb, mit den Ressourcen und der Technik nicht gut abschneidet. Dies steigert den Rationalisierungsdruck. Rationalisierung führt zum Verlust von Arbeitsplätzen. Um für die freigewordene Arbeitskraft neue Arbeitsplätze zu schaffen braucht es neues Wachstum. Produktion und Konsum müssen stets steigen, damit Menschen beschäftigt bleiben. Dieses System führt dazu, dass sowohl Primär- als auch Sekundäreinkommen – Arbeitseinkommen und Einkommen über soziale Sicherungssysteme – zutiefst vom Wachstum abhängig werden.

Die zugrunde liegende Annahme des Buches ist, dass Gesellschaften wachstumsunabhängig werden müssen, um eine umfassende Nachhaltigkeitstransformation zu ermöglichen. Bezogen auf das Tätigsein ergeben sich hier zwei Ziele: 1. die Bedeutung der Erwerbsarbeit als Basis für Sozialsysteme, gesellschaftliche Anerkennung und Integration verringern und 2. ein neues, umfassenderes Verständnis von Tätigsein entwickeln, dass neben Erwerbsarbeit auch Eigen-, Freiwilligen-, Care-, Gemeinschaftsarbeit und andere Arbeitsformen einschließt.

Wo muss die Transformation des Tätigseins ansetzen?

Das Buch ist in vier Teile gegliedert. Der erste Teil widmet sich den grundlegenden Verständnissen von Arbeit in ihrer historischen Entwicklung, den Werten des Arbeitens und den Wegen, diese neu zu bewerten. Dabei wird klar, dass das enge Arbeitsverständnis von Arbeit als Erwerbsarbeit bei gleichzeitiger Abwertung häuslicher Arbeit ein historisch junges Produkt der industriellen Neuzeit ist.

Im zweiten Teil des Buches wird der Blick auf unterschiedliche Akteure und ihren möglichen Beitrag für ein zukunftstaugliches Tätigsein geworfen: Konsument*innen, Unternehmen, Gewerkschaften und Menschen, die auf ein frei-gemeinnütziges Tätigsein setzen. Letzteres, wie auch neue Formen des Konsums, in denen sich Konsument*innen- und Produzent*innenrollen vermischen, haben das Potenzial, soziale Teilhabe jenseits von Erwerbsarbeit zu ermöglichen. Tätigsein und Konsum bekommen hier eine aktive Komponente jenseits von Bedürfnisbefriedigung. Um dies zu ermöglichen, brauchen Menschen jedoch zeitliche Freiräume. Hier kommen klassische Unternehmen ins Spiel. Arbeitgeber*innen können über die Gestaltung von Arbeitszeitregimen und Arbeitsorganisation Spielraum für diese neuen Formen sozialer Integration schaffen. Dabei ist Arbeitszeitverkürzung ein zentrales Element. Sie hat großes Nachhaltigkeitspotenzial, weil kürzere Erwerbsarbeitszeiten Erwerbstätigen mehr Zeit für suffiziente (genügsame) und subsistente (auf Selbstversorgung orientierte) Konsumweisen verschafft, wie dem eigenen Anbau von Gemüse oder auch der Reparatur kaputter Geräte. Ökologisch orientierte Gewerkschaften sollten deshalb den Autor*innen zufolge statt auf Lohnerhöhung auf Arbeitszeitverkürzung setzen. Auf diese Weise wird der wirtschaftliche Produktivitätsfortschritt nicht in mehr Wachstum und damit mehr Umweltverbrauch gelenkt, sondern in mehr Freizeit.

Der dritte Teil des Buches beleuchtet zentrale Wirtschaftsbereiche, in die das neue Tätigsein Einzug halten sollte: die formelle und informelle Sorgearbeit; den Ökolandbau und die Agrarkultur sowie die Digitalisierung. Dabei wird hervorgehoben, dass Sorgearbeit am und mit Menschen, deren Produktivität sich nicht beliebig steigern lässt, in Zukunft zu den Kernbereichen menschlichen Tätigseins zählen wird. Gleichzeitig müssen auch in der Landwirtschaft wieder mehr Menschen arbeiten, wenn diese zukünftig ökologisch und sozial wirtschaften will. Auch Digitalisierung kann mit erweiterter Arbeit vereinbar sein und sogar deren Umsetzung erleichtern, wenn sie bewusst sozial und frei zugänglich gestaltet wird. Wie auch die beiden anderen Bereiche birgt sie aber auch immer das Potenzial, in die andere Richtung zu wirken und den gesellschaftlichen Wachstumsdruck eher zu verschärfen.

Abschließend wird im vierten und letzten Teil des Buches der optimale sozioökonomische Rahmen betrachtet, dessen ein wachstumsunabhängiges Tätigsein bedürfe: Das System der Sozialen Sicherung ist hierbei Thema sowie das staatliche Abgabensystem. Indem beide zentral auf den Beiträgen von Erwerbsarbeit fußen, ermöglichen sie einen solchen Rahmen nicht. Deshalb muss die Finanzierungsstruktur neu geregelt werden, indem Erwerbsarbeit steuerlich weniger belastet wird, dafür aber mehr Umweltsteuern sowie Abgaben auf Vermögen und hohe Einkommen erhoben werden.

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Grundlegendere Verteilungs- und Machtfragen stellen

Was leistet das Buch? Was fehlt? Das Buch zeigt auf, wie eng unser Tätigsein mit dem unendlichen Wachstumsstreben verbunden ist und weist auf die Vielfalt von Dimensionen hin, die betrachtet werden müssen, um Arbeit wachstumsunabhängig zu gestalten und einen neuen Begriff des Tätigseins zu schaffen: angefangen bei grundlegenden Werten der Erwerbsarbeitsgesellschaft, bis hin zu sozioökonomischen Rahmenbedingungen, wie dem Abgabensystems. Damit verweist es auf einen vielfach übersehenen Zusammenhang: Das letztendlich auch die Gestaltung unseres sozialen Miteinanders und Tätigseins ein zentraler Baustein auf dem Weg in eine wachstumsunabhängige, nachhaltige Gesellschaft ist. An manchen Stellen kommt dabei die Ausführung des Zusammenhangs zwischen Arbeit und Wachstum in dem jeweiligen Kontext etwas zu kurz. Es fehlen auch konkrete Zahlen, wie sich bestimmte Tätigkeiten in Wachstum übersetzen. Zudem bleibt immer wieder verschwommen, welches Potenzial für Wachstumsunabhängigkeit und ökologische Nachhaltigkeit wirklich hinter den einzelnen Maßnahmen zu finden ist.

Das Buch zeichnet sich ferner dadurch aus, dass erstmals der sozioökonomische Kontext, Soziale Sicherung und Abgaben als wichtige Elemente des Wachstumsdrucks der auf der Erwerbsarbeit lastet, in den Blick geraten. Dabei greifen die vorgeschlagenen Maßnahmenkataloge jedoch nicht weit genug, um sich wirklich aus der Wachstumsabhängigkeit zu befreien. Obwohl grundlegende Neuerungen vorgeschlagen werden, geschieht die grundlegende Finanzierung Sozialer Sicherung weiterhin auf Basis von Lohneinkommen und bleibt somit an Erwerbsarbeit gebunden. Eine wirkliche Transformation des Erwerbsarbeitskonzeptes auf einer systemischen Ebene wird nicht umhin kommen noch viel grundlegendere Verteilungs- und Machtfragen zu stellen, als sie hier thematisiert sind.

Zu guter Letzt liefert das Buch viele Ansätze, wie man bereits im bestehenden System tatkräftig andere Wege einschlagen kann. Das ist seine Stärke, sowie seine Schwäche. Es bleibt unklar, wie die einzelnen Elemente zusammenspielen. Wie könnte eine Transformation konkret aussehen? Wo müssen wir anfangen? Bei Maßnahmen der betrieblichen Arbeitszeitverkürzung oder neuen Weichenstellungen im Sozialen Sicherungssystem? Das Buch kann hier nur Fragmente liefern, die nicht immer zusammenpassen.

Auch wenn viele Themen nur angerissen werden, ist das Gesamtwerk dennoch ein guter Anfang, um den oft ausgeblendeten Aspekt sozialer Nachhaltigkeit mit ins Boot zu holen und davon ausgehend tiefer zu erkunden. Es ist nicht nur spannend zu lesen für Wissenschaftler*innen, die hier neue Forschungsstränge der Nachhaltigkeitsforschung auftun können: auch für Praktiker*innen kann es durch seine konkreten Impulse als Inspirationsquelle dienen. ■

Sarah Mewes
Sarah Mewes lebt und arbeitet als kritische Ökonomin aus dem Impuls, sozial-ökologisch zukunftsweisende Wirtschaftsformen mit kreativen Ansätzen und neuen sozialen Organisationsweisen zu verbinden, um sie dauerhaft in der Gesellschaft zu verankern. Sie ist Gründungsmitglied des ZOE. Instituts für zukunftsfähige Ökonomien und des NELA. Next Economy Lab, wo sie aktuell auch tätig ist.

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