Foto: Saad Salim | Unsplash
Neben einer Flugscham ist eine Bauscham angebracht
Interview mit Daniel Fuhrhop
Herr Fuhrhop, soeben ist die Neuauflage von „Verbietet das Bauen!“ erschienen. Warum wollen Sie uns das Bauen verbieten?
Zunächst einmal ist Neubau immer teuer: Bei Baugebieten kosten allein Planung und Erschließung etwa 80.000 Euro je Wohnung, dazu kommen die eigentlichen Baukosten von zwei- bis dreitausend Euro je Quadratmeter. Im Vergleich dazu kann man erheblich günstiger zusätzlichen Platz in Altbauten schaffen. Doch Verschwendung ist nicht verboten, darum reichen die ökonomischen Argumente nicht für ein Bauverbot.
Anders sieht das bei den ökologischen Folgen aus, denn die Klimakatastrophe zwingt uns, auf die Wissenschaft zu hören. Zwanzig bis dreißig Prozent der Treibhausgase werden durch Bauen und Gebäude erzeugt, allein acht Prozent durch die Zementherstellung. Neben einer Flugscham ist darum eine Bauscham angebracht.
Ein Bauverbot geht weiter als eine Bauscham, daher könnte man die Forderung als Gedankenexperiment betrachten: Nur wenn wir uns ernsthaft vorstellen, Bauen wäre verboten, denken wir die Alternativen zu Ende, mehr Platz in Altbauten zu schaffen.
Mit der Neuauflage meines Buches geht die Forderung jedoch über ein Gedankenexperiment hinaus: Durch neue Studien wird gezeigt, wie wir den Flächenverbrauch auf null senken und damit das Bauen erheblich einschränken können.
Verbote sind undemokratisch, so das Argument mancher: Sie lassen den Bürger*innenwillen unberücksichtigt. Löst der Markt unsere Wohnungsprobleme nicht?
Der freie Markt führt einerseits zu „Investification“, also der Vertreibung von Menschen durch das Investment, wobei die Wohnung als Renditeobjekt oft leersteht. Andererseits gibt es in den letzten Jahren mehr überfüllte Wohnungen ärmerer Haushalte in Großstädten. Das zeigt: Wir brauchen für den Wohnungsmarkt Regeln und Verbote. Damit ich richtig verstanden werde: Verboten werden sollte es in erster Linie den Kommunen, Baugebiete auszuweisen, während die Einzelnen frei werden sollen, sich Wohnwünsche zu erfüllen.
Diese Kombination von Freiheit und Verbot kann über die Regulierung des Flächenverbrauchs umgesetzt werden: Auf nationaler Ebene sollte bis 2030 der Flächenverbrauch bei Netto-Null landen, forderte der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung im Umweltgutachten 2016. Bis 2030 dürften noch große Flächen verbraucht werden. Wenn nun aber eine Kommune davon einen Anteil möchte, etwa für ein neues Baugebiet, müsste sie als Bedingung beweisen, dass sie ihre Altbauten besser nutzt. Dazu könnte sie zum Beispiel Leerstand erfassen, sagt der Umweltrat.
Darüber hinaus liefert die Neuauflage des Bauverbot-Buches 100 Werkzeuge, Wohnraum und mehr Platz in Altbauten zu schaffen. Viele dieser Werkzeuge versetzen Einzelne in die Lage, ungenutzten Wohnraum nutzbar zu machen.
Wenn nicht bedeutend mehr gebaut wird, wird sich die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt nicht entschärfen lassen, hört man von den großen Wohnkonzernen. Ist da gar nichts dran?
Würde Bauen den Wohnungsmangel beseitigen, dann wäre der schon lange erledigt. Doch die Zahlen belegen sogar einen Bauüberfluss: Rechnerisch wird mehr neu gebaut, als Menschen zuziehen. In den vergangenen 25 Jahren stieg die Zahl der Wohnungen in Deutschland um sieben Millionen, mit Platz für vierzehn Millionen Menschen. Aber die Zahl der Einwohner stieg lediglich um zwei Millionen. Es stehen jedoch trotzdem keine zwölf Millionen Wohnungen frei, aus drei Gründen: die obengenannte Investification, die lokale Konzentration der Nachfrage nach Wohnungen (das „Wo“ des Wohnens) und die Zunahme der Wohnungsgrößen (das „Wie“ des Wohnens).
Bei diesen Gründen finden wir auch die Lösung für den Wohnungsmangel, als Teil der in meinem Buch beschriebenen hundert Werkzeuge für Wohnraum in Altbauten. Dazu gehört beim „Wo“ ein Programm zur Wiederbelebung schrumpfender Regionen, das „Willkommensstadtprogramm“. Beim „Wie“ des Wohnens helfen drei große U: Umbau fördern (und das Abtrennen von Einliegerwohnungen), Umzüge erleichtern und Untermiete vermitteln (etwa nach dem Modell „Wohnen für Hilfe“).
Sie fordern eine „Umbauwirtschaft“, statt weiter die Bauwirtschaft zu stärken. Was ist unter einer solchen „Umbauwirtschaft“ zu verstehen?
Bitte nicht missverstehen: Die Bauwirtschaft soll durchaus davon profitieren, wenn wir zu einer Umbauwirtschaft wechseln, denn einer ihrer beiden Bestandteile ist der Umbau. Um den kümmern sich allerdings weniger die auf massenhaften Neubau ausgerichteten Großkonzerne der Bauindustrie, sondern die vielen klein- und mittelständischen Betriebe des Bauhandwerks. Während der Neubau mehr Beton und andere Baustoffe verbraucht, schafft der Umbau alter Häuser mehr Arbeitsplätze.
Den zweiten Teil der Umbauwirtschaft bildet die Wohnwünsche-Beratung nach der Formel 3U & VW. Sie umfasst die 3U für Umbau, Umzug oder Untermiete. Dazu kommen die sozialen Vermittler von Wohnraum (VW), die ein Mietverhältnis begleiten und sichern – dadurch trauen sich Eigentümer wieder, zu vermieten, die nach schlechten Erfahrungen ihre Wohnungen leerstehen gelassen hatten. Schließlich braucht es flexibles und flächensparendes Wohnen, etwa beim gemeinschaftlichen Wohnen.
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In Berlin fordert ein Volksbegehren, die „Deutsche Wohnen und Co“ zu enteignen. Halten Sie eine solche Forderung für angebracht?
Man kann den Ruf nach Enteignung verstehen, nachdem jahrzehntelang hunderttausende Wohnungen in Berlin privatisiert wurden. Viele davon landeten bei Finanzkonzernen, die nicht in erster Linie den Bewohnern verpflichtet sind, sondern den Kapitalanlegerinnen. Aber was ist die Lösung? Enteignen, oder zurückkaufen, wie es landeseigene Wohnungsgesellschaften taten? Das wird sehr teuer, oft das Dreifache und mehr vom ehemaligen Verkaufspreis. Obendrein sollte man nicht zurückkaufen (oder gegen Entschädigung enteignen), ohne eine abermalige Privatisierung von vornherein zu verhindern – durch Erbbaurechte oder durch Sicherungen wie beim Mietshäuser Syndikat.
Außerdem ändert das Eigentum erstmal nichts am Wohnungsmangel. Leider sind manche der sonst so kritischen Befürworter von Enteignungen zugleich sehr unkritisch gegenüber Neubau. Doch den Mangel an Wohnungen beheben wir nicht durch Bauen, auch nicht durch sozialeres Bauen öffentlicher Gesellschaften, sondern indem wir uns um Altbauten kümmern.
Es braucht keine neuen Bauten, sondern neues Wohnen, meinen Sie. Was sollen wir uns darunter vorstellen?
Die Familien werden kleiner, Menschen haben weniger Kinder, Generationen leben nicht mehr unter einem Dach, solche Entwicklungen kann man nicht zurückdrehen. Sie folgen eigentlich aus schönen Ursachen, aus der gesellschaftlichen Befreiung von erzwungener Nähe, von vorgeschriebenen Berufswegen und alten Rollen. Doch das Ziel dieser Befreiung war nicht, dass heute in mehr als der Hälfte aller städtischen Haushalte ein Mensch allein wohnt.
Dagegen hilft Mut zur Nähe. Es muss nicht gleich so weit gehen wie eine gemeinschaftliche Wohnform oder sogar eine Kommune, in der man sein Geld mit anderen teilt. Freilich sind WGs heute in jedem Alter möglich, auch als Senioren-WG oder Mehrgenerationen-WG. Doch zu anderen Menschen kann ein kleinerer Schritt passen: Die ungenutzte Garage dem Nachbarn zur Verfügung stellen. Oder einen ungenutzten Raum tagsüber einer Nachbarin als Arbeitsraum vermieten. Egal wie weit es geht, all das schafft neuen Wohnraum im Altbau und bringt gleichzeitig die Menschen näher zueinander.
Sie nennen Zürich als eine der „mutigsten Städte“ im Bereich Wohnen im deutschsprachigen Raum. Was machen die Zürcher*innen besser?
In Zürich gibt es viele Wohnprojekte, in denen Menschen „mehr als wohnen“ und Räume oder Vorlieben teilen. Dort haben sie clevere Raumlösungen entwickelt: Einen „Schaltraum“ zwischen zwei Wohnungen nutzt diejenige Partei, die ihn grade braucht, etwa weil Kinder heranwachsen. Wenn die Kinder ausziehen, aber nebenan welche geboren werden, schaltet man den Raum von der einen Wohnung zur anderen. Dagegen akzeptieren Förderprogramme deutscher Bundesländer Schalträume nicht, weil mancher es für undenkbar hält, dass ein Raum nicht immer zur selben Wohnung gehört.
Besonders mutig ist es, solche hin- und herschaltbaren Zimmer mithilfe einer Regel zuzuordnen: In hunderten Schweizer Wohnungsgenossenschaften gibt es Belegungsregeln, oft nach der Formel „Zimmerzahl = Personenzahl +1“. Wenn sich also ein Haushalt verkleinert, muss innerhalb von ein oder zwei Jahren auch der Wohnraum verkleinert werden, damit sich diejenigen vergrößern können, die den Platz dringender brauchen. Die Wohnungsgesellschaft muss beiden Angebote machen und die Schalträume schalten oder sogar einen Umzug organisieren. ■
Daniel Fuhrhop beteiligt sich an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg am Forschungsprojekt OptiWohn. Er gründete 1998 den Stadtwandel Verlag („Die Neuen Architekturführer“), verkaufte ihn aber 2013 und schrieb das Buch „Verbietet das Bauen!“. Er betreibt den Blog www.verbietet-das-bauen.de. Soeben ist die erweiterte Neuauflage von „Verbietet das Bauen! Streitschrift gegen Spekulation, Abriss und Flächenfraß“ (oekom Verlag, 2020) erschienen. Die Buchtour musste wegen Corona ausfallen, stattdessen zeigt ein Online-Vortrag einige der Werkzeuge, mit denen sich Wohnraum für alle in Altbauten schaffen lässt. Link zum Online-Vortrag: https://youtu.be/z0NabAXATqU.
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