Editorial der Ausgabe DEMOKRATIE UND WIRTSCHAFT

Editorial der Ausgabe 4/2019 DEMOKRATIE UND WIRTSCHAFT

Zehn Jahre agora42,

das waren immer auch Jahre der intensiven Beschäftigung mit Demokratie. Nicht umsonst ist die agora – zentraler Platz der antiken Polis, auf dem die relevanten Themen des Gemeinwesens verhandelt wurden – Namensgeber unseres konstant finanzfragilen und doch vom Start weg erfreulich einflussreichen Magazins.

Die Magazinmacher Wolfram Bernhardt, Tanja Will und Frank Augustin.

Was haben wir gelernt in diesen Jahren? Vor allem, dass die lange vertretene Auffassung, der Bereich des Ökonomischen und des Technisch-Rationalen wäre resistenter gegenüber Ideologie als Politik und Religion, sich als falsch erwiesen hat. Heute wird das demokratische Gemeinwesen vor allem von jenen bedroht beziehungsweise an der fälligen Weiterentwicklung gehindert, die wirtschaftliches Wachstum und Profit über alles stellen oder sich vom technischen Fortschritt die Lösung aller Probleme erhoffen. Die Folgen dieser modernen Verblendung sind verheerend und reichen von globaler Erwärmung und Umweltvergiftung bis hin zur völligen Sinnentleerung der Arbeits- wie zunehmend der gesamten Lebenswelt.

„Demokratie ist nie bequem“, wusste Ex-Bundespräsident Theodor Heuss. Demokraten wissen, dass es keine Patentlösungen für ökonomische und gesellschaftliche Probleme gibt. Demokraten wissen, dass Freiheit nicht die Freiheit von Beschränkungen bedeutet, sondern die Freiheit, sich seine Beschränkungen frei auferlegen zu dürfen. Demokraten erhoffen sich keine heile Welt, sondern können damit umgehen, dass es keine heile Welt gibt. Kurz: Es gibt nichts, was Demokratie im Innersten zusammenhält. Außer Freiheit und Mut.

Wir sind stolz und glücklich, in diesem Jahr wieder eine Kooperation mit dem EMMA – Kreativzentrum Pforzheim realisieren zu können: Diese Ausgabe wird begleitet von der Kunstausstellung DÄMONKRATIE, die vom 11. Oktober bis zum 24. November 2019 dazu einlädt, über den gegenwärtigen Zustand demokratischer Gesellschaften ins Gespräch zu kommen. Internationale Künstlerinnen und Künstler hinterfragen in ihren multimedialen Werken unser Verständnis von Demokratie in Zeiten des Populismus, der Fake News und Shitstorms. Mehr dazu lesen Sie ab Seite 32 der aktuellen Ausgabe.

Wir würden uns freuen, Sie in Pforzheim begrüßen zu dürfen!

Ihre Wolfram Bernhardt, Tanja Will und Frank Augustin

Ein letztes Mal an der Erstellung einer agora42-Ausgabe mitgewirkt hat unser Kollege, agora42-Mitgründer und Freund Wolfram Bernhardt. Als eben gewählter Bürgermeister wird er sich künftig um seine Heimatstadt Adelsheim kümmern.

Mensch Wolfram, wir werden dich vermissen!

4/2019 DEMOKRATIE UND WIRTSCHAFT

9,80 

4/2019 DEMOKRATIE UND WIRTSCHAFT

Wer hat eigentlich das Sagen: die Politik oder die Wirtschaft? Sind heutige Demokratien noch demokratisch? Ist eine demokratiekonforme Wirtschaft utopisch? Warum sorgt Wirtschaftswachstum zunehmend für Demokratieverdruss? Und überhaupt: Wie wollen wir künftig leben?

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Beschreibung

„Was sich aktuell durchsetzt, ist eine postpolitische Demokratie, die das Politische durch eine Verwaltung des Status quo ersetzt und alles Weitere vom Markt erhofft“ schreibt Lars Distelhorst, Professor für Sozialwissenschaft in Potsdam.

Gustav Bergmann, Professor für Innovations- und Kompetenzmanagement in Siegen, findet gar: „In einer ökonomisierten Welt der Raserei ist Demokratie kaum zu verwirklichen. Demokratie braucht Weile, Muße und Möglichkeiten zur leidenschaftlichen Teilhabe.“

Funktioniert Demokratie nur, wenn die Wirtschaft wächst? fragen die Politikwissenschaftler Anselm Vogler und Erik Fritzsche aus Dresden. Ihre Antwort ist eindeutig: „Nein, denn Demokratien benötigen zunächst und vor allem Legitimität.“

Aristotelis Agridopoulos, Politikwissenschaftler aus Heidelberg meint, dass Demokratien demokratisiert werden müssen: „Demokratie hat kein Problem mit autoritären Führern, sie hat ein Problem mit sich selbst: Sie muss demokratischer werden.“

Im Horizont-Teil dieser Ausgabe geht es um das, was kommen mag:

Die Professorin für Europapolitik Ulrike Guérot entwirft in „Komm, wir bauen einen europäischen Staat …“ das Bild einer europäischen Bürgerunion: „Bürger sein heißt nicht, sich lieb zu haben und die gleichen Werte zu teilen. Sondern Bürger sein heißt vor allem, die gleichen Rechte zu haben.“

Die Ökonomin Lia Polotzek wirft mit ihrem utopischen Essay „2065 – Endlich Wirtschaftsdemokratie“ einen Blick in die Zukunft: „Von tierischen Produkten ernähren sich die Menschen schon lange nicht mehr, das letzte Flugzeug startete 2035.“

„Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, erfordern es, dass Eliten wieder stärker in Führung gehen. Dass sie uns die Veränderungen „zumuten“, von denen wir mehr oder weniger wollen, dass sie endlich angepackt werden.“ sagt Frank Trümper, Geschäftsführer der Baden-Badener Unternehmergespräche.

Und Philippe Merz, Geschäftsführer der Thales-Akademie, fragt: „Wie können wir eigentlich erwarten, dass Menschen dauerhaft die Demokratie unterstützen oder sogar bereit sind, sie mit klarer Haltung gegenüber autoritären Bewegungen zu verteidigen, wenn demokratische Prinzipien wie Mitbestimmung, Transparenz, Chancengleichheit und der Respekt für andere Perspektiven und Bedürfnisse in ihrem Arbeitsalltag eine derart untergeordnete Rolle spielen?“

Im Interview sprechen wir mit Jörg Hähnlein, Präsident des Landesverbandes der Freien Berufe Mecklenburg-Vorpommern e. V., über das Befreiende der Demokratie, Regulierungsnotwendigkeiten, und bereits vorhandene demokratische, selbstverwaltete Strukturen in der Wirtschaft.

Am Ende wird es noch ganz konkret: 15 junge BürgermeisterInnen aus ganz Deutschland veröffentlichen einen Aufruf für mehr kommunalpolitisches Engagement.

Diese Ausgabe zum 10-jährigen Jubiläum will etwas bewegen. Deshalb ist sie diesmal auch hautnah erlebbar: In Kooperation mit dem EMMA – Kreativzentrum Pforzheim lädt die Redaktion in die Ausstellung DÄMONKRATIE ein. Internationale KünstlerInnen zeigen dort ihre multimedialen Werke auf der Suche nach den Dämonen der Demokratie und bieten Raum zum Austausch.

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