Faironomics – Auf dem Weg zu einer neuen Form der Ökonomie

Faironomics – Auf dem Weg zu einer neuen Form der Ökonomie

Interview mit Ilona Koglin und Marek Rohde

Die Ökonomie als Gesetz (nomos) des Hauses (oikos) dient dem Zweck der Haushaltung. Begreifen wir den Planeten Erde als unser gemeinsames Haus und lösen wir uns von der Vorstellung des haushälterischen Menschen als egoistischen Nutzenmaximierer, so stehen wir vor der Herausforderung, eine neue Ökonomie zu ersinnen. Frau Koglin, Herr Rohde, nach welchen Gesetzen und Setzungen sollen wir unsere gemeinsame Haushaltstätigkeit ausrichten? Oder anders gefragt: Was ist für euch der Sinn der Ökonomie und auf welchen Prinzipien beruht eine sinnvolle wirtschaftliche Praxis?

Wir schauen bei dieser Frage ganz gerne vom Haus (des Einzelnen) in den Garten und in die Welt hinaus. Denn da sind wir der Natur sehr viel näher. Fragen wie „Wie sollen wir uns verhalten?“ oder „Was können wir tun?“ stellen sich hier ganzheitlich. Hier befinden wir uns gedanklich, aber auch physisch und somit emotional, in direkter Verbindung mit den großen und kleinen Kreisläufen der Natur. Im Gegensatz zur menschgemachten Ordnung des Hauses, betrachten und erfahren wir hier die Lehre vom Naturhaushalt – der Ökologie. Diese bezieht das Werden und Wollen der Tier- und Pflanzenwelt, das Klima, die Elemente, kurz das gesamte Ökosystem mit ein. Ein wichtiger Unterschied. Dabei wird schnell klar, worauf es ankommt: Jedes Lebewesen muss seinen Platz und seinen Raum finden – nicht nur der Mensch. Sonst gerät das große Ganze ins Ungleichgewicht.

Und dabei bleibt es nicht. Wer in den vier Wänden (seines Verstandes) hockt und allenfalls durch’s Fenster schaut, kommt vielleicht auf den Gedanken, dass es in sich abgeschlossene, menschliche Räume geben könnte. Und dass die Natur „irgendwo da draußen“ nichts mit einem selbst zu tun habe. Doch das Gegenteil ist der Fall, wie wir gerade angesichts globaler Katastrophen merken wie Klimakrise, Artensterben oder massivem Raubbau an den natürlichen Ressourcen.

In ihrem aktuellen Buch „Faironomics“ widmen sich die Autoren und Projektmacher Ilona Koglin und Marek Rohde der öko-sozialen Wende in der Ökonomie. Foto: Anne Oschatz

Dem entsprechend müsste auch eine zukunftstaugliche Ökonomie stets zwischen dem Blick für’s Ganze und dem bewussten Handeln im Kleinen hin- und herpendeln. „Think global, act local“ gilt vor allem dann, wenn wir Gerechtigkeit und ein gutes Leben für alle durch Ökonomie erreichen wollen. Die berufstätige Mutter am anderen Ende der Welt fair für ihre Arbeit zu bezahlen gehört dabei genauso dazu, wie dem Ökosystem nur so viele Ressourcen zu entnehmen, wie die Erde bereitstellen kann. Oder Kreisläufe zu schaffen, wie es unter anderem die Permakultur oder das Prinzip des „Cradle-to-Cradle“ fordern.

Ein hervorragendes Bild, das uns die globalen Grenzen aufzeigt, ist der Donut der britischen Ökonomin Kate Raworth: In einem großen Kreis gibt es einen kleinen. Der innere Rand gibt uns die soziale Grenze unseres ökonomischen Verhaltens vor. Alles, was die Menschenrechte missachtet, liegt außerhalb dieser Grenze. Der äußere Rand zeigt uns die ökologische Grenze. Alles, was darüber hinaus reicht, ist kein sinnvolles, zukunftstaugliches ökonomisches Handeln mehr, weil es das ökologische Gleichgewicht zerstört.

 

Welche Rolle spielt das Geld in dieser Ökonomie? Kann es neben den üblichen medialen Funktionen als Zahlungs-, Rechnungs- und Wertaufbewahrungseinheit auch als eine Art Sinn-o-meter eingesetzt werden?

Geld spielt in unserer derzeitigen Welt auf unterschiedlichsten Ebenen eine entscheidende Rolle. Es ist eben nicht nur ein praktisches Werkzeug, um den Tausch von Waren und Dienstleistungen zu vereinfachen. Es ist auch ein Instrument der Macht und Unterdrückung: Wer viel Geld besitzt, gehört zu den „Gewinnern“. Wer wenig oder nichts hat, zu den „Verlierern“. Nicht wenige Menschen setzen Geldreichtum deshalb auch mit Lebenserfolg und -sinn gleich. Die Schwierigkeit dabei ist, dass wir zugleich an den Mythos glauben, es gäbe nicht genug für alle. Das legitimiert, dass wir uns auf Kosten anderer bereichern. Denn wenn nicht genug für alle da ist, ist das zwar bedauerlich – aber irgendwer muss eben zu den „Verlierern“ gehören. Und es ist irgendwie entschuldbar, wenn wir versuchen, auf der „Gewinner“-Seite zu sein. Doch Geld ist tatsächlich keineswegs knapp. Es ist in rauen Mengen da und es wird immer mehr. Es ist nur ungleich verteilt – denn es soll ja Macht- und Herrschaftsinstrument bleiben. Deshalb sind Geld und Geldsystem (der Mythos der unendlichen Kapitalakkumulation – also dass aus Geld immer noch mehr Geld werden soll) momentan leider einer der wesentlichen Gründe, dass es Konflikte und Ausbeutung von Menschen, Tieren und der Natur in allen erdenklichen Bereichen gibt.

Selbstverständlich müsste Geld nicht diese Rolle spielen. Schon heute nutzen Menschen es in ganz anderer Weise. Das wohl Subversivste, was man in dieser Gesellschaft tun kann, ist Geld einfach bedingungslos zu verschenken. Das geschieht natürlich eher dann, wenn es eine persönliche Verbindung gibt. Doch viele nutzen Geld auch als eine Möglichkeit der Wertschätzung. Als eine Form der Unterstützung. Als eine von vielen Ressourcen, die zur Verwirklichung auch öko-sozialer Veränderungsprojekte notwendig sind. Seien dies nun Spenden an eine gemeinnützige Organisation, als Beitrag zum Crowdfunding eines öko-sozialen Unternehmens und vieles andere mehr. Auf diese Weise erfährt das Geld einen Sinnzuwachs.

In einer utopischen Ökonomie unserer Vorstellung gäbe es den Mythos „Es ist nicht genug für alle da“ nicht mehr. Geld wäre ein nützliches Sinn-Instrument. Es gäbe keine unendliche Kapitalakkumulation auf der einen Seite. Und keine künstliche Verknappung auf der anderen Seite, um Abhängigkeiten zu schaffen und Herrschaft auszuüben. Vielleicht könnten wir dies mit Hilfe eines Bedingungslosen Grundeinkommens erreichen. Vielleicht ist es aber auch eine sogenannte Ecommony – wie die Ökonomin Friederike Habermann dies nennt – denkbar. Also eine Ökonomie, in der wir unsere Bedürfnisse zu einem großen Teil über die Prinzipien der Commons befriedigen. Das heißt, dass wir Dinge und Dienstleistungen in selbstorganisierten Gemeinschaftsprozessen erbringen. In einer solchen Ökonomie würde jede und jeder das beitragen, was er oder sie möchte (anstatt zu tauschen, was er oder sie kann). Arbeitskraft würde dann nicht mehr danach bewertet, wie gut sie sich kapitalisieren lässt. Vielmehr wäre die Frage, wie sinnvoll und wichtig sie für das Gelingen einer gerechten und friedlichen Gesellschaft ist. Auch hier kann uns der Blick in den Naturhaushalt als Vorbild dienen. In eine Natur, in der es für alles Verwendung gibt, keinen Müll und einen optimal aufeinander abgestimmten Austausch aller Ressourcen. Ein System, welches wir noch viel tiefer ergründen sollten, um zu lernen und zu imitieren.

 

Wenn wir als Massenkonsumenten unser Streben nach Sinn massenweise auf die Konsumtion lenken, um dort unsere Sinnsehnsüchte zu befriedigen, frönen wir einer unstillbaren Sinnsucht. An welchen Maximen sollte sich der gemeine Konsumwille orientieren, um nicht dieser fatalen Form der Sucht zu verfallen?

Die Suche nach Sinn ist an sich ja richtig und wichtig. Daher würden wir nicht von „Sinnsucht“ sprechen, sondern Sinnerfüllung. Lebenssinn ergibt sich in sehr vielen Fällen aus gelungenen sozialen Beziehungen. Oder besser gesagt aus dem Umstand, dass unser Leben und Handeln für andere Menschen (oder Lebewesen) wichtig ist. Das wir als Individuen wichtig sind für eine wie auch immer geartete soziale Gemeinschaft. Das unser Wunsch nach Bedeutung bestätigt wird und unser Leben nicht unbedeutend ist. Gelungene soziale Beziehungen sind daher einer der Hauptgründe für ein glückliches und gelungenes Leben, wie die Glücksforschung zeigt. Deshalb ist die Suche nach Lebenssinn etwas Positives. Sie macht uns zu sozialen Wesen, die es erfüllend finden, etwas zu tun, was anderen wichtig erscheint. Es bringt uns dazu zu interagieren, uns selbst zu reflektieren und zu kooperieren.

Tragisch wird es in der Tat, wenn wir den Versprechungen der Werbung erliegen. Denn – anders als oftmals behauptet – ist das Anliegen der Werbung (oder vielmehr der Produkte und Dienstleistungen) ja nicht, dass Menschen zufrieden sind. In einem System, das permanentes Wirtschaftswachstum erfordert, müssen wir unzufrieden sein und unerfüllt. Nur so sind wir bereit mehr und mehr zu konsumieren und die Wirtschaft auch dann noch wachsen zu lassen, wenn die Vielzahl der Dinge, die wir besitzen, uns in Wahrheit bereits stresst; ja sogar krank macht.

Doch was können wir tun? Uns scheint es sinnvoll, hier einen Blick auf das System zu werfen (obwohl man sich natürlich auch die Psyche jedes Einzelnen vornehmen könnte): Damit wir den Kreislauf durchbrechen können, müssten Unternehmen von dem Zwang wachsen zu müssen befreit werden. Menschen müssten von der Not befreit werden, ihre soziale Zugehörigkeit durch Konsum unter Beweis zu stellen. Ein Aspekt, der von der Produktentwicklung und Werbeindustrie seit Jahrzehnten künstlich angeheizt wird. Dabei ist es interessant, dass es in unserer Gesellschaft kaum Kritik an der massenhaften, allgegenwärtigen Werbung gibt. Es gibt keine NGO, die sich dem Kampf dagegen verschrieben hat. Keine Proteste. Keine besorgten Eltern oder Großeltern. Keine empörten Denker oder Denkerinnen. Ja, spricht man mit den Menschen, so können sich die allermeisten eine funktionierende Gesellschaft ohne Werbung schlicht nicht vorstellen. Und dass, obwohl es sie in der heutigen Form erst seit den 1950er Jahren gibt.

Doch ein Ausstieg aus der Werbung (gut geplant, mit Übergangsfristen und alternativen Finanzierungsstrukturen) könnte unserem ungesunden und mittlerweile bereits krankmachenden, zerstörerischen Überkonsum entgegentreten. Wäre es nicht befreiend, wenn sich Medien nicht mehr über Werbeeinnahmen finanzieren müssten? Wäre es nicht schön, wenn unsere Kinder keine Essstörungen mehr hätten, weil sie sich an unrealistisch retuschierten Werbemodellen orientieren? Und wäre unser Leben nicht viel, viel einfacher, wenn wir nicht mehr unzählige Stunden damit verbringen müssten, stets nach den neuesten Modellen, den besten Tarifen oder letzten Updates zu suchen? Wenn wir stattdessen mehr Zeit für die Menschen hätten, die uns am Herzen liegen. Wenn wir ihnen eine Freude machen und einfach schöne Zeit mit ihnen verbringen könnten. Um wie viel zufriedener, glücklicher und sinnvoller würden wir unser Leben empfinden.

 

Wie ist die Arbeit in eurer Neufassung der Ökonomie zu denken? Sollte jegliche Arbeitsgemeinschaft zugleich auch eine Wertegemeinschaft sein?

Schon jetzt steht das Konzept der Erwerbsarbeit und dem mit ihr verbundenen Sozialsystem mehr und mehr zur Debatte. Denn was geschieht zum Beispiel, wenn die Erwerbsarbeit aufgrund der Digitalisierung knapp wird? Kurioserweise ist das für etliche Menschen eine geradezu erschreckende Vorstellung! Und dass, obwohl die arbeitsfreie Gesellschaft – in der die Menschen ihren Leidenschaften und Talenten nachgehen können, anstatt sich als „Lohnsklave“ verdingen zu müssen – eine langgehegte Utopie der Menschheit ist. Das liegt daran, dass die Erwerbsarbeit seit gut 200 Jahren eine der wichtigsten Existenzberechtigungen eines Erwachsenen ist: Wer nicht für Geld arbeitet, ist faul und ein Schmarotzer – es sei denn, er oder sie bringt von Haus aus sehr viel Geld mit.

Der derzeitige Irrglaube ist, dass ein durch Arbeit, Gelderwerb und Konsum abgelenkter Mensch einhegbar wäre. Dass er dem System nicht schaden würde. Doch wir erleben die gegenteilige Entwicklung: Die Überfrachtung, der Druck und die Sinnlosigkeit im Leben von immer mehr Menschen gefährden ihre seelische und körperliche Gesundheit. Sie lassen die im dauerhaften Konkurrenzkampf gefangene Gesellschaft erodieren und zerstören unsere natürlichen Lebensgrundlagen.

Was also wäre, wenn wir unsere Gesellschaft anders als über die Erwerbsarbeit organisieren würden? Was, wenn unsere Tätigkeiten von unserer Existenzgrundlage entkoppelt wäre? Experimente zeigen, dass Menschen dann keineswegs ihre Tage mit Bier trinken und Binge-Watching verbringen würden. Zumindest nicht auf Dauer. Dennoch kann keiner genau wissen, was dann geschehen würde. Aber angenommen, die Menschen wären wirklich frei dem nachzugehen, was ihnen wichtig erscheint (und nicht dem, was Geld einbringt) – was würde das für unsere Demokratie, unsere Kultur und unsere Wirtschaft bedeuten? Welche Innovationen – die sich am Sinn und nicht an der Rendite orientieren – wären zu erwarten?

Die Hoffnung besteht, dass sich allerorten das entwickeln würde, was der Unternehmensberater Frederic Laloux die „integrale Organisation“ nennt: wenige, inspirierte Menschen würden reichen, um Organisationen zu schaffen, in denen Menschen auf Augenhöhe miteinander etwas erzeugen, was sie gemeinsam als sinnvoll erachten. Organisationen, in denen es keine festen Hierarchien mehr gibt. Organisationen, in denen vielmehr alle die Verantwortung für das Gelingen der Unternehmung wünschen und tragen. In denen der Sinn erst durch die Übereinkunft aller entsteht (insofern würden in diesen Arbeitsgemeinschaften auch zugleich Wertegemeinschaften entstehen. Aber das ist bei den meisten Unternehmen heutzutage auch schon so). Und durch eine neue Verankerung im großen Ganzen, dem Ökosystem Erde.

Das ist – und das zeigen bereits real existierende, seit Jahren überaus erfolgreiche, integral organisierte Unternehmen – der beste Nährboden dafür, dass Menschen über sich hinauswachsen. Gemeinsam. Es reichen also einige wenige Menschen, um Strukturen zu schaffen, in denen alle Beteiligten auf eine nächste Bewusstseinsebene gelangen können. Das ist das Wunderbare an der kooperationsfähigen Spezies „Mensch“. Das wiederum könnte die gesamte Gesellschaft verändern, ja vielleicht sogar die Menschheit. Diese neue Ökonomie, die wir Faironomics nennen, braucht keine Utopie zu bleiben. Wir haben bereits alles, was wir brauchen, um sie heute schon zu schaffen: Wissen, Erfahrung und ein Motiv – einen lebenswerten Planeten für kommende Generationen. Was wir brauchen ist ein gemeinsames Ziel, eine sinnstiftende Erzählung, einen Richtungssinn für unser Leben als Individuen und Weltgemeinschaft.

 

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