Gegen die Banalisierung der Philosophie | Interview mit Roxana Rentsch & Lukas Kiemele

BibliothekFoto: Susan Q Yin | unsplash

 

Gegen die Banalisierung von Philosophie

Interview mit Roxana Rentsch & Lukas Kiemele | Narabo Podcast

Woher rührt euer Interesse an der Philosophie und was erhofft ihr euch von der Beschäftigung mit ihr?

Wir sind beide unabhängig voneinander zur Philosophie gekommen, weil wir nach einer Perspektive gesucht haben, uns kritisch mit Argumentationen, Ideengeschichte und auch mit den eigenen Vorstellungen auseinandersetzen zu können. Das Interesse an einer solchen Perspektive entstand aus einer ganz bestimmten Erfahrung heraus. Wir lernen in unseren eigenen Überzeugungen und auch in der Beschäftigung mit disziplinär abgeschlossenen Wissenschaften oftmals Paradigmen und Weltbilder anzunehmen, ohne uns zuvor genauer mit dieser Metaebene zu beschäftigen. Das wird zu einem Problem, wenn wir nicht mehr in der Lage sind, unsere Standpunkte zu begründen, sie analytisch zu zerlegen und in einen größeren Kontext einzubetten. In der Schule hat uns beiden die Vermittlung dieser Kompetenz gefehlt, weshalb wir zur Philosophie gekommen sind. Unsere Hoffnung für die Beschäftigung mit der Philosophie besteht darin, dass wir das kritische und transparente Denken und Hinterfragen für uns festigen können und durch Wissenschaftskommunikation dazu beitragen, einige weitere Menschen auch für Philosophie zu begeistern.

 

Ihr habt Narabo im Sommer 2018 gegründet und inzwischen 20 ausführliche Interviews zum Thema „Philosophie im 21. Jahrhundert“ geführt. Was ist euer Zwischenfazit?

Philosophie ist relevant, in manchen Bereichen vielleicht sogar relevanter denn je, doch es fehlt ihr an guter öffentlicher Kommunikation und an Formaten für den gelungenen Wissenstransfer. Als wir mit unserem Podcast starteten, waren wir von den überaus positiven Rückmeldungen aus dem akademischen Betrieb überrascht. Dabei ist unser Format weder originell noch besonders kreativ, doch das war auch nicht der springende Punkt. Wichtig schien, dass überhaupt jemand kommt, um Wissenschaftstransfer in der Philosophie mitanzupacken. Mittlerweile gibt es in diesem Bereich einige größere Formate, doch brauchen wir gar nicht beginnen, sie mit der Wissenschaftskommunikation in anderen Fächern zu vergleichen. In gewisser Hinsicht ist es verwunderlich, dass es für die Mathematik dutzende erfolgreiche Formate mit Millionenreichweite gibt, aber etwas auch nur in Ansätzen Vergleichbares für die Philosophie nicht existiert, obwohl ihre Inhalte nicht abstrakter oder schwieriger sind. Ein Grund dafür könnte sein, dass die für einen Transfer notwendige Vereinfachung in der Philosophie fast schon tabuisiert ist. Der Spielraum zwischen rigoroser akademischer Philosophie und Phrasendrescherei ist verdammt klein. Für die Wissenschaftskommunikation in der Philosophie ist das besonders bitter, denn so erhalten bekanntlich Formate die größte Reichweite, die Philosophie mit schlechter Lebenshilfe und Personenkult verwechseln.

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Lukas, du hast dich in einem Buch mit der Frage nach dem „Sinn von allem“ befasst – also der Frage nach „Life, the Universe an Everything“, wie sie auch in Douglas Adams‘ Buch Per Anhalter durch die Galaxis gestellt und mit „42“ beantwortet wird. Hat dich diese Antwort etwa nicht zufriedengestellt? Wie beantwortest du die Frage nach dem Sinn des Lebens?

Das Entscheidende an der Antwort, die Adams den Supercomputer Deep Thought verlauten lässt, ist meiner Ansicht nach nicht die berühmte Zahl 42, sondern das, was danach kommt. Nachdem sich angesichts der Antwort Enttäuschung breitgemacht hat, weist Deep Thought auf das eigentliche Problem hin: „Das Problem, wenn ich mal ganz ehrlich sein darf, scheint mir zu sein, dass ihr selbst nie gewusst habt, wie die Frage lautet.“ In meinem Buch benutze ich dieses Beispiel als Vorlage, um die Frage nach dem Sinn des Lebens in beantwortbare und nicht beantwortbare Aspekte aufzubrechen. Die Frage nach dem Sinn von allem entstammt einer metaphysischen oder kosmischen Perspektive, deren Auflösung in eine bedeutungsvolle Antwort seit jeher richtigerweise bezweifelt wird. Ihre Relevanz wird überschätzt, da ein kosmischer Zweck oder göttlicher Plan unser menschliches und soziales Sinnempfinden überhaupt nicht tangieren müsste. Stattdessen können wir uns einer Perspektive der materiellen, sozialen und kulturellen Bedingungen von Sinn zuwenden und gelangen somit zu einer beantwortbaren Frage. Aus dem Sinn des Lebens wird ein Sinn im Leben einer konkreten Person. In meinem Buch biete ich eine Einführung in die Idee, dass die moderne Sinnkrise aus dem historisch-langwierigen Zerfall sinnstiftender Werte und der gegenwärtigen prekären Lebens- und Gesellschaftssituation erwächst. Mir geht es dabei nicht um vorgefertigte Antworten, sondern um die Verschärfung des eigenen Blicks auf eine Perspektive, die der Komplexität unserer Lebenswelt gerecht wird. Im Mittelpunkt dieser Perspektive steht die Einsicht, dass Sinn zwar auf der Ebene des Individuellen erlebt wird, es aber vor allem gesellschaftliche Prozesse sind, die über Möglichkeiten der Sinnfindung genau wie über die Lösung der Krisen unserer Zeit entscheiden.

 

Welche Bedeutung haben für euch philosophische Überlegungen im Alltag? Wie kann man sich euer „Philosophieren“ konkret vorstellen: Nehmt ihr euch immer wieder Zeit, um nachzudenken? Seid ihr aufgrund eurer Reflexion besonders kritisch hinsichtlich der heutigen Lebensweise bzw. in Bezug auf gesellschaftliche Themen? Oder seht ihr viele Ereignisse und Entwicklungen viel entspannter als andere?

Philosophie taucht überall im Alltag auf, wenn man es denn zulässt. Die Frage ist, wie weitreichend und konsequent man zum Beispiel ethische Überlegungen in alle Aspekte des Alltags einfließen lassen kann. Auf die Frage, inwiefern ethische Theorie und Praxis im eigenen Leben auseinanderliegen dürfen, soll Max Scheler folgende Bemerkung erwidert haben: Kennen Sie einen Wegweiser, der selber in die Richtung geht, die er anzeigt? Wir sehen das anders. Wenn wir beispielsweise kritisch über unseren Konsum oder unser Reiseverhalten nachdenken, stoßen wir auf gute Gründe, die Nutzung tierischer Produkte und das Fliegen zu unterlassen. Wenn wir von guten Gründen etwas halten, dann müssen wir sie auch als handlungsweisend anerkennen. Also fliegen wir nicht mehr und leben vegan. Unser „Philosophieren“ ist in erster Linie kritisches Hinterfragen, also die Prüfung von Gründen und Annahmen, von denen man oft zu leichtfertig ausgeht. Meistens führt dies dazu, dass wir für uns angesichts der Komplexität vieler Probleme jeweils keine klare Position und kein abschließendes Urteil bilden. Das halten wir im Kontrast zu dem, was in öffentlichen Diskussionen in der Regel als Philosophie daherkommt für besonders wichtig. Was diesen Punkt betrifft, sehen wir die Entwicklungen natürlich kritisch und vermissen eine Gegenbewegung, die sich der Banalisierung von Philosophie über die Universität hinaus entgegenstellt.

Vielen Dank für das Gespräch. ■

Lukas Kiemele
Lukas Kiemele hat Philosophie und Psychologie studiert. Mit dem „Projekt Wegweiser“ hat er die Beschäftigung mit dem Sinnthema an Schulen in Form von Workshops und einem Magazin gefördert. Er leitet das Webprojekt Narabo, das sich dem Transfer philosophischer Inhalte widmet. Gemeinsam mit Roxana Rentsch führt er den Podcast „Philosophie im 21. Jahrhundert“.
Roxana Rentsch
Roxana Rentsch hat Philosophie studiert und ist Moderatorin des Podcasts „Philosophie im 21. Jahrhundert“. Außerdem moderiert sie den Podcast „Tier und Jetzt“ von Animal Society e. V. Beim Berliner Startup FutureBens ist sie zudem als Business Development Managerin tätig und unterstützt Unternehmen dabei, das Thema Nachhaltigkeit an die Mitarbeiter*innen heranzutragen und insbesondere nachhaltigen Konsum besser zugänglich zu machen.
Von den Interviewpartner*innen empfohlen:
SACH-/FACHBUCH
Pierre Hadot: Philosophy as a Way of Life (Wiley, 1995)
ROMAN
Italo Calvino: Der Ritter, den es nicht gab (zuerst 1959)
FILM
Der Sinn des Lebens von Monty Python (1983)

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