Geld prägt unsere Form zu leben | Eske Bockelmann

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„Geld prägt unsere Form zu leben“

Fragen an Eske Bockelmann

Herr Bockelmann, „Das Geld ist nichts“, behaupten Sie in Ihrem neuen Buch Das Geld. Wie ist das zu verstehen? Dass so viele Menschen nach nichts streben, erscheint kaum nachvollziehbar.

Das Geld ist nichts, insofern es in nichts besteht. Geld wird in Zahlen und Summen auf Konten verzeichnet, wo ja offensichtlich rein gar nichts liegt, und trotzdem „besteht“ Geld in diesen reinen Zahlen aus nichts. Gleichzeitig ist dieses nichts aber mit einer ganz besonderen Macht ausgestattet, nämlich mit der Macht, sich in jede Art von etwas tauschen zu lassen. Als quantifiziertes nichts ist Geld die umfassende Zugriffsmacht auf jederlei etwas. Und von dieser Zugriffsmacht hängen wir heute ab, hängt unser Leben ab: Denn nur mit Geld und mit dem entsprechenden Quantum an Geld kommen wir bekanntlich zu dem, was wir alles zum Leben benötigen oder haben wollen. Darüber, ob wir davon abhängen, können wir auch nicht entscheiden. Diese Abhängigkeit finden wir vor, sobald wir auf die Welt kommen, als eine inzwischen längst durchgesetzte und eingerichtete Tatsache, als diejenige Wirtschaftsform nämlich, auf welche die Staaten inzwischen weltweit sich und uns unnachgiebig verpflichten. Und es sind nicht zufällig die Staaten. Denn sie sind es auch, die dem Geld seine so besondere Macht verleihen. Staaten stehen mit ihrer Macht, soweit es nur geht, für die Macht „ihres“ Geldes ein, ihrer Währung, aber damit auch für die Macht des Geldes allgemein. Staaten sind nie Gegenmächte zu der des Geldes, sie sind seine Garantiemächte. Ihr Interesse ist starkes Geld und sie müssen alles dafür tun, dass möglichst viel über Geld läuft, dass es weltweit unbedingt weiterhin mit Geld zugeht und dass wir also weiterhin unter der Abhängigkeit vom Geld leben.

Wie haben die Menschen vor der Einführung des Geldes gelebt und gewirtschaftet?

Cover: Eske Bockelmann: Das GeldWichtig ist zunächst, dass es nie eine Einführung des Geldes gegeben hat – jedenfalls nicht ursprünglich. Ein reines Tauschmittel, wie es das Geld ist und auf dessen Verwendung die Mitglieder einer gesamten Gesellschaft angewiesen sind, ließe sich gar nicht einführen. Es ist vielmehr genau diese gesellschaftsweite Abhängigkeit von Kauf und Verkauf und einem dazu notwendigen universalen Tauschmittel, die sich einmal historisch ergeben hat und mit der die bis dahin dinglich gegebenen Tauschmittel ungewollt und ungesteuert in das reine Tauschmittel mutieren, in Geld. Bevor es unter ganz bestimmten historischen Bedingungen – und zwar in Europa − dazu kommt, hat nachweislich kein Gemeinwesen davon gelebt, dass sich alle dort ihre Güter jeweils von anderen kaufen mussten, auch wenn sie Kauf und Verkauf sehr wohl kannten. Stattdessen haben die Menschen dort so lange davon gelebt, dass sie die Versorgung in der Abhängigkeit voneinander direkt organisiert haben. Am bekanntesten ist sicher die feudalistische Variante des europäischen Mittelalters, in der Feudalherren nicht nur sich, sondern auch die von ihnen Abhängigen mit dem versorgen, was sie Unterschiedliches zu produzieren, zu leisten und abzugeben haben, und wäre es der Schutz dieses großen Versorgungszusammenhangs. Das heißt, noch das Mittelalter kannte zwar Kauf und Verkauf und kannte Münzen, die auch dafür verwendet wurden, aber kannte kein Geld, weil die Gemeinschaft nicht in Abhängigkeit von Kauf und Verkauf lebte.

Karl Marx zufolge ist der Wert einer Ware auf die Arbeit zurückzuführen, die in ihr „steckt“. Sie kritisieren diesen Ansatz. Wie kommt der Wert also in die Welt?

Ich weiß, für sehr viele hat diese zugleich viel bekämpfte Theorie große Bedeutung, und es wäre mir selbst lieber, ich müsste mich nicht auch noch gegen sie wenden. Aber nach meinen Forschungen ist es unumgänglich. Dass Waren als „Werte“ ge- und behandelt werden und man insofern von dem „Wert einer Ware“ spricht, geht ausschließlich darauf zurück, dass Waren gegen Geld zu kaufen sind – wenn sie bereits gegen Geld zu kaufen sind. Das ist sehr genau zu nehmen, auch historisch. Denn im Allgemeinen setzen wir wie Marx unwillkürlich voraus, schon bei einem bloßen Tausch von Ware gegen Ware würden beide ihren Wert „haben“ und als „Werte“ einander gleichgesetzt. Das trifft nicht zu, wie sich historisch zeigen lässt. Marx aber macht diese blinde Annahme zur Grundlage seiner Arbeitswerttheorie: Wenn bei einem Tausch jede beliebige Ware als „Wert“ einer anderen gleichgesetzt wird, muss dieser „Wert“ allen Waren gemeinsam sein und in ihnen „stecken“; als dieses allen Waren Gemeinsame findet Marx dann nur ihre Eigenschaft, Produkt menschlicher Arbeit zu sein; also muss genau sie es sein, die in den Waren „steckt“. Diese ganze Theorie hängt also vollständig an der Voraussetzung, Wert wäre als solcher „in“ den Waren gegeben, und diese Voraussetzung ist falsch. Bevor es historisch zu Geld kommt, gibt es nirgends die Vorstellung eines Wertes in den Dingen. Das ist für uns außerordentlich schwer vorstellbar, dennoch ist es so. Statt als Werte wurden die Dinge, auch wenn man sie gegeneinander getauscht hat, allein nach Schätzung betrachtet, also so, dass das eine gleich geschätzt werden kann wie ein anderes, nicht aber so, dass jedes dabei für sich genommen eine Menge des Gleichen darstellen würde. Ich kann meine Tante genauso schätzen wie meine Oma, aber nicht dabei denken, beide hätten für mich einen Wert von 29,95. Zu dieser Art von Gleichsetzung der einzelnen Waren mit einem Wert kommt es historisch wirklich erst durch das Aufkommen von Geld. Das Geld tritt den Waren bei einem Kauf als rein quantitativ bestimmter Wert gegenüber und durch die Gleichsetzung mit einer Geldsumme schreiben wir den Waren selbst diese Summe als Wert lediglich zu. Seine Zuschreibung bleibt den Waren, so wie das Geld, äußerlich: Er findet sich nie in ihnen, egal, wie zwingend der Verkäufer einer Ware auch eine bestimmte Geldsumme für sie verlangen muss, um zu Gewinn zu kommen. Diesen Zwang, der ebenfalls erst mit dem Geld aufkommt, darf man nicht so missverstehen, dass er jemals – egal, ob als Arbeit oder als irgendetwas anderes − in den Waren selbst stecken könnte.

Sie schreiben, dass Geld nicht nur die „Verwandlung der Welt in Waren“ erzwingt, sondern auch der Wachstumszwang der Wirtschaft vom Geld ausgehe. Letzteres verbindet man traditionell mit Kapital, also mit Geld, das investiert wird, um mehr Geld zu werden. Warum sollte Zwang zu mehr bereits für das Geld als solches bestehen?

Weil Kapital Geld ist und nie etwas anderes als Geld. Kapital ist nicht plötzlich ein anderes Geld, nicht zum Beispiel gelbes Geld anstelle von blauem, wobei das eine mehr werden müsste, das andere nicht. Es ist eine allzu harmlose Vorstellung, zu glauben, Geld wäre als solches lieb und gut und erst in den Händen böser Kapitalisten würde es zu dem Monster mutieren, das immer mehr werden muss. Eine Wirtschaft, die mit Geld wirtschaftet wie die unsere, braucht Unternehmen, die mit Geld wirtschaften, und wäre es der neuerdings so genannte Soloselbstständige. Und mit Geld wirtschaften heißt Geld einsetzen, um damit zu mehr Geld zu kommen. Ein Unternehmen muss Gewinn machen, sonst geht es bankrott, es muss also mehr Geld machen, als es dafür Geld einzusetzen hatte. Und das gilt nicht bloß für jedes zehnte oder jedes tausendste Unternehmen, sondern gilt für absolutes jedes – also für die Wirtschaft als ganze. Wir dürfen uns nicht davon täuschen lassen, dass wir als Otto Normalverbraucher nur brav zur Arbeit gehen und mit dem verdienten Geld Zeug kaufen wollen, das uns durchaus nicht mehr Geld einbringen soll. Dasselbe Geld nämlich, das wir mit unserer Arbeit verdienen, muss dem Unternehmen, das uns bezahlt, sehr wohl zu Gewinnen verhelfen, sonst hört es auf Unternehmen zu sein und uns bezahlen zu können. Und das Geld, das wir im Supermarkt für unsere Lebensmittel hinlegen, ist wiederum dasselbe, mit dem eben dieser Supermarkt als Unternehmen Gewinn machen muss, sonst wird er uns nicht lange mehr etwas verkaufen können. Seien wir nicht so naiv zu glauben, das Geld wäre identisch mit unserem Wünschen und Wollen, wo wir doch eigentlich gezwungen sind, nach seinen Vorgaben mit ihm umzugehen.

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Sind dann gierige Banker*innen, Börsianer*innen oder maßlose Unternehmer*innen gar nicht das eigentliche Problem, sondern gewissermaßen wir alle, solange wir Geld als den Kitt der Gesellschaft akzeptieren? Sind wir alle Kapitalist*innen, nur eben arme und reiche?

Ja: Wer mit Geld umgeht, geht mit Kapital um. Aber wir sind gezwungen mit Geld umzugehen, wir sind gezwungene Kapitalisten, sind Geldsubjekte und Kapitalisten, ob wir nun wollen oder nicht. Und Geld ist zwar wirklich der Kitt unserer Gesellschaft, aber es verkittet und verklebt die Menschen nicht nach ihren Wünschen, sondern nach seinen Anforderungen − zu denen etwa gehört, dass es die Menschen als Konkurrenten gegeneinander stellt. Geld, das als die Abhängigkeit einer Gesellschaft von Kauf und Verkauf aufkommt und das nur unter Beibehaltung dieser Abhängigkeit fortbesteht, kann deshalb nur gesellschaftlich, nur von einer Gesellschaft insgesamt wieder durchbrochen und aufgehoben werden. Wenn es Einzelne versuchen und diesen Kitt für sich nicht mehr akzeptieren, haben sie sich gegenüber einer ganzen solchen Gesellschaft zu behaupten. Und das kostet sie viel Kraft, ohne dass sie damit das Geld verdrängen und die Gesellschaft um sich herum davon befreien könnten, weiterhin vom Geld abhängig zu sein. Das Problem sind also weder „wir“ noch die begeisterten Betreiber des Geldsystems in Bank und Börse oder die Gewinnler dieser Geldgesellschaft. Das Geld selbst hält uns vielmehr in Abhängigkeit – von sich: Das ist das Problem.

Wenn Geld viel mehr als Geld im üblichen Verständnis ist, also so etwas wie eine Lebensform darstellt, heißt das dann in letzter Konsequenz, dass man aus dem in vielerlei Hinsicht problematischen Wirtschaftswachstum nur herauskommt, wenn man das Geld ganz abschafft? Wird die Menschheit nur ohne Geld überleben?

Geld prägt unsere Form zu leben im ganzen Äußeren und bis in unzählige Äußerlichkeiten, aber auch bis ins Innerste hinein. Wenn wir nur von einer Krise des Geldes hören, wird uns verständlicherweise angst und bange. Aber wenn uns jemand sagt, es müsse ohne Geld gehen, dann haben wir das Gefühl, uns werde der sichere Boden unter den Füßen weggezogen. Dann wehren wir uns – wir wehren uns allein schon gegen die Vorstellung. Und wie gesagt, das ist verständlich. Und trotzdem, wir dürfen auf diesem Boden nicht weitergehen. Geld verfällt der Krise, wenn es nicht mehr Geld wird und wenn also sein Wachstum nicht gelingt – so wie derzeit. Und die Reaktion auf die Krise ist der stählerne Wille, das Geld zu retten. Und zwar versucht man es notwendigerweise durch Unmengen von mehr Geld zu retten, die irgendwann wieder zu noch mehr an Geld in Gestalt der benötigten Gewinne führen sollen. Wir sehen es täglich vor Augen: Das Geld als solches erfordert sein Wachstum. Wo das Wachstum ausbleibt, droht die Katastrophe. Wo es aber gelingt, droht die noch größere: die Zerstörung dieser Welt – muss ich sagen, wodurch? Genügt, als eines unter vielen, das Stichwort Klima? Es ist so: Nur ohne Geld wird diese Welt von Menschen bewohnbar bleiben. ■

Eske Bockelmann
Eske Bockelmann ist Autor des aktuell bei Matthes & Seitz Berlin erschienenen Buches Das Geld. Was es ist, das uns beherrscht. Er hat vorher bereits eine Studie zur Geschichte des Denkens und der Wahrnehmung vorgelegt: Im Takt des Geldes. Zur Genese modernen Denkens (zu Klampen, 2004). Der klassische Philologe lebt in Chemnitz.

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