Die Macht der Autolobby ist geschwunden | Interview mit Weert Canzler

Welches Autos sollen gekauft werden?Foto: Ryan Searle | Unsplash

 

Die Macht der Autolobby ist geschwunden

Interview mit Weert Canzler

Herr Canzler, gerade wurde heftig darüber debattiert, ob und in welcher Weise der Staat der Autoindustrie unter die Arme greifen soll. Nun ist die von den Autoherstellern vorgeschlagene Abwrackprämie auch für Verbrenner zwar vom Tisch. Stattdessen soll es eine so genannte „Innovationsprämie“ für E-Autos und Hybride geben. Könnte eine solche Prämie ein Schritt zu einer ökologischen Verkehrswende sein?

Ob überhaupt eine Kaufprämie nötig ist, ist die erste Frage. Aber diese Frage wird von kaum jemanden gestellt, Kaufanreize sind offenbar gesetzt. Schauen wir vor diesem Hintergrund auf die Beschlüsse der Bundesregierung zur Konjunkturförderung, sehen wir Licht und Schatten: Nun ist der worst case, dass nämlich auf Halde produzierte Verbrenner mit Steuergeldern „abverkauft werden“, nicht eingetreten. Das ist eine gute Nachricht. Sie zeigt auch, dass die Macht der Autolobby geschwunden ist. Dass aber nun neben reinen E-Autos auch Hybridfahrzeuge, die bekanntlich meistens im Verbrennmodus genutzt werden, zusätzlich gefördert werden sollen und das Dienstwagenprivileg sogar noch ausgeweitet wird, hilft der Verkehrswende nicht. Hilfreich sind aber Investitionshilfen für die Ladeinfrastruktur und die Flottenaustauschprogramme für gemeinnützige Träger und Handwerker. Viele dieser Firmen könnten sofort auf E-Fahrzeuge umstellen, brauchen aber einen Stups. Wenn mit einer Prämie jedoch wirklich Verkehrspolitik im Sinne eines ökologischen Umsteuerns gemacht werden soll, dann ist eine Mobilitätsprämie für den Kauf oder die Reparatur eines Fahrrades oder auch als Zuschuss für die Bahncard und das ÖPNV-Zeitticket sinnvoll. Autos gibt es wahrlich genug. Eine solche Mobilitätsprämie könnte den einen oder die andere dazu bringen, auf das Rad oder auf die Schiene umzusteigen, der oder die sowieso schon mit diesem Gedanken spielt. Noch wichtiger für die Verkehrswende sind allerdings so altbekannte Themen wie der Abbau des Steuerprivilegs für Dieseltreibstoff, mehr und sichere Radwege, eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung und eine nach Antriebsvarianten und Fahrzeuggrößen gestaffelte City-Maut sowie eine konsequente Umschichtung der Verkehrsinvestitionen vom Straßen- auf den Schienenausbau. Das klingt viel langweiliger als eine „Innovationsprämie“, ist aber besser angelegtes öffentliches Geld.

In der Vergangenheit haben Sie zu bedenken gegeben, dass eine Antriebswende vom Verbrennungs- zum Elektroantrieb nicht ausreicht. Warum reicht die Antriebswende nicht aus?

Wenn wir 47 Millionen PKW mit Verbrennungsmotor durch 47 Millionen E-Autos ersetzen, ist wenig gewonnen. Abgesehen von den immensen Ressourcen, die für die Herstellung so vieler E-Autos benötigt werden, und von dem enormen zusätzlichen Erneuerbaren Strom für ihren Betrieb haben wir dann immer noch die gleichen Stau- und Parkplatzprobleme wie jetzt. Eine Verkehrswende bedeutet neben dem Abschied von den klimaschädlichen fossilen Energieträgern auch, dass wir die Ressourcen effizient einsetzen und den knappen Raum – übrigens mittlerweile nicht nur in Großstädten, sondern auch in mittleren und kleineren Städten – zugunsten der anderen Verkehrsmittel und für mehr Aufenthaltsqualität nutzen. Zur Verkehrswende gehören eben auch ein starker Öffentlicher Verkehr und neue effiziente Verkehrsangebote sowie viel bessere Bedingungen für das Radfahren und Zufußgehen. Das ist nicht banal. Denn das heißt auch das Ende der automobilen Dominanz, also angesichts von mehr als 80 Prozent Autoanteil geht es nicht ohne massenhafte Verhaltensänderungen. Aus der sozialwissenschaftlichen Mobilitätsforschung wissen wir, dass neben den Kosten und dem Zeitaufwand auch die Verfügbarkeit von Alternativen und nicht zuletzt Routinen das Verkehrsverhalten prägen.

Sie haben bereits 2018 von „Taumelnden Giganten“ gesprochen. Bringt die Corona-Krise die Auto-Giganten nun zu Fall?

Dass die lange erfolgreichen deutschen Autohersteller die Elektrifizierung der Antriebe verschleppt und den Wandel vom Autoproduzenten zum Mobilitätsanbieter nicht ernsthaft betrieben haben, hat sich schon vor der Corona-Pandemie gezeigt. Volkswagen hat daraufhin das Ruder herumgerissen. Spät, aber früher und vor allem konsequenter als seine süddeutschen Konkurrenten. Der Strukturwandel hat also längst angefangen. In der Krise wird jedoch deutlich, wie mühsam das ist. Auch Volkswagen kann die angekündigten neuen E-Autos noch nicht ausliefern, Softwareprobleme tauchen auf. Aus Verzweiflung werden Kaufprämien für alte Techniken gefordert und die Verschiebung von Grenzwerten bei Emissionen gefordert. Das zeigt den Ernst der Lage.

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Wie kaum ein anderes Produkt sonst steht das Auto für den Kapitalismus im Sinne eines „Toller, schneller, weiter“. Das Auto war noch nie vernünftig, es war eine Passion, es lebte von der Leidenschaft und den Bildern von Freiheit und Glück. Ist insofern die Debatte um vernünftige, nachhaltige etc. Automobilität nicht selbst bereits der Beweis dafür, dass das Auto als massenhaft produziertes sowie für die Konzerne profitträchtiges Fortbewegungsmittel ausgedient hat?

Aus unserer Sicht ist das goldene Zeitalter des privaten Autos aus zwei Gründen vorbei: Zum einen gibt es einfach viel zu viele Autos, sein exklusiver Reiz ist dahin und die Nebenfolgen seiner massenhaften Nutzung wie Staus, Parkplatzsuche und die Verödung des öffentlichen Raums nerven zunehmend. Zum anderen ändert die persönliche Digitalisierung alles. Wenn mit dem Smartphone alle möglichen Mobilitätsangebote mit, ohne oder in Kombination mit einem Auto einfach, schnell und zuverlässig genutzt werden können, wird das private Auto zum Relikt aus vergangenen monomodalen Zeiten. Mobilitätsdienstleistungen, neudeutsch: mobility-as-a-service, bilden das neue Geschäftsfeld. Zwar sehen wir im Frühjahr 2020 angesichts diffuser Ansteckungsängste in der Corona-Krise eine neue Attraktivität des eigenen Autos als Schutzraum, doch dürfte diese Attraktivität nicht von Dauer sein. Denn sobald das Aktivitäts- und damit das Mobilitätsniveau wieder Vorkrisenniveau erreicht, wird klar, dass das mit dem massenhaft genutzten privaten Auto, noch dazu mit einem dramatisch geringen Besetzungsgrad (im Schnitt 1,4 Personen je Pkw), nicht funktionieren kann. Wir würden schnurstracks in den Dauerstau fahren.

Weltweit haben einige Städte die corona-bedingte Verkehrsberuhigung genutzt, um den Verkehrsraum umzuverteilen und Fahrradfahrer*innen mehr Platz zuzugestehen. Bogota, Paris, Budapest, Mailand und Mexico City haben sich beispielsweise in dieser Hinsicht hervorgetan, in Deutschland vor allem Berlin. Hat die Krise also zu einem Durchbruch für eine Mobilität geführt, die weniger auf Pkw fokussiert ist? Ist das die „Kulturwende“, die Sie fordern?

Die Beispiele, in denen der Verkehrsraum jetzt in teilweise atemberaubender Geschwindigkeit vor allem zugunsten von Radfahren und Zufußgehen neu aufgeteilt wird, geben zumindest Hoffnung auf eine Kulturwende in der urbanen Mobilität. Begründet mit den Abstandsregeln, um Infektionen zu vermeiden, erhalten die beiden Verkehrsarten, die am besten zur Stadt passen, mehr Platz. Viele kurze Wege können zu Fuß oder mit dem Rad bewältigt werden, wenn es Spaß macht und sicher ist. Dass das in der autogerechten Stadt nicht der Fall ist, ist ein verkehrspolitischer Allgemeinplatz. In Sonntagsreden wird seit Jahren das Ende der autogerechten Stadt gefordert, aber tatsächlich sind die Beharrungskräfte riesig. Mit der Corona-Pandemie lösen sich nun die Fesseln in den Städten, die vorbereitet waren. Es wurde möglich, was noch vor ein paar Monaten unmöglich schien. Geschützte Fahrradwege wurden wie in Berlin als „pop-up bike lanes“ über Nacht eingerichtet, ganze Innenstadtbereiche wie in Brüssel zu Zonen erklärt, in den Fußgeher und Radler Vorrang haben und Autos nur Gäste sind. Wie beim Strukturwandel in der Autoindustrie zeigt sich auch hier, dass bereits begonnene Prozesse durch und in der Krise beschleunigt werden. Nehmen wir das Beispiel Paris: die Bürgermeisterin und ihre Verkehrsplaner drängen schon seit längerem das Auto in der Stadt zurück, indem sie Straßen umwidmen und öffentliche Parkplätze verknappen und teurer machen. Zugleich fördern sie den Öffentlichen Nahverkehr und Sharingangebote. Sie verändern die Mobilitätskultur dadurch, dass sie die Privilegien des privaten Autos abbauen und – nicht nur am Seineufer – neuen Raum für nicht-motorisierte Verkehrsteilnehmer*innen schaffen. Das machen sie ganz offen und ehrlich, sie werben mit den Vorzügen eines autoarmen Paris. Sie haben erkannt, dass lebenswerte Stadträume ein wichtiger Wettbewerbsvorteil im globalen Standortwettbewerb sind und scheuen auch die damit verbundenen Konflikte nicht. Diejenigen, die bisherige Privilegien verlieren, wehren sich. Das ist in Paris so, aber ebenso in Bogota, Budapest, Mailand, Mexico City und Berlin.

Diese Veränderungen der Mobilitätskultur sind allerdings bisher reine (groß)städtische Phänomene. In ländlichen und kleinstädtischen Räumen nimmt die Autodominanz und -abhängigkeit nach wie vor sogar zu. Alternativen zum Auto gibt es da meistens gar nicht. Busse und Bahnen fahren nie oder drei Mal am Tag. Die Wege zum Einkaufen, zum Arzt oder zur Ausbildung sind im Zuge einer ungebremsten Zentralisierung oft so weit, dass sie nicht zu Fuß oder mit Rad gemacht werden können. Arbeitsplätze sind selten dort, wo man wohnt. Auf entsprechende Vorbehalte und teilweise offene Ablehnung treffen daher vielfach die genannten Vorschläge zu einer Verkehrswende weg vom privaten Auto. Selbst die Elektrifizierung der Antriebe wird von vielen skeptisch gesehen, eine tatsächliche oder auch vorgeschobene Reichweitenangst trägt dazu bei. Dass im Zuge der Verkehrswende das Autofahren teurer werden und unter anderem das steuerliche Privileg der Entfernungspauschale abgebaut werden soll, wird nicht selten als ungerecht und als Angriff der Stadt auf das Land gesehen. Dass der Verkehr seinen Teil zum Klimaschutz leisten muss, wird vielleicht als generell richtige Forderung betrachtet, aber oft nicht auf das eigene gewachsene Mobilitätshandeln bezogen. Dennoch ist auch auf dem Land spürbar, dass es nicht „einfach so weitergehen kann“. Dieses Unbehagen ist ein zartes Pflänzchen der Hoffnung, das mit guten Ideen und geglückten alternativen Verkehrsprojekten gepflegt werden muss.

Porträt von Weert Canzler
Foto: David Ausserhofer/WZB
Dr. phil. habil. Weert Canzler ist Sozialwissenschaftler und Mobilitätsforscher. Er leitet zusammen mit Andreas Knie die „Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und ist Sprecher des „Leibniz-Forschungsverbundes Energiewende“. Seine Forschungsschwerpunkte sind die sozialwissenschaftliche Verkehrs- und Mobilitätsforschung, Energiepolitik/Energiewende sowie Innovationsforschung und Technologiepolitik. Kontakt: weert.canzler@wzb.eu.
Vom Interviewpartner empfohlen:
SACH-/FACHBUCH
Wolfgang Sachs: Die Liebe zum Automobil. Ein Rückblick in die Geschichte unserer Wünsche (Rowohlt Verlag, 1984)
KABARETTSENDUNG
Die Anstalt vom 07.03.2017 (Thema: Automobilindustrie)

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